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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Italien: Betroffene wird zur Angeklagten
> Ein prominenter Prozess in Italien zeigt: Eine EU-Richtlinie, die
> Vergewaltigung als Sex ohne Konsens definiert, hätte Opfern helfen
> können.
Bild: Protest in Palermo gegen die zunehmende Zahl gewalttätiger Übergriffe a…
Rom taz | Wie lief das, als die Angeschuldigten der jungen Frau die Hose
und den Slip auszogen? Leistete sie Widerstand oder nicht? Hielt der eine
der jungen Männer beim Oralsex ihre Haare mit einer oder mit beiden Händen
fest? Und überhaupt, hat sie beim Sex „mitgewirkt“ oder nicht? Es sind nur
drei der mehr als rund 1.400 Fragen, die sich das Opfer vor Gericht
gefallen lassen musste. Fragen, die die Verteidiger*innen der vier
Angeklagten an insgesamt sechs Verhandlungstagen stellten, um die
Glaubwürdigkeit des Vergewaltigungsopfers zu erschüttern.
Vier junge Männer müssen sich in dem Fall wegen Gruppenvergewaltigung
verantworten. Der seit nunmehr fast zwei Jahren laufende Prozess erhält in
Italien maximale Aufmerksamkeit, weil [1][Ciro Grillo mit auf der
Anklagebank] sitzt. Er ist der Sohn von Beppe Grillo, dem bekannten
Comedian und Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, die in den letzten zehn
Jahren die italienische Politik aufmischte.
Grillo junior soll im Sommer 2019 die damals 19-Jährige, die alle
italienischen Medien mit dem Alias-Namen „Silvia“ bezeichnen, und eine
Freundin von ihr nach einem Disko-Besuch auf Sardinien in die Ferienvilla
seiner Eltern mitgenommen haben. Dort seien, so Silvias spätere Aussagen,
erst einer seiner Freunde, dann auch Ciro und die beiden anderen Männer
über sie hergefallen und hätten sie wiederholt zum Geschlechtsverkehr
gezwungen.
Doch immer wieder scheint es im Prozess, als säßen nicht sie, sondern das
Mädchen auf der Anklagebank. So will eine Verteidigerin wissen, warum sie
beim Oralsex zwecks Abwehr nicht einfach ins Glied des Täters gebissen
habe. Von „sekundärer Viktimisierung“ spricht deshalb Silvias Anwältin.
Damit meint sie, dass die junge Frau im Prozess erneut zum Opfer wird.
Prozesse verlaufen alle gleich
Immer noch, wie schon vor Jahrzehnten, laufen Vergewaltigungsprozesse in
Italien so: Das Opfer hat nachzuweisen, dass es aktiv Widerstand geleistet
hat. Deshalb sind alle Fragen erlaubt, schließlich gehe es darum, „das
Geschehen zu rekonstruieren“, wie jetzt eine der Verteidiger*innen der
vier Angeklagten erklärte.
Zur Verteidigungsstrategie gehört deshalb auch, insgesamt das Sexualleben
des Opfers auf den Prüfstand zu bringen. So wurden noch im Jahr 2015 in
Florenz sechs junge Männer vom Vorwurf der Gruppenvergewaltigung
freigesprochen, weil das mangelnde Einverständnis ihres 16-jähriges Opfers,
zum Zeitpunkt der Tat betrunken, für sie nicht erkennbar gewesen sei – und
weil sie im Vorfeld mit allzu freizügigem Gebaren aufgefallen sei.
Eine EU-Richtlinie, die Vergewaltigung als Sex ohne Konsens definiert,
würde auch Prozesse wie gegen Grillo junior für Opfer erträglicher machen.
Und würde womöglich zu weniger Freisprüchen, wie in dem Florenzer Fall,
führen.
Italiens Zeitungen und TV-Nachrichten berichten in der Regel recht breit
über Gewalt gegen Frauen, [2][Femizide] sowie über Vergewaltigungen.
Deshalb erhält auch der Prozess gegen Ciro Grillo und seine drei Freunde so
viel mediale Aufmerksamkeit. Bisher kam jedoch wenig Diskussion darüber in
Gang, wie das Einverständnis von Frauen in sexuellen Beziehungen vor
Gericht zu bewerten ist.
Nur die Nichtregierungsorganisation [3][„Differenza donna“], die weibliche
Gewaltopfer unterstützt, meldete sich zu der EU-Vereinbarung zu Wort. Sie
startete eine Petition auf „Change.org“, gerichtet an
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles
Michel, mit dem Ziel, in der geplanten EU-Richtlinie die Definition von
Vergewaltigung als Sex ohne Konsens aufrechtzuerhalten. Der Appell wurde
auf Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch aufgesetzt –
und erhielt bisher 79.000 Unterschriften.
7 Feb 2024
## LINKS
[1] /Vergewaltigungsdebatte-in-Italien/!5765522
[2] /Ein-Femizid-beschaeftigt-ganz-Italien/!5971331
[3] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&…
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Sexualstrafrecht
Vergewaltigungsopfer
Schwerpunkt Femizide
Italien
wochentaz
Vergewaltigung
Schwerpunkt #metoo
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