# taz.de -- Verdi-Chef Frank Werneke über die Ampel: „Völlig irre Entscheid… | |
> Die Geduld der Gewerkschaften mit der rot-grün-gelben Bundesregierung | |
> schwindet. Verdi-Chef Frank Werneke beklagt „unglaublichen | |
> Vertrauensverlust“ | |
Bild: Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke hat die Faxen dicke von der derzeitig… | |
BERLIN taz | Der Unmut der Gewerkschaften über die rot-grün-gelbe | |
Bundesregierung wächst. Mit ungewohnt scharfen Worten hat jetzt der | |
Verdi-Vorsitzende Frank Werneke die führenden Ampel-Politiker kritisiert. | |
Als Konsequenz aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts habe | |
die Bundesregierung „völlig irre Entscheidungen“ getroffen, sagte Werneke | |
beim Jahresauftaktgespräch der zweitgrößten deutschen Einzelgewerkschaft am | |
Mittwochabend in Berlin. | |
Der zentrale Fehler sei, die Kosten für Investitionen in die industrielle | |
Transformation in den Regelhaushalt zu pressen. „Das Resultat sind | |
zweifelhafte Gegenfinanzierungen mit erheblicher sozialer Unwucht“, | |
beklagte Werneke. Als ein Beispiel für solch „völlig sachfremde | |
Gegenfinanzierungen, die teilweise absurd sind“, nannte er die geplanten | |
Kürzungen der Regionalisierungsmittel. Denn das bedeute eine empfindliche | |
Schwächung des öffentlichen Personennahverkehrs, was genau in die falsche | |
Richtung gehe. | |
„Schlicht dreist“ sei auch der vereinbarte Griff in die Kassen der | |
Bundesagentur für Arbeit, wo mehr als 5 Milliarden Euro eingespart werden | |
sollen. Die Kürzung des Bundeszuschusses in die gesetzliche | |
Rentenversicherung sei ebenfalls falsch. Ein weiteres Beispiel seien die | |
Kürzungen in der Landwirtschaft. Dass die Bauern dagegen protestieren, | |
könne er verstehen. „Um den Wahnsinn noch zu toppen“, beabsichtige auf der | |
anderen Seite die Bundesregierung nach wie vor, die staatliche | |
Einnahmebasis durch das sogenannte Wachstumschancengesetz – ein | |
Lieblingsprojekt der FDP – weiter zu schwächen. Er sei daher froh, dass die | |
Länder das Gesetz im Bundesrat bisher aufgehalten haben. | |
Es gebe derzeit eine gesellschaftlich sehr aufgeladene und kritische | |
Stimmung, die auch unter den Verdi-Mitgliedern zu spüren sei, warnte | |
Werneke. Es sei „schon schlimm genug“, dass sich die SPD und die Grünen von | |
der FDP „im Nasenring durch die Arena ziehen“ ließen. „Aber dass sie das | |
dann auch noch als goldig verkaufen, führt zu einem unglaublichen | |
Vertrauensverlust und zu einer tiefen Abkehr von der Sozialdemokratie in | |
unserer Mitgliedschaft“, sagte Werneke, der selbst SPD-Mitglied ist, in | |
Richtung von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Und das Ganze ist ein tägliches | |
Fest für die AfD.“ | |
Für eine der Hauptursachen für die große Unzufriedenheit mit der Ampel hält | |
der Verdi-Chef deren Vorgehen beim CO2-Preis. Ein stärkerer Anstieg des | |
CO2-Preises, ohne gleichzeitig ein sozial gestaffeltes Klimageld | |
einzuführen, führe zu einer „harten sozialen Schieflage“. Denn die Anhebu… | |
treffe insbesondere Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. „Die | |
Einnahmen aus einer erhöhten CO2-Bepreisung dürfen nicht allein zur | |
Wirtschaftsförderung genutzt werden, sondern es muss darüber auch der | |
soziale Ausgleich über ein Klimageld finanziert werden“, forderte Werneke. | |
„Das Klimageld darf nicht auf die lange Bank geschoben werden.“ | |
## Gemeinsamer Aufruf von Sozial- und Umweltverbänden | |
In einem [1][gemeinsamen Aufruf] mit Sozialverbänden wie der | |
Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen, der Diakonie oder der | |
Volkssolidarität sowie den Umweltorganisationen BUND und Greenpeace fordert | |
Verdi daher jetzt die Bundesregierung zum umgehenden Handeln auf: „Die | |
Bundesregierung muss Wort halten und, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, | |
das Klimageld als sozialen Ausgleichsmechanismus schnellstmöglich | |
einführen“, heißt es in dem Aufruf. | |
Darüber hinaus müsse kräftig in Klimaschutz, Bildung, Gesundheit, Pflege, | |
Wohnen und ökologische Infrastruktur investiert werden. Dafür sei eine | |
Reformierung der Schuldenbremse erforderlich. Zukunftsinvestitionen müssten | |
von der Schuldenbremse ausgenommen und über Kredite finanziert werden | |
können, so die Verbände in ihrem Aufruf. | |
Ohne eine Reform der Schuldenbremse, die mehr Investitionen ermögliche, | |
oder zumindest ein „Sondervermögen“ nach dem Vorbild des | |
Bundeswehrsondervermögens werde der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft | |
nicht gelingen und gleichzeitig die Akzeptanz für die Klimawende schwinden, | |
warnte Werneke. „Jetzt müssen die Weichen für mehr Investitionen und | |
Zukunftsorientierung gestellt werden“, verlangte er. | |
## Gestiegene Mitgliederzahl | |
Weit zufriedener als auf die Ampel schaut Werneke auf die eigene Bilanz. | |
Die Tarifauseinandersetzungen etwa [2][im öffentlichen Dienst] oder [3][bei | |
der Deutschen Post] haben Verdi im zurückliegenden Jahr erstmals nach | |
langer Zeit wieder einen kräftigen Mitgliederzuwachs beschert. Mehr als | |
193.000 Beschäftigte erklärten 2023 ihren Einritt. Dem standen 153.000 | |
Abgänge durch Austritt, Ausschluss wegen fehlender Beitragszahlungen, | |
Übertritt zu einer anderen Gewerkschaft oder Tod gegenüber. | |
Das ergibt zusammen ein Nettoplus an Mitgliedern von mehr als 40.000. Damit | |
gehören Verdi insgesamt nun rund 1.897.500 Menschen an. Eine vergleichbar | |
positive Mitgliederentwicklung habe es zuletzt bei den | |
Verdi-Vorläuferorganisationen Mitte der Achtzigerjahre gegeben, hob Werneke | |
hervor. Eine logische Konsequenz des Zuwachses ebenso wie der erkämpften | |
Lohnerhöhungen ist, dass sich Ver.di über gestiegene Einnahmen freuen darf. | |
512 Millionen Euro nahm sie im vergangenen Jahr an Mitgliedsbeiträgen ein, | |
ein Plus von 21,6 Millionen Euro. | |
Interessant ist, dass der Bezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit | |
einem Mitgliederzuwachs um 3,37 Prozent am besten abgeschnitten hat. „Das | |
zeigt, dass allen Unkenrufen zum Trotz gewerkschaftliches Engagement und | |
Solidarität im Osten quicklebendig sind“, sagte Werneke. Das sei „die | |
notwendige Antwort auf das Anwachsen antidemokratischer Kräfte“. Wobei sich | |
Verdi zwar rühmen kann, mit nunmehr 168.000 Mitgliedern die größte | |
Einzelgewerkschaft in der Region zu sein, der gewerkschaftliche | |
Organisationsgrad im Osten im Vergleich zum Westen gleichwohl weiterhin | |
deutlich unterdurchschnittlich ist. | |
11 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.greenpeace.de/publikationen/Apell_Klimageld.pdf | |
[2] /Tarifabschluss-im-oeffentlichen-Dienst/!5929588 | |
[3] /Beigelegter-Tarifkonflikt-bei-der-Post/!5918542 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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