| # taz.de -- Wahlwiederholung am 12. Februar 2023: Das darf ja wohl nicht wahl s… | |
| > Das Verfassungsgericht hat geurteilt: Die Wahlen vom 26. September 2021 | |
| > sind ungültig. Und was heißt das jetzt? | |
| Bild: Diesmal im eigenen Saal und nicht im FU-Hörsaal: Das Verfassungsgericht … | |
| Was hat das Verfassungsgericht genau entschieden? | |
| Dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf | |
| Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 ungültig sind und | |
| wiederholt werden müssen – also genau das, was Gerichtspräsidentin Ludgera | |
| Selting schon bei der mündlichen Verhandlung Ende September als vorläufige | |
| Einschätzung vorgetragen hatte. | |
| Wann soll neu gewählt werden? | |
| Am 12. Februar 2023. [1][Landeswahlleiter Stephan Bröchler] kündigte der | |
| taz gegenüber an, dass der Termin am Freitag im Amtsblatt des Landes stehen | |
| und dann offiziell sein wird. Anders als bei einer normalen Wahl legt bei | |
| einer Wahlwiederholung nicht der Senat, sondern die Wahlleitung den Termin | |
| fest. | |
| Das Parlament ist dann für fünf Jahre neu gewählt? | |
| Nein. Jetzt wird es etwas kompliziert: Es ist zwar eine Wahlwiederholung, | |
| aber das Parlament ist nicht aufgelöst, und die bisherige Wahlperiode läuft | |
| weiter. Wer also im Februar 2023 neu ins Parlament kommt, hat seinen Sitz | |
| nur für dreieinhalb Jahre bis zur nächsten regulären Berlin-Wahl 2026. | |
| Ist das aktuelle Parlament jetzt eingeschränkt in seinen Befugnissen? Wegen | |
| dieser Befürchtung wurde ja am Montag auf die Schnelle noch der | |
| Nachtragshaushalt beschlossen. | |
| Nein. Das Urteil wirkt – im Juristenlatein – „ex nunc“, was im Gegensat… | |
| „ex tunc“ heißt, dass es nicht rückwirkend gilt. Das Parlament bleibt | |
| handlungsfähig. | |
| Hat [2][das neunköpfige Gericht] einstimmig geurteilt? | |
| Nein: Die Entscheidung fiel 7:2. | |
| Wer hatte eigentlich geklagt? | |
| „Klagen“ stimmt nicht ganz – offiziell heißt es „Einspruch einlegen“… | |
| passierte 35 Mal. Verhandelt wurden exemplarisch vier Einsprüche: jene der | |
| Landeswahlleitung, der Senatsinnenverwaltung sowie der Parteien AfD und Die | |
| Partei. | |
| Was ist der wichtigste Grund für das Urteil? | |
| Die aus Sicht des Gerichts völlig unzureichende Vorbereitung der Wahl. | |
| Dabei habe es „schwere systemische Mängel“ gegeben. Das Gelingen sei | |
| deshalb schon vor Beginn in Gefahr gewesen. Schon bei der mündlichen | |
| Verhandlung war die Kritik des Gerichts hart ausgefallen, aber diesmal war | |
| sie noch schärfer. | |
| Was hat die Wahlleitung falsch gemacht? | |
| Sie habe pro Wähler zu wenig Zeit veranschlagt – nur drei Minuten für sechs | |
| abzugebende Stimmen – und auf dieser Basis die Zahl der nötigen Wahlkabinen | |
| berechnet. Sie ging zudem aus Sicht des Gerichts von einer zu hohen Zahl | |
| von Briefwählern aus. Außerdem sei die Gleichheit der Wahl dadurch | |
| beeinflusst worden, dass viele noch nach 18 Uhr abstimmen konnten, obwohl | |
| da bereits Umfrageergebnisse bekannt waren. | |
| Und die Helfer in den Wahllokalen? | |
| Die nahm das Gericht ausdrücklich von seiner Kritik aus: Sie hätten „alles | |
| im Rahmen ihrer Möglichkeiten Stehende“ versucht, Probleme zu lösen. | |
| Viele Juristen hatte schon die vorläufige Einschätzung des Gerichts | |
| überrascht – sie hielten die Wahlfehler für nicht so relevant, dass sie das | |
| Wahlausgang wirklich beeinflusst hätten. | |
| Das Gericht sieht das anders: 88 von den 147 Mandaten im Abgeordnetenhaus – | |
| und damit fast 60 Prozent – seien von Wahlfehlern betroffen. | |
| Warum hat das Gericht nicht entschieden, nur in den betroffenen Wahllokalen | |
| wählen zu lassen? | |
| Wegen des Prinzips der Einheitlichkeit einer Wahl: Dann wäre ein Teil des | |
| Parlaments in der politischen Stimmung vom September 2021 gewählt worden, | |
| ein anderer in der vom Februar 2023. | |
| Gibt es nun personelle Konsequenzen? | |
| Die damalige Wahlleiterin ist ja schon kurz nach der Wahl 2021 | |
| zurückgetreten. Noch mehr unter Druck gerät dadurch hingegen der damalige | |
| Innen- und heutige Bausenator Andreas Geisel (SPD). Über den heißt es bei | |
| den Grünen, es sei noch immer keine Entschuldigung zu hören gewesen. Weiter | |
| aber mochte Landesparteichef Philmon Ghirmai nach der Urteilsverkündung | |
| nicht gehen: „Es ist unangebracht, sich in einer Koalition zum Rücktritt | |
| aufzufordern.“ | |
| Wer profitiert von der Wahlwiederholung? | |
| Alle, die bei der Wahl 2021 verloren haben oder hinter ihren Erwartungen | |
| zurückgeblieben sind: vor allem Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch | |
| und die damals auf 8 Prozent abgesackte AfD, die in Umfragen jetzt wieder | |
| zweistellig ist. Aber auch einzelne Bewerber – etwa Burkard Dregger, | |
| Ex-Fraktionschef der CDU, der am Mittwoch auch im Gerichtssaal war. Dregger | |
| verlor 2021, als seine Partei landesweit hinter der SPD lag, seinen | |
| Wahlkreis. In der neuesten Umfrage aber liegt die CDU vorn. | |
| Bekommt Berlin im Februar also eine neue Regierung? | |
| Davon ist aktuell nicht auszugehen. Grüne und Linkspartei sagen offen, dass | |
| sie in der jetzigen Konstellation weitermachen wollen, und auch der SPD | |
| bleibt angesichts ihres am Samstag beim Landesparteitag manifestierten | |
| Linkskurses kaum etwas anderes übrig. In besagter Umfrage hat diese | |
| Koalition weiter eine absolute Mehrheit. | |
| Also bleibt eigentlich alles beim Alten? | |
| Nicht unbedingt. Völlig offen ist, wer die Koalition im nächsten Jahr | |
| anführt: die jetzige Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) oder ihre | |
| aktuelle Stellvertreterin Bettina Jarasch (Grüne). Die versprach [3][jüngst | |
| im taz-Interview]: „Ich werde diese zweite Chance auch nutzen.“ Giffeys | |
| SPD, vor einem Monat noch fünf Prozentpunkte hinter den Grünen, liegt | |
| inzwischen wieder gleichauf. | |
| Die Innenverwaltung des Senats hatte nahegelegt, das | |
| Landesverfassungsgericht solle sein Urteil dem Bundesverfassungsgericht | |
| vorlegen. | |
| Das hält Gerichtspräsidentin Ludgera Selting nicht für nötig: „Die | |
| Voraussetzungen einer solchen Vorlagepflicht sind nicht gegeben.“ Aus ihrer | |
| Sicht verfügen die Länder über weitgehende Verfassungsautonomie, zudem sei | |
| der ganze Sachverhalt neu. | |
| Was ist mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“? Der war | |
| doch auch im September 2021. | |
| Der Entscheid wird nicht wiederholt, weil sein klares Ergebnis gar nicht | |
| angefochten wurde. Die vom Senat eingesetzte Enteignungskommission kann | |
| weitermachen. | |
| Und der Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“? Kommt der am 12. | |
| Februar? | |
| Das war am Mittwoch noch offen: Die Innenverwaltung des Senats hielt das | |
| für „unwahrscheinlich“, weil der Aufwand für eine weitere Abstimmung zu | |
| groß sei. Die hinter dem Volksbegehren stehende Initiative sieht das | |
| [4][genau anders herum]. | |
| 16 Nov 2022 | |
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| [1] https://www.hwr-berlin.de/hwr-berlin/ueber-uns/personen-von-a-bis-z/2428-st… | |
| [2] https://www.berlin.de/gerichte/sonstige-gerichte/verfassungsgerichtshof/art… | |
| [3] /Vize-Regierungschefin-will-kaempfen/!5889817 | |
| [4] https://twitter.com/klimaneustart/status/1592830037291855874?ref_src=twsrc%… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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