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# taz.de -- Autor Dipo Faloyin im Gespräch: „Die meisten denken an Armut“
> Mit seinem Buch „Afrika ist kein Land“ will der nigerianische Autor
> Faloyin mit Vorurteilen aufräumen und zeigen, wie vielfältig der
> angebliche Krisenkontinent ist.
Bild: Einweihung des Zuges der Blue Line in Lagos, Nigeria, im September 2023
taz: Herr Faloyin, wenn Menschen das Wort Afrika hören, woran denken sie
dann?
Dipo Faloyin: Die meisten Menschen denken an Armut und Safaris und nichts
anderes. Ich möchte, dass sie den Kontinent so sehen, wie ich ihn sehe. Aus
meiner Sicht ist er sehr vielfältig.
Wann haben Sie sich entschieden, das Buch „Afrika ist kein Land“ zu
schreiben?
Ich bin mit den ganzen Vorurteilen über den Kontinent aufgewachsen. Die
Idee, darüber ein Buch zu schreiben, gab es schon lange. Im Sommer 2020
entstand allerdings eine internationale Debatte um „Rasse“ und Identität.
Die Abrechnung mit der Geschichte und der Kolonialzeit begann. Ich wusste:
Afrika muss Teil dieser Debatte sein.
2020 ist das Jahr gewesen, in dem der Afroamerikaner George Floyd von einem
Polizisten ermordet wurde. Die Bewegung Black Lives Matter erhielt weltweit
Aufmerksamkeit. Beispielsweise in der belgischen Stadt Antwerpen wurde auch
mit der Kolonialzeit abgerechnet, in dem die Statue des einstigen Königs
Leopold II. angezündet wurde. Hat das zu einer breiteren Debatte geführt?
Meiner Meinung nach hat sich die Debatte ausgeweitet. Die Bewegung Black
Lives Matter begann mit der Polizeigewalt in den USA. Das hat bei People of
Color weltweit und vor allem in Europa Anklang gefunden. Das hat nicht
notwendigerweise mit Polizeigewalt zu tun, sondern mit rassistischen
Vorurteilen und Ungerechtigkeit. In vielen Bereichen hat eine Aufarbeitung
begonnen. Ob es grundsätzliche Änderungen gibt, werden wir erst sehen.
Breiter diskutiert werden diese Themen aber auf jeden Fall.
Allerdings scheinen diesen Debatten vor allem in der Diaspora und gar
nicht auf dem Kontinent selbst geführt zu werden. Zu den weltweit bekannten
Stimmen gehört beispielsweise die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi
Adichie, die in den USA lebt.
Nigeria hat natürlich eine riesige, einflussreiche und talentierte
Diaspora. Sie interessiert sich für das, was in Nigeria passiert. In meinem
Buch beschreibe ich aber, dass es so viele Gruppen auf dem Kontinent gibt,
die ihn von innen heraus ändern wollen. Sie leisten die meiste Arbeit.
Letztendlich ist es eine gute Mischung.
Welche Rolle spielen afrikanische Politiker:innen in der Debatte?
Meiner Meinung nach haben sie keine große Rolle gespielt. Ghana hat
[Anmerkung: im Jahr 2020] allerdings erfolgreich das „Jahr der Rückkehr“
organisiert. Afroamerikaner wollten wieder Kontakt zum Kontinent aufbauen.
Dazu hat Black Lives Matter sicher beigetragen.
Zunehmend bekannt werden in Europa und den USA sind auch Nigerias
Filmindustrie Nollywood sowie Musiker wie Burna Boy und Wizkid. Gelingt es
über die Kultur, mit Vorurteilen aufzuräumen?
Popkultur ist der Weg, um über andere Kulturen und Traditionen zu lernen.
Sie ist der wichtigste Zugang. Die junge Generation lernt den Kontinent vor
allem über Afrobeats kennen. Das ist einzigartig. Menschen können über
Musik und Filme in Kontakt mit dem Kontinent treten. Beides zeigt, wie wir
dort unsere Leben leben, und nicht, wie Hilfsorganisationen das in ihren
Wohlfahrtskampagnen dargestellt haben.
Sie leben in London. Wie werden Westafrikaner:innen dort wahrgenommen?
Westafrikaner haben weltweit und vor allem in Großbritannien einen großen
Einfluss. Es gibt eine große westafrikanische Community. Im Moment ist es
cool, Westafrikaner, Nigerianer zu sein.
In Deutschland [1][wird Nigeria derzeit vor allem mit den Benin-Bronzen in
Verbindung] gebracht. Hat sich das Image durch die Debatte über den Wert
der geraubten Artefakte und die Rückgabe geändert?
Es macht einen großen Unterschied, und man beginnt zu verstehen, warum die
Rückgabe der Artefakte so wichtig ist. Sie stammen von Nationen, die eine
reiche kulturelle Geschichte haben. Und diese eigene Geschichte können sie
jetzt erzählen. Jede Debatte über die Identität des Kontinents und der
Fähigkeit von Ländern, ihre eigene Geschichte zu erzählen, wird dazu
beitragen, die Stereotype zurückzuweisen.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat im vergangenen November
die ersten 20 Benin-Bronzen dem nigerianischen Staat übergeben. Dieser hat
das Eigentum mittlerweile auf den Oba von Benin, den traditionellen
Herrscher des Edo-Volks, übertragen, [2][was in Deutschland kritisiert
wurde.] Was halten Sie von dieser Kritik?
Es ist die Entscheidung der nigerianischen Regierung, der Länder, denen so
etwas gehört. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr Eigentum gut oder schlecht
nutzen wollen. Das kann natürlich frustrierend sein. Ich möchte nicht, dass
die Artefakte beschädigt, zerstört oder der Öffentlichkeit vorenthalten
werden. Letztendlich haben die Länder aber das Recht zu entscheiden, was
mit ihnen geschieht. Die Artefakte gehören ihnen.
Entwicklungen auf dem Kontinent werden häufig als entweder oder
dargestellt. Ruanda gilt beispielsweise als Positivbeispiel, wenn es um
Frauen in politischen Ämtern und einer effizienten Organisation des Staats
gilt. [3][Kritik an Präsident Paul Kagame, der seit 23 Jahren an der Macht
ist] und Human Rights Watch zufolge Kritiker:innen verhaften und
Menschenrechte einschränken lässt, ist dagegen selten zu hören.
Ja, das ist widersprüchlich. Mir geht es um einen vollständigen Kontext in
Diskussionen über den Kontinent. Es geht darum zu verstehen, wo wir aus
welchen Gründen stehen. Dadurch entstehen Gespräche, die näher an der
Realität sind.
Auf dem Kontinent wird zunehmend Kritik an Europa laut; vor allem in den
Sahelstaaten gegenüber Frankreich. Warum ist eine ähnliche Kritik nicht aus
Nigeria zu hören?
Die Situation ist eine andere. Nach dem Ende der Kolonialzeit hat
Frankreich versucht, seinen Einfluss in der Region weiter auszuüben,
wogegen sich einstige Kolonien heute auflehnen. Das hat zu einer
unterkühlten und seltsamen Beziehung geführt, wofür Frankreich die
Verantwortung übernehmen muss. Die Probleme und Herausforderungen in der
Region bleiben. Darum müssen sich nun die Verantwortlichen vor Ort und die
Bevölkerung kümmern. Sie haben klargemacht, dass Frankreich sich nicht
einmischen soll, was ihr gutes Recht ist. Jetzt müssen sie die Nationen so
gestalten, wie sie es für richtig halten.
Vor allem junge Afrikaner:innen sprechen wieder vom Panafrikanismus.
Dabei gibt es auch auf dem Kontinent Vorurteile und Stereotype. In der
Wirtschaft bleiben Handelsbarrieren bestehen. Ist Panafrikanismus bloß eine
Idee, die mit der Realität nichts zu tun hat?
Panafrikanismus war die ursprüngliche Idee, die sich nicht länger mit der
Realität des Kontinents deckt. Möglich ist eine stärkere Zusammenarbeit
zwischen Ländern mit gemeinsamer Geschichte, um sich Herausforderungen zu
stellen. Junge Menschen scheinen Ideale und Wertevorstellungen zu teilen.
Sie versuchen, dass ihre Länder neue Wege einschlagen. Es gibt eine echte
Möglichkeit, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ländern zunimmt.
Panafrikanismus ist vor allem ein gewisser Geist, weniger jedoch ein
politisches Prinzip.
29 Nov 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Afrika
Benin
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Nigeria
Paul Kagame
Krise
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Postkolonialismus
Ruanda
Lesestück Recherche und Reportage
Nigeria
Kolumne Fernsicht
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