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# taz.de -- Rechtswissenschaftler zum Wahlurteil: „Urteil von seltener Deutli…
> Die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl ist verhältnismäßig, findet
> Rechtsexperte Christian Waldhoff. Er sieht „systemisches
> Organisationsversagen“.
Bild: Nach dem Urteil ist vor der Wahl: Die Regierende Franziska Giffey (SPD) n…
taz: Herr Waldhoff, das Landesverfassungsgericht hat am Mitwoch eine
komplette Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl von 2021 für notwendig
erklärt. Finden Sie das nachvollziehbar?
Christian Waldhoff: Ja. Das ist eine mutige Entscheidung. Aber ich würde
mich da der Argumentation des Verfassungsgerichts anschließen: Die
Kumulation der Wahlfehler ist so evident und mandatsrelevant, dass die
Waagschale zugunsten der Neuwahlen richtig gesenkt wurde.
Das Urteil fiel unter den Richter*innen nicht einstimmig. Es gab auch
eine Gegenstimme und ein Sondervotum, das sagt: die Komplettwiederholung
sei unverhältnismäßig.
Die Mandatsrelevanz kann nie präzise bewiesen werden. Sie werden nie genau
sagen können, wie viele Wählerinnen und Wähler durch überlange Schlangen
vor den Wahllokalen abgeschreckt wurden. Insofern gibt es da einen
Wertungsspielraum für das Gericht und den haben die Richterinnen und
Richter ausgenutzt.
Gerade weil es einen Wertungsspielraum gibt und man nicht alles genau
aufklären kann: Wäre da ein weniger schwerer Eingriff als eine
Wahlwiederholung nicht verhältnismäßig gewesen?
Das Urteil ist ja von einer Deutlichkeit, wie man es selten findet. Die
Begründung des Mehrheitsvotums finde ich überzeugend: Es wurde ein
systemisches Organisationsversagen all derer festgestellt, die diese Wahl
vorbereitet haben. Das hat die demokratische Integrität der Wahlen so
beschädigt, dass man in der Abwägung gesagt hat: Es muss neu gewählt
werden.
Dennoch: 1,8 Millionen abgegebene Stimmen, lediglich 20.000 wurden nach
Schätzungen der Richter*innen in ihrer Stimmabgabe behindert. Das
erscheint nicht sehr viel.
Der Punkt ist, das meine ich mit systemischem Versagen: Die
Wahlvorbereitung ist völlig schief gelaufen. Hätte man realistisch
berechnet, wie viele Kabinen zur Verfügung stehen in welchem Zeitraum, dann
hätte man sehen können, dass teilweise maximal 40 Prozent der
Stimmberechtigten ihre Stimme hätten abgeben können. Das kann natürlich
nicht richtig und zulässig sein.
Wer kann jetzt vors Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe gehen, um die
Entscheidung der Berliner Verfassungsrichter*innen anzugreifen?
Alle Abgeordneten mit der Begründung, dass sie um ihre Wiederwahl fürchten
müssen. Und auch die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen. Denn
sie wurden ja für fünf Jahre gewählt und sie können sich gegen das
potenziell vorzeitige Ende ihres Mandats wehren. Die Frage ist: Was kann in
Karlsruhe überprüft werden? Das Verfassungsrecht sagt: Wenn ein
Landesverfassungsgericht abweichen möchte von der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts oder eines Landesverfassungsgerichts, dann
muss vorab das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden. Aber
das Berliner Urteil verhält sich auch zu dieser Frage: Es kann nicht
abgewichen werden, weil man Neuland betrat. Ein solcher Sachverhalt hat in
der Bundesrepublik seit 1949 nicht vorgelegen.
Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Klage in Karlsruhe
zugelassen würde, ist nicht gerade sehr hoch?
Ich schätze die Erfolgsaussichten als sehr gering ein.
Hätte ein Eilentscheid in Karlsruhe, der eine Klage zulassen würde,
aufschiebende Wirkung für den Wahltermin am 12. Februar?
Die betroffene Person müsste eine Verfassungsbeschwerde wegen
Grundrechtsverletzung stellen. Das hat als solches keine aufschiebende
Wirkung. Man könnte aber versuchen, eine einstweilige Anordnung zu
erreichen. Die Erfolgsaussichten sind nicht sehr groß.
18 Nov 2022
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Berlin
Bundesverfassungsgericht
Franziska Giffey
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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Verfassungsgericht
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