# taz.de -- Ziviler Widerstand in Italien: Weibliche Stereotype als Waffe | |
> Frauen organisierten den Widerstand gegen die italienischen Faschisten | |
> und nahmen selbst das Gewehr in die Hand, sagt Historikerin Benedetta | |
> Tobagi. | |
Bild: Italienische Partisaninnen in Castellucio, 1944, warten auf ihren Einsatz… | |
Die italienische Historikerin und Schriftstellerin Benedetta Tobagi setzt | |
sich in ihrem Buch „La Resistenza delle donne“ (Auf Deutsch: „Der | |
Widerstand der Frauen“) mit dem Kampf der italienischen Frauen gegen den | |
Faschismus auseinander. Dafür wurde sie in diesem Jahr mit dem Premio | |
Campiello ausgezeichnet, einem der wichtigsten literarischen Preise | |
Italiens. | |
Den Preis hat sie umgehend jenen Iranerinnen gewidmet, die gegen das | |
islamistische Regime in Teheran kämpfen. In „La Resistenza delle donne“ | |
erzählt Tobagi anhand von Biografien und Dokumenten, wie groß und bedeutsam | |
die weibliche Komponente des antifaschistischen Widerstands in Italien war. | |
Im Gespräch mit der taz erklärt sie, warum dies auch heute noch häufig | |
ausgeblendet wird und wie wichtig es für die Gegenwart wäre, Frauen als | |
Protagonistinnen des antifaschistischen Widerstands wahrzunehmen. | |
wochentaz: Frau Tobagi, in Ihrem Buch beschreiben Sie, wie entscheidend der | |
zivile Widerstand im Kampf gegen den italienischen Faschismus gewesen war. | |
Warum tun sich immer noch viele so schwer, die Rolle der unbewaffneten | |
Resistenza, der sehr viele Frauen angehörten, überhaupt wahrzunehmen? | |
Benedetta Tobagi: Die Anerkennung der zivilen Widerstandsformen, sowohl in | |
Italien als auch in Europa, kam sehr spät, gegen Ende der 1980er oder | |
1990er Jahre. Italien hatte erst 1943 die Seite gewechselt. In der | |
Nachkriegszeit musste es sich vor den Augen der Alliierten legitimieren. | |
Das geschah insbesondere durch die Aufwertung des militärischen Beitrags, | |
auch den der Partisanen. Dies führte zur Gleichsetzung des Widerstands mit | |
den bewaffneten Sektoren. In der Forschung wird der Stellenwert des zivilen | |
Widerstands schon lange anerkannt. Zwischen historischer Forschung und | |
ihrer Übernahme in den öffentlichen Diskurs liegt jedoch immer ein | |
zeitlicher Abstand. | |
Beschränkte sich der Widerstand der Frauen allein auf den zivilen | |
Ungehorsam? | |
Nein. Nach dem Waffenstillstand im September 1943 wurde ein großer Teil des | |
Landes – insbesondere der Norden, wo der Faschistenführer Mussolini die | |
Republik von Salò ausgerufen hatte – von den deutschen Nazi-Truppen | |
besetzt. Während die Männer hier gejagt und an die Front geschickt wurden, | |
konnten sich die Frauen weiter frei bewegen, da sie keine militärische | |
Verpflichtung hatten. In diesem Kontext wurden viele zu Partisaninnen. | |
Frauen halfen, den Männern sich zu verstecken, dem Krieg zu entkommen und | |
[1][somit den Widerstandskampf überhaupt zu beginnen]. Danach begannen die | |
Frauen mit dem Aufbau eines logistischen Netzwerks, wie es für jeden | |
Widerstand unerlässlich ist. Frauen schmuggelten Waffen, transportierten | |
Mitteilungen und Nachrichten und trugen mit anderen Arten von Unterstützung | |
dazu bei, dass ein Widerstandskampf überhaupt erst möglich wurde. Das | |
Innovative ist aber, dass Frauen immer mehr Fähigkeiten erwarben und | |
Verantwortung übernahmen. Viele von ihnen – laut Schätzungen 35.000 – | |
wurden zu Partisanen-Kämpferinnen. Und bis zu 500 Frauen wurden | |
Kommandantinnen einer Partisanenformation. | |
Welche Rolle spielte die Teilnahme an der Resistenza bei der Emanzipation | |
der italienischen Frauen? | |
Bereits vor der faschistischen Diktatur war Italien ein äußerst | |
patriarchalisches, katholisches Land. Um sich der bewaffneten Resistenza | |
anzuschließen, mussten viele Frauen die sozialen Konventionen und den | |
Willen ihrer Familien und Männer, die sie am liebsten zu Hause gewusst | |
hätten, herausfordern. Die „Gruppi di difesa della donna“ – auf Deutsch | |
„Frauenverteidigungsgruppen“, eine große weibliche Widerstandsorganisation | |
mit mehr als 70.000 Mitgliedern – kämpften bewusst gegen den Faschismus und | |
gleichzeitig für die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung | |
der Frau. Aber viele Frauen waren sich der Last des Patriarchats nicht | |
bewusst. Fest steht allerdings, dass alle, bewusst oder unbewusst, einen | |
Kampf gegen die sexistischen Vorurteile der Zeit führten. Und dieser | |
begonnene Kampf – der noch nicht feministisch, aber immerhin | |
protofeministisch war – setzte sich in der Nachkriegszeit fort. | |
Wirklich? Die italienische Gesellschaft der Nachkriegszeit war äußerst | |
sexistisch. | |
Sagen wir mal so: Das System wurde durch die Resistenza aufgebrochen. Aber | |
nicht gänzlich untergraben, was natürlich bei vielen Frauen, besonders bei | |
Kommunistinnen oder Sozialistinnen, zu großen Enttäuschungen führte. Die | |
Nachkriegszeit wurde vom Kalten Krieg geprägt, das politische Klima war | |
stark konservativ und antikommunistisch. Die Resistenza wurde in den | |
Hintergrund gedrängt und als zu radikal erachtet. Außerdem kam es in der | |
Nachkriegszeit zu einer Wirtschaftskrise, und die wenige bezahlte Arbeit, | |
die es gab, sollte an die Männer gehen. Der Beitrag der Frauen in den | |
Jahren von 1943 bis 1945 wurde später jedoch zu einem wichtigen | |
Bezugspunkt, auch für die Frauenbewegung der Siebzigerjahre. | |
Manche Partisaninnen verhielten sich so, als seien sie naiv, zerbrechlich | |
oder eitel. Sie trugen absichtlich Kleidungen, die stark sexualisiert | |
waren, um Waffen oder Mitteilungen zu transportieren. Sie bedienten | |
absichtlich Klischees – was nicht unbedingt feministisch klingt. | |
Aber in Wirklichkeit war das ein erster Moment der Bewusstseinsbildung. Die | |
Frauen realisierten, dass es weibliche Stereotype gab. Und sie verwandelten | |
diese Stereotype in eine Waffe gegen die Faschisten. Es ist also kein | |
Widerspruch zur Selbstbestimmung, sondern ein erster Schritt in Richtung | |
Befreiung. Denn die Frauen nutzten den Blick der Welt auf sie in ihrem | |
Kampf, eben um diese Welt zu verändern. | |
Über das Thema Vergewaltigung aber schwiegen sie, obwohl viele von ihnen | |
davon betroffen waren. | |
Ja, denn das gesellschaftliche Stigma war enorm. Die Mentalität in den | |
1940er war dermaßen puritanisch, dass es für eine Frau besser war, getötet | |
als vergewaltigt zu werden, denn eine Vergewaltigung galt als große Schande | |
für die gesamte Familie. Die Frauen schwiegen also nicht nur wegen des | |
Traumas, sondern auch wegen dieser sozialen Stigmatisierung. In manchen | |
Fällen sprachen sie erst Jahrzehnte später über die Ereignisse, zum | |
Beispiel in den 1990er Jahren, als im Rahmen des Jugoslawien-Konflikts der | |
Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe in den Fokus der Aufmerksamkeit | |
rückte. Übrigens, bis 1996 wurde die Vergewaltigung in Italien als | |
Verbrechen gegen die Moral betrachtet und nicht gegen die Person. Und von | |
der Stigmatisierung haben wir uns noch nicht vollständig befreit, vor | |
allem, wenn der Vergewaltiger eine mächtige Person ist. | |
Ihr Buch erscheint 80 Jahre nach diesen Ereignissen. Ist es noch aktuell, | |
über die Rolle der Frauen in der Resistenza zu schreiben? | |
Ja, denn das hilft, die Unterschätzung und die vielen Stereotype, die immer | |
noch existieren, abzubauen. Es ist zudem wichtig, die Rolle des | |
Antifaschismus für die Gründung der italienischen Republik in den | |
Mittelpunkt zu stellen. [2][Das größte Problem im heutigen Italien] ist die | |
Präsenz einer großen rechten Szene, die versucht, die Rolle der Resistenza | |
und [3][die Werte des Antifaschismus kleinzureden] und zu delegitimieren. | |
Diese Rechte ist nun an der Regierung. | |
25 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Francesca Polistina | |
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