Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wahlwiederholung in der Hauptstadt: Berliner Wahlkrampf
> Das Verfassungsgericht hat gesprochen: Die Berliner Wahlen von 2021
> müssen wiederholt werden. Dem rot-grün-roten Senat kommt das eher
> ungelegen.
Bild: Ist als damaliger Innensenator politisch verantwortlich für das Berliner…
Berlin taz | Und dann ist in Berlin [1][schon wieder Wahlkampf]. Keine elf
Monate ist die Koalition aus SPD, Grünen und Linken unter Franziska Giffey
(SPD) im Amt, da müssen die Parteien erneut bei den Berliner*innen um
Bestätigung werben.
Das liegt nicht etwa daran, dass das linke Bündnis zerbrochen wäre, was
nach den zähen Koalitionsverhandlungen im Herbst 2021 kaum jemanden
überrascht hätte. Doch, sieh an, die sachliche Zusammenarbeit klappe gut,
betonen alle drei Parteien. Entsprechend überschaubar ist der Drang, in den
Wettstreit gegeneinander zu ziehen, nachdem das Berliner Verfassungsgericht
am Mittwoch [2][die Wahl zum Abgeordnetenhaus von 2021 für ungültig
erklärt] hat.
Da es nun aber so ist, steht der grüne Fraktionschef Werner Graf am
Donnerstag am Rednerpult des Berliner Abgeordnetenhauses und teilt kräftig
aus. Zugespitzt fordert Graf den Kopf des SPD-Bausenators. Ein
unfreundlicher Akt zwischen politischen Ehepartner*innen; in anderen Zeiten
wäre dieser Auftritt wohl ein Trennungsgrund.
Aber dies sind keine normalen Zeiten, es ist Wahlkampf. Oder besser:
Wahlkrampf. Deshalb vermeidet Graf das Wort „Rücktritt“, und er nennt auch
nicht den Namen des Senators. Andreas Geisel heißt er. Die Wahlwiederholung
sei der „worst case“ für die Berliner Politik, schimpft Graf; diese
„Klatsche“ müsse Konsequenzen haben. „Ein einfaches Weiterwurschteln, ein
Schönreden darf es nicht geben.“
Geisel war in der vergangen Legislaturperiode Innensenator in Berlin und
damit politisch verantwortlich für die Organisation der Wahlen. Die neun
Richter*innen des Berliner Verfassungsgerichtshofs haben in ihm –
ebenfalls ohne seinen Namen zu nennen – einen der Hauptschuldigen
ausgemacht für die derart schlechte Organisation. Bekanntlich kam es zu
zahlreichen Pannen, falsch ausgegebenen Wahlzetteln, langen Schlangen und
Wahllokalen, die teils bis nach 20 Uhr geöffnet waren.
In seinem Urteil am Mittwoch folgerte das Gericht, dass nur eine komplette
Wiederholung der Wahl eine „Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses
gewährleistet, die den rechtlichen Anforderungen an demokratische Wahlen
genügt“, wie Ludgera Selting, die Präsidentin des Verfassungsgerichtshof,
erklärte. Am 12. Februar 2023 wird erneut gewählt.
Doch dass Geisel wegen der Pannen sein Amt aufgeben muss, ist
unwahrscheinlich. Zu wichtig ist er für die Berliner Bürgermeisterin
Franziska Giffey; schließlich soll er für 20.000 neue Wohnungen pro Jahr
sorgen und das Giffey’sche Mantra vom „Bauen, bauen, bauen“ umsetzen,
sprich, das im vergangenen Wahlkampf zentrale Thema Mieten- und
Wohnungspolitik abräumen. Zudem hat sich die Regierende Bürgermeisterin
offenbar entschieden, einen Wohlfühlwahlkampf zu führen. Schlechte
Nachrichten passen da nicht ins Bild.
## SPD, Grüne und CDU ziemlich gleichauf
2021 hatte sich Giffey noch explizit von zentralen Punkten der
rot-grün-roten Koalition unter ihrem Vorgänger Michael Müller abgegrenzt
und etwa mit autofreundlichen Thesen um Stimmen von der CDU geworben. Nun
verkauft sie die Politik der Koalition seit ihrem Amtsantritt als einen
großen Erfolg: So habe man 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen,
eigenständige Hilfsprogramme in Höhe von 3 Milliarden Euro für
Berliner*innen und die hiesige Wirtschaft aufgestellt und ein
29-Euro-Ticket nur für Berlin eingeführt. Die Botschaft: Diese Koalition
bringt Berlin gut durch die Energiekrise.
Wie die im Winter verlaufen wird, wird maßgeblich das Wahlergebnis
beeinflussen. Zu viel Zwist zwischen den Senator*innen – darin sind
sich alle einig – kommt da überhaupt nicht gut an bei den Wähler*innen.
Diese wünschten sich angesichts der ungewissen Lage nichts mehr als
Sicherheit.
Darüber hinaus sind Prognosen schwierig. Aktuelle Umfragen gibt es bisher
wenige, zuletzt standen die drei aussichtsreichsten Parteien SPD, Grüne und
CDU gleichauf bei je knapp 20 Prozent. Wird die CDU zur großen Gewinnerin,
weil sie im Bund im Vergleich zu 2021 zugelegt hat? Wie kommt die
Regierende Giffey bei den Berliner*innen an? Man weiß es nicht so
recht.
Schließlich stehen Grüne, Linke und SPD vor einem weiteren Dilemma:
Eigentlich wollen sie die Koalition fortsetzen, Linke und Grüne sagen es
offen. Letztere hoffen, diesmal vor der SPD zu landen und mit Bettina
Jarasch die Regierungschefin zu stellen.
Doch wie Politik und Profilierung letztlich zusammengehen, weiß niemand.
Und Bausenator Geisel, den würden Grüne und Linke tatsächlich gern noch
loswerden.
18 Nov 2022
## LINKS
[1] /Rechtswissenschaftler-zum-Wahlurteil/!5892508
[2] /Wahlwiederholung-am-12-Februar-2023/!5892299
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Gerichtsurteil
Andreas Geisel
Franziska Giffey
Neuwahl
Innenausschuss
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wahlwiederholung in Berlin: Sind Wahlen eine „Herkulesaufgabe“?
Der Innenausschuss streitet, wie groß der Aufwand einer Wahl in Berlin ist.
Dahinter steht auch die Frage, ob parallel ein Volksentscheid stattfindet.
Parteitreffen der Berliner Grünen: Werbung für Bettina Jarasch
Am Samstag wollen die Grünen erneut ihre Spitzenkandidatin küren. Das
Treffen könnte zur Kampfansage an die SPD werden.
Wahlwiederholung in Berlin: Mehr Stimmzettel, mehr Helfer
42.000 Wahlhelfende sollen ein erneutes Chaos am 12. Februar verhindern –
deutlich mehr als 2021. Nur: Werden sich genügend Leute melden?
Rechtswissenschaftler zum Wahlurteil: „Urteil von seltener Deutlichkeit“
Die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl ist verhältnismäßig, findet
Rechtsexperte Christian Waldhoff. Er sieht „systemisches
Organisationsversagen“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.