| # taz.de -- Milizen in der DR Kongo: Für Staatschef und Vaterland | |
| > „Wazalendo“, also Patrioten, nennen sich Milizen in Kongo. Sie jagen | |
| > Tutsi und sollen Präsident Tshisekedis Wahlsieg sichern. | |
| Bild: Tshisekedi-Anhänger bei seiner Abschlussveranstaltung im Wahlkampf, Kins… | |
| Kampala/Goma taz | Von Weitem sehen sie aus wie Soldaten. Sie hocken zu | |
| fünft hoch oben auf einem Hügel, in Uniform, Sturmgewehre im Anschlag. Tief | |
| unten vor ihnen liegt die kongolesische Millionenstadt Goma am Ufer des | |
| Kivu-Sees. Nach rechts geht der Blick in die Berge der ostkongolesischen | |
| Provinz Nord-Kivu, wo sich seit Jahrzehnten Milizen tummeln. Nach links | |
| können sie hinüber nach Ruanda blicken, die Grenze ist nur wenige Kilometer | |
| entfernt. | |
| Zwischen Hügel und Grenze verläuft die Frontlinie im [1][Krieg zwischen | |
| Kongos Armee und der Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März)], die | |
| laut UN von Ruanda unterstützt wird. | |
| Die fünf jungen Männer sind keine Soldaten, sondern „Wazalendo“ | |
| (Patrioten). Das sind paramilitärische Gruppen, die den Streitkräften gegen | |
| die M23 helfen sollen. Milizen, die sich meist entlang ethnischer Linie | |
| bilden, verteidigen seit dreißig Jahren in den Bergen und Wäldern | |
| Ostkongos, wo kaum staatliche Strukturen hinreichen, ihre Dörfer und | |
| bekämpfen sich untereinander. | |
| Jetzt werden diese Milizen, die zum Teil grausamer Verbrechen schuldig | |
| sind, von allerhöchster Stelle eingespannt. Sie sollen Präsident Félix | |
| Tshisekedi den Sieg bringen – auf dem Schlachtfeld gegen die M23, und | |
| [2][an der Wahlurne am 20. Dezember], wenn die 100 Millionen Kongolesen | |
| einen neuen Präsidenten wählen. | |
| ## „Verräter“ finden | |
| In einer feurigen Rede in Kongos Hauptstadt Kinshasa hatte Tshisekedi | |
| [3][im November 2022], als die M23-Rebellen aus den Bergen auf Goma | |
| vorrückten, „alle Jugendlichen des Landes“ aufgerufen, „Wachsamkeitsgrup… | |
| zu organisieren, mit dem Ziel, unsere Verteidigungs- und Sicherheitskräfte | |
| zu unterstützen“. Sie sollten sämtliche „Verräter“ ausfindig machen, d… | |
| für den Feind arbeiten. | |
| Im Mai 2023 entsandte der Präsident seine höchsten Generäle in den | |
| Dschungel, um eine Koalition aller bewaffneten Gruppen zu formieren, die | |
| Schulter an Schulter mit der Armee kämpfen sollen: die Wazalendo. | |
| So hocken nun diese Milizionäre nahe Goma schwer bewaffnet an vorderster | |
| Front. Von der Armeeführung haben sie alte Uniformen, Waffen und Munition | |
| erhalten. „Wir bekommen auch Lebensmittelrationen wie Reis, Salz, Bohnen | |
| und Mais“, erklärt einer von ihnen der taz. Offiziell ist er Sprecher einer | |
| lokalen ethnischen Miliz, die eine wichtige Straßenverbindung | |
| kontrolliert. Jetzt genießt seine Truppe den Segen des Präsidenten. | |
| Der Milizensprecher bestätigt: Um Geld einzunehmen, errichten seine Kämpfer | |
| Straßensperren. Zum Leid der Bauern und Händler erheben sie Steuern für | |
| jeden Sack Kartoffeln, jede Ziege, jeden Passanten. Die Lebensmittelpreise | |
| im eingekesselten Goma sind in den vergangenen Monaten deswegen extrem | |
| gestiegen. | |
| Seit einigen Wochen ziehen Wazalendo mit einer weiteren Mission von Haus zu | |
| Haus: „Wir haben eine Nachricht aus Kinshasa erhalten, jeweils ein | |
| Bataillon zu organisieren, das die Wahlen schützen soll“, erklärt der | |
| Milizionär. Und auch der offizielle Wazalendo-Sprecher, [4][Jules Mulumba], | |
| versichert in Fernseh- und Radiointerviews landesweit: „Wir empfehlen jedem | |
| kongolesischen Muzalendo, den Kandidaten Nummer 20 zu wählen, also Félix | |
| Antoine Tshisekedi.“ | |
| Nicht nur an der Front gegen die von Tutsi-Generälen geführte M23 gibt es | |
| diese Milizen, sondern überall im Land schießen Wazalendo-Gruppen wie Pilze | |
| aus dem Boden. In den Armenvierteln der Städte nennen sich jetzt | |
| Jugendbanden Wazalendo, die früher ganz anders hießen. | |
| In Goma ziehen sie nachts in Uniformen und mit Macheten durch die düsteren | |
| Gassen, berichten Einwohner. Ihre erklärter Feind ist das Nachbarland | |
| Ruanda, das laut UN die M23 unterstützt, sowie die kongolesischen Tutsi, | |
| die als fünfte Kolonne Ruandas gelten und daher als „Verräter“. | |
| Die Tutsi in Goma fühlen sich den Wazalendo hilflos ausgeliefert. „Sie | |
| kamen in unser Haus und haben einfach mitgenommen, was sie wollten, den | |
| Fernseher, die Möbel“, berichtet eine Tutsi-Familie aus Goma der taz am | |
| Telefon. Sie erstellen angeblich Listen, in welchem Haus wie viele Tutsi | |
| leben, ähnlich wie es die Hutu-Milizen in Ruanda vor dem Völkermord an den | |
| Tutsi 1994 taten. | |
| „Polizei und Militär können ihnen nichts entgegensetzen, im Gegenteil, sie | |
| sind unkontrollierbar“, sagt der Analyst [5][Onesphore Sematumba] von der | |
| International Crisis Group in Goma: „Es herrscht das totale Chaos.“ | |
| ## Kontrolle über die Straße | |
| Dieses Chaos wurde im August sichtbar, als Soldaten der Präsidentengarde in | |
| Goma auf Mitglieder einer religiösen Sekte schossen, die sich ebenfalls | |
| Wazalendo nannten. [6][In einem regelrechten Massaker] wurden über 40 | |
| Menschen getötet, darunter ein Kleinkind. Der Kommandant der Einheit | |
| rechtfertigte das mit der Behauptung, ruandische Spione hätten die | |
| Wazalendo infiltriert. | |
| Analysten sehen darin eher einen brutalen Versuch der Armeeführung, die | |
| Kontrolle über die Straße zurückzugewinnen. Seit diesem Vorfall nennen sich | |
| die staatstreuen Wazalendo in internen Dokumenten, die der taz vorliegen, | |
| gerne Wazalendo-VDP (Freiwillige zur Verteidigung des Vaterlandes). | |
| Selbst aus Kinshasa berichten Einwohner der taz, dass dort Wazalendo die | |
| Viertel unsicher machen. Laut deren Aussagen hat Tshisekedis Partei UDPS | |
| (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) Uniformen und Macheten an | |
| ihre militanten Jugendorganisationen ausgegeben, und auch sie nennen sich | |
| jetzt Wazalendo. | |
| „Als Tutsi kann ich nachts nicht auf die Straße gehen“, berichtet einer am | |
| Telefon. „Sie tun jetzt so, als agieren sie im Auftrag des Präsidenten.“ | |
| Als oberster Scharfmacher gilt [7][Muhindo Nzangi], Kongos Minister für | |
| höhere Bildung. Der aus Nord-Kivu stammende Anführer einer Kleinpartei | |
| namens Freiwillige Aktion für patriotische Wachablösung, der von vielen | |
| mittlerweile als der „Große Muzalendo“ betitelt wird, führt aktuell nicht | |
| nur Wahlkampf. Er zieht durch das ganze Land und verordnet an sämtlichen | |
| Universitäten den Studenten ein vierwöchiges Militärtraining. | |
| In hitzigen Reden ermutigt er die Jugend, Kongo gegen „ausländische | |
| Aggressoren, die uns kolonisieren wollen“ zu verteidigen. | |
| Landesweit wurden Rekrutierungszentren eingerichtet. „Heute schreiben Sie | |
| Geschichte“, lobte er vergangene Woche im Militärtrainingscamp in Kisangani | |
| die 500 Absolventen nach der bestandenen Grundausbildung: „Sie sind die | |
| ersten freiwilligen Studenten des Landes, die als Soldaten ausgebildet | |
| wurden.“ Auch sie dürfen sich nun Wazalendo nennen. | |
| ## Ideologie des Völkermords | |
| „Die Wazalendo sind nun Tshisekedis private Armee“, fasst Elizier Ushindi | |
| Mwendapeke zusammen. Der junge Kongolese war bis vor Kurzem Aktivist der | |
| Jugendorganisation „[8][La Lucha]“, eine der anerkanntesten | |
| zivilgesellschaftlichen Gruppen Ostkongos. | |
| Einst führte sie gewaltfreien Widerstand gegen staatliche Willkür. Heute | |
| nennen Lucha-Mitglieder die Wazalendo „unsere Brüder“ und predigen den | |
| bewaffneten Kampf. Viele seien jetzt Wazalendo, berichtet Mwendapeke der | |
| taz. | |
| Mwendapeke, der mittlerweile im Exil außerhalb Afrikas lebt, betreibt | |
| online die Plattform „Maisha“, die die Ideologie der Wazalendo analysiert. | |
| Er schlägt Alarm über deren Nähe zur Völkermord-Ideologie, die 1994 das | |
| organisierte Abschlachten der Tutsi in Ruanda begründete. In der Führung | |
| der im Ostkongo aktiven ruandischen Hutu-Miliz [9][FDLR (Demokratische | |
| Kräfte zur Befreiung Ruandas)] tummeln sich zahlreiche geflohene | |
| Verantwortliche dieses Völkermords. | |
| Zahlreiche ostkongolesische Milizen machen nicht nur Geschäfte mit der | |
| FDLR, sondern folgen auch deren Ideologie, alle Tutsi als zu bekämpfende | |
| „Fremde“ oder „Eindringlinge“ zu betrachten. Nun agieren sie als Wazale… | |
| Seit Kongos Präsident die Wazalendo in den Dienst des Staates gestellt hat, | |
| sei diese Völkermordideologie quasi „offizielle Staatspolitik“, so | |
| Mwendapeke. | |
| In sozialen Medien und Wahlkampfveranstaltungen werde gegen die | |
| Tutsi-Minderheit im Land gehetzt, berichtet er. Zahlreiche Musiker hätten | |
| sich den Wazalendo angeschlossen: „In einigen Texten werden Tutsi als | |
| Hundesöhne oder Kakerlaken bezeichnet, ganz wie vor dem Völkermord in | |
| Ruanda“, mahnt er an. „Selbst Kleinkinder singen diese Songs nun beim | |
| Spielen auf der Straße.“ Gegen Tutsi zu sein, sei im Kongo derzeit ein | |
| Symbol des Patriotismus: „Das ist der gemeinsame Nenner, der alle Wazalendo | |
| vereint.“ | |
| Immerhin, in seinen Reden hat Präsident Tshisekedi die Wazalendo gewarnt, | |
| keinen Hass zu verbreiten oder Verbrechen zu begehen. Dennoch häufen sich | |
| in jüngster Zeit brutale Übergriffe. Im Oktober wurde ein Tutsi-Offizier | |
| der Armee gelyncht. | |
| Es wirkt, als ob die Regierung keine Kontrolle über die Geister hat, die | |
| sie selbst herbeirief. Und es mehren sich Streitereien zwischen | |
| unterschiedlichen Gruppen, die als Wazalendo beziehungsweise VDP firmieren. | |
| ## Reservearmee neben der Armee | |
| Im Vorfeld der Wahl versuchte der Staat nun, den Wazalendo eine Struktur zu | |
| verpassen. Armeegeneräle wurden entsandt, um die Kämpfer in die | |
| Armeestrukturen einzubinden. Seit Langem ist vorgesehen, eine | |
| Reservistenarmee aufzubauen, um Invaliden und pensionierte Soldaten zu | |
| organisieren. Jetzt soll diese Reservestruktur auch die Wazalendo umfassen. | |
| Damit schlägt Tshisekedi gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, denn über | |
| die Armee hat er in den vergangenen Jahren nie endgültig die Kontrolle | |
| gewinnen können. Jetzt nutzt er die Wazalendo, um einige einflussreiche | |
| Generäle kalt zu stellen, die unter seinem Vorgänger Joseph Kabila zu den | |
| mächtigsten Männern des Landes zählten und sich dem Nachfolger nie gefügt | |
| haben. | |
| Als neuer „Oberkommandierender der Reserve“ wurde vergangene Woche General | |
| David Padiri ernannt, vor zwei Jahrzehnten selbst ein großer Milizenführer | |
| im Osten. Als Kongos Kriege damals zu Ende gingen, wurde er von Kabila | |
| kaltgestellt. Jetzt soll er für Tshisekedi die Wazalendo anführen. | |
| Ob die jungen Kämpfer auf dem Hügel über Goma sich dem alten General | |
| unterordnen? Zwei Tage vor den Wahlen rief Padiri die Milizen im Osten zu | |
| einem Treffen im Dschungel zusammen. Laut dem Einladungsschreiben, das der | |
| taz vorliegt, sollte es bei dem Treffen im Ort Pinga unter anderem um die | |
| „Absicherung der Wahlen in den von den VDP kontrollierten Gebieten“ gehen. | |
| Doch dazu kam es nicht: Der Armeehubschrauber, der General Padiri in den | |
| Dschungel fliegen sollte, war kaputt. | |
| Diese Recherche wurde gemeinsam mit kongolesischen Journalisten realisiert, | |
| die ungenannt bleiben wollen. | |
| 20 Dec 2023 | |
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| [4] https://twitter.com/mulumba_jules | |
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| Simone Schlindwein | |
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