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# taz.de -- Bundestagswahl: Weihnachtsgrüße aus Karlsruhe
> Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über eine Wiederholung der
> Bundestagswahl in Berlin. Für die Linkspartei könnte dies fatale Folgen
> bedeuten.
Bild: Rote Roben mit Einfluss: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
Berlin taz | Acht Männer und Frauen, rot gewandet und bemützt, werden am
Dienstagmorgen in einem holzgetäfelten Saal mit einer Überraschung
aufwarten. Weihnachtsmanntreffen mit Geschenken? Nein, Urteilsverkündung
des Bundesverfassungsgerichts zu einer möglichen Wiederholung der
Bundestagswahl von 2021 in Berlin wegen der damaligen Wahlpannen.
Als Geschenk wertet das allein schon wegen des zu erwartenden Aufwands und
der Kosten kaum jemand. Die Mehrheit der Ampelkoalition im Bund ist zwar
nicht gefährdet, aber die Linkspartei könnte als Folge des Urteils aus dem
Bundestag fliegen. Kommt es zu einer Wahlwiederholung, gilt der 11. Februar
dafür als wahrscheinlichster Termin. Das hatte Landeswahlleiter Stephan
Bröchler bereits bestätigt.
Zweieinviertel Jahre liegt inzwischen jener 26. September 2021 zurück, an
dem Berlin als Stadt von Chaos und Pannen bundesweit durch die Nachrichten
ging. Damals stand hier nicht nur wie überall zwischen Flensburg und
Berchtesgaden die Bundestagswahl an: In Berlin waren zudem das
Abgeordnetenhaus und die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen zu wählen.
Zu diesen bereits fünf Stimmzetteln kam ein weiterer, weil auch über den
Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ abzustimmen war. Für
zahlreiche Sperrungen in der Innenstadt sorgte der Marathonlauf mit knapp
40.000 Gemeldeten.
In dieser Gemengelage kam es zu in Berlin und deutschlandweit in größerem
Stil noch nie erlebten Szenen. In zahlreichen Wahllokalen gingen die
Stimmzettel aus – oder es gab nicht die richtigen. Weniger Wahlkabinen als
sonst, auch Folge der noch währenden Coronapandemie, sorgten zudem teils
für lange Schlangen und Wartezeiten von über einer Stunde vor den
Wahllokalen. Viele Wahllokale blieben dann auch noch geöffnet, als
unmittelbar nach der eigentliche geplanten Schließung um 18 Uhr
Fernsehsender erste Hochrechnungen veröffentlichten.
## Pannen führten bereits zur Wahlwiederholung
Mit diesen Pannen hat sich bereits das Berliner Landesverfassungsgericht
beschäftigt und die Wahl zum Abgeordnetenhaus und in den Bezirken für
ungültig erklärt, was auf diesen Ebenen zur [1][Wahlwiederholung am 12.
Februar] dieses Jahres führte. Auf die Bundestagswahl hatte das Urteil
keine Auswirkungen. Dort befasste sich zunächst der Wahlprüfungsausschuss
des Bundestags mit den zahlreichen Beschwerden, das gesamte Parlament
entschied schließlich: Die Wahl sei in knapp einem Sechstel der Wahllokale
zu wiederholen. Das Parlament blieb damit deutlich unter der Empfehlung des
Bundeswahlleiters: Der drängte darauf, in sechs der zwölf Berliner
Bundestagswahlkreise komplett noch einmal wählen zu lassen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollte das nicht so stehen lassen und klagte
– korrekt ausgedrückt: Sie reichte eine Wahlprüfungsbeschwerde ein. Das
wiederum führt zu diesem Dienstagmorgen in Karlsruhe und der
Urteilsverkündung der rot berobten Bundesverfassungsrichter.
Folgende Szenarien stehen dabei zur Auswahl: Es gibt erstens gar keine
Wahlwiederholung, zweitens eine gemäß dem Beschluss des Bundestags,
drittens die deutlich weiter gehende Nachwahl in sechs Wahlkreisen oder
viertens eine komplette Neuwahl in ganz Berlin.
Die vierte Variante wäre die einzige mit bundesweiten Konsequenzen – und
stellt das Horrorszenario für die Linke dar. Sie ist 2021 unter der
Fünfprozenthürde geblieben und nur deshalb im Bundestag, weil ihre
Kandidatinnen und Kandidaten drei Wahlkreise direkt gewonnen haben – zwei
davon in Berlin, nämlich Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Beide gehören
nicht zu den den sechs Wahlkreisen, in denen der Bundeswahlleiter neu
wählen lassen wollte.
## Die AfD boomt, die Linkspartei ist im Stimmungstief
[2][Das Bundesverfassungsgericht] werde wohl kaum über die bisherige
Maximalforderung – jene des Bundeswahlleiters – hinausgehen, lautet die
Hoffnung derjenigen, denen vor einer Wiederwahl gruselt. Doch wenn der
Maßstab das Urteil des Landesverfassungsgerichts von Ende November 2022
ist, scheint alles möglich. Dass die obersten Berliner Richter die Wahl
tatsächlich komplett wiederholen lassen würden, galt vorher fast als
undenkbar – passierte aber genau so.
Kommt es zu einer Wiederholung in allen zwölf Wahlkreisen, wird das
Lichtenberger Bezirkswahlamt in der Egon-Erwin-Kisch-Straße für einen Tag
zum Epizentrum der bundesdeutschen Politik. Zwar muss die Linke auch in
Treptow-Köpenick ein Direktmandat verteidigen. Aber dort gewann 2021 der
weit über Parteigrenzen hinaus beliebte Gregor Gysi mit 20 Prozentpunkten
Vorsprung – die Zweit- und die Drittplatzierte bekamen zusammen weniger
Stimmen als er.
In Lichtenberg hingegen war der Ausgang 2021 knapper: Gesine Lötzsch von
der Linken lag rund 6 Prozentpunkte vor einer SPD-Bewerberin.
[3][Inzwischen aber boomt seit Monaten die AfD], während die Linkspartei im
Stimmungstief ist und gerade eine Spaltung hinter sich hat. Lötzsch hat den
Wahlkreis zwar seit 2002 immer gewonnen. Doch seit 2009 gehen ihren
Ergebnisse konstant zurück: von seinerzeit noch 47,5 auf zuletzt 25,8
Prozent.
## „Landeswahlleitung und Bezirke sind vorbereitet“
Es kommt dabei zu der bizarren Situation, dass bei einer Wahlwiederholung
auch die Anhänger der von der Linkspartei abgespalteten Gruppierung
„Bündnis Sahra Wagenknecht“, kurz BSW, Gesine Lötzsch unterstützen müss…
Denn wenn die Linke den Wahlkreis verliert und damit keine drei
Direktmandate mehr hätte, müsste mit ihr auch das BSW raus aus dem
Bundestag.
Was auch immer im Karlsruher Sitzungssaal entschieden wird: Berlins
Wahlleiter Stephan Bröchler, der schon die Wiederholung auf Landesebene am
12. Februar 2023 mit viel Lob hinbekam, ist zuversichtlich, auch damit
fertig zu werden. „Landeswahlleitung und Bezirke sind vorbereitet“,
versicherte Bröchler schon vor zwei Wochen. Gewählt werden muss binnen 60
Tagen ab dem Urteil. Die will der Wahlleiter offenbar ausschöpfen und den
letztmöglichen Sonntag in dieser Frist nehmen – eben den 11. Februar.
18 Dec 2023
## LINKS
[1] /Wahlwiederholung-am-12-Februar-2023/!5892299
[2] /Bundesverfassungsgericht-zu-Wahlrecht/!5972641
[3] /AfD-Buergermeister-in-Pirna/!5980670
## AUTOREN
Stefan Alberti
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