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# taz.de -- Volksentscheid und Wahltermin: Totengräber der direkten Demokratie
> Den Klima-Volksentscheid nicht auf den Wahltag zu legen, ist ein Skandal.
> Für das politische Kalkül wird die direkte Demokratie beschädigt.
Bild: Einig in der Missachtung der Bürger:innen: Andreas Geisel, Franziskla Gi…
Es wäre der ultimative Offenbarungseid für die Demokratie in Berlin. Als
würden die [1][notwendig gewordene Wahlwiederholung von Abgeordnetenhaus-
und Bezirkswahlen] sowie die spätere teilweise Wiederholung der
Bundestagswahl nicht schon genug Vertrauen in die Demokratie beschädigen,
droht nun ein irreparabler Schaden.
Ganz ungeniert hat die SPD-geführte Innenverwaltung angekündigt, dass der
Volksentscheid über das aller Voraussicht nach erfolgreiche
[2][Volksbegehren Berlin 2030 Klimaneutral wohl nicht am 12. Februar, dem
Tag der Wahlwiederholung stattfinden soll]. Stattdessen würden die
Berliner:innen nur wenige Wochen später erneut zum Wahllokal gerufen
werden.
Begründet wird dies mit der „enormen organisatorischen Herausforderung“,
die schon die Vorbereitung eines Wahlgangs erfordere. Übersetzt heißt das:
Berlins Verwaltung fühlt sich unfähig innerhalb von fast drei Monaten den
Druck der Wahlzettel für das Volksbegehren zu organisieren. Allein diese
Handlungsunfähigkeit wäre Grund genug, die zuständige Innensenatorin Iris
Spranger ihrer Aufgaben zu entbinden – und selbstverständlich auch den für
das Wahlchaos im vergangenen Jahr verantwortlichen Senator Andreas Geisel
(ebenfalls SPD).
Tatsächlich aber ist die Situation schlimmer. Spranger und dem Senat, von
dem bisher kein Widerspruch zu hören ist, mangelt es am Respekt vor den
Bürger:innen und der demokratischen Institution der direkten Demokratie.
Ihre Pflicht wäre es, alles zu tun und das auch zu kommunizieren, um dem
Volksentscheid die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Den Entscheid
also dann stattfinden zu lassen, wenn das Beteiligungsquorum von mindestens
25 Prozent sicher erfüllt werden wird. Dass sie diese Anstrengung und auch
jedes Bedauern vermissen lassen, zeigt, was eigentlich dahinter steckt:
Kaltschnäuzige Ignoranz und politisches Kalkül.
## Hoffen aufs Scheitern
Die SPD und auch die Koalitionspartner lehnen den Volksentscheid ab und
hoffen darauf, dass ihnen der Druck, viel mehr in den Klimaschutz zu
investieren, erspart bleibt. Also spekulieren sie nun offensichtlich
darauf, dass sich an einem eigenständigen Wahltermin nicht genügend
Menschen zur Abstimmung motivieren lassen. Nicht zu Unrecht: Noch ist es
jedem Volksentscheid, der nicht parallel zu einer Wahl stattgefunden hat,
schwergefallen, ein Viertel der Berliner:innen an die Urnen zu bewegen.
Für die Sabotage am Bürgerwillen werden dann auch keine Kosten und Mühen
gescheut. 39 Millionen Euro kostet allein die Wahlwiederholung, eine
ähnliche Summe wäre zusätzlich nötig bei einem eigenen
Volksentscheid-Termin. Gerade erst musste die Aufwandsentschädigung für
Wahlhelfer:innen auf 240 Euro vervierfacht werden, weil sich anders
kaum 38.000 Freiwillige für einen Wahltermin finden lassen, die laut
Landeswahlleitung wohl benötigt werden.
Das Schlimmste daran: Das alles ist kein Ausrutscher. Vor allem die SPD
betrachtet Volksentscheide seit jeher als lästig. Das Tempelhofer Feld will
sie hartnäckig bebauen lassen, [3][Deutsche Wohnen Enteignen hat sie
auflaufen lassen], so gut es ging. Die Mündigkeit der Bürger:innen und
das Demokratievertrauen hat sie damit massiv beschädigt. Wie viele
Berliner:innen winken inzwischen bei der Unterschriftensammlung für
Volksbegehen ab und sagen: „Das wird doch eh nicht umgesetzt.“
Noch kann der Senat Sprangers Empfehlung ablehnen. Für die Wähler:innen
bleiben in jedem Fall zwei gute Nachrichten: Der Volksentscheid wird so
oder so kommen, und man kann ihn zum Erfolg verhelfen. Und: Niemand muss
die Totengräber der direkten Demokratie wiederwählen.
17 Nov 2022
## LINKS
[1] /Entscheidung-des-Verfassungsgerichts/!5895722
[2] /Wahlwiederholung-ohne-Volksentscheid/!5892305
[3] /Streit-um-Expertinnenkommission/!5855512
## AUTOREN
Erik Peter
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