# taz.de -- Frauenpolitik und Personalmangel: Reizender Burnout | |
> Frauen sollen den Fachkräftemangel beheben, mehr Kinder kriegen und | |
> pflegen. Sonst noch was? | |
Bild: Was ist mit den Kindern, wenn Mütter in Vollzeit arbeiten? | |
Neulich beim Pressefrühstück eines Personalvermittlers. Das Thema, zu dem | |
man eingeladen hatte, klang ganz up to date. Man wolle über den „akuten | |
Fachkräftemangel und die Erwerbssituation der Frauen“ sprechen, hieß es. | |
Eigentlich eine gute Sache. Doch dann kam es. Angesichts des | |
Personalmangels sei die Teilzeitarbeit der Frauen ein „zweifelhafter Luxus“ | |
sagte eine SPD-Frau am Tisch. Frauen seien eine „wichtige und | |
unausgeschöpfte Ressource auf dem Arbeitsmarkt“, betonte eine | |
Verbandschefin. Unausgeschöpfte Ressource, aha. Haben diese beiden Frauen | |
sich mal in den typischen „Frauenberufen“ umgesehen? | |
Man stelle sich vor, bei einem Automobilhersteller gäbe es zu wenig | |
Personal. Und dann lässt der Betrieb das Band einfach schneller laufen, | |
sollen die Leute halt flotter malochen. Wird jemand krank, werden Abwesende | |
in ihrer Freizeit angerufen: Hey, du musst kommen, hier brennt die Hütte. | |
Kommst du nicht, bist du unsolidarisch! Und wenn die Personallücken | |
bleiben, spart man sich eben einfach eine Lackschicht auf den Autos. Geht | |
auch so. | |
Voilà, so ist es in der Pflege. Männern würde man so was nicht zumuten, | |
schon gar nicht, wenn es um Autos geht. | |
Frauen sind Fachkraft, Hilfskraft und Mutter Teresa in einem. Und sie | |
sollen Kinder bekommen. Mehr Kinder. Die Demografie, die Überalterung! Her | |
mit den Kindern, möglichst aus höher gebildeten Familien, dafür wurde | |
schließlich das Elterngeld erfunden. Nur: Was ist mit den Kindern, wenn | |
Mütter in Vollzeit arbeiten? | |
Eine gerade veröffentlichte Bertelsmann-Studie stellte fest, [1][dass | |
Hundertausende Kitaplätze fehlen, wegen Personalmangels]. Mütter sollen in | |
Vollzeit ackern, aber die ganztägige Kinderbetreuung ist nicht da. Wie soll | |
das funktionieren? Sollen sich Frauen die Babys einfach auf den Rücken | |
binden und so zur Arbeit gehen? | |
Es kommen auf die Frauen immer neue Aufgaben zu, wobei die neuen manchmal | |
auch die alten sind. Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda | |
Hasselfeldt, erzählte neulich, dass die Pflegekräfte vorschlagen, | |
Angehörige mehr in der Pflegearbeit zu „schulen“, weil es die | |
professionellen Kräfte allein nicht mehr schaffen. Die Eltern werden alt, | |
und es reicht nicht, auf professionelle Pflegedienste zu setzen, Mütter und | |
Töchter müssen wieder ran. Es sei denn, man bezahlt extra private Hilfen. | |
Womit wir beim Geld wären. | |
Frauen müssen mehr Geld verdienen. Vor 15 Jahren wurden die | |
Unterhaltsansprüche nach Scheidungen gekürzt. Man wollte damit unter | |
anderem den Müttern einen „Anreiz“ bieten, frühzeitig mehr eigenes Geld zu | |
verdienen. Mehr Anreize zur Arbeit, auch für Alleinerziehende, das empfahl | |
ja auch kürzlich Finanzminister Lindner. Frauen [2][wird von der Politik | |
ständig irgendeine Reizwäsche unter die Nase gehalten], sehr charmant, | |
danke. | |
Frauen sollen die eierlegende Wollmilchfrau sein, ein | |
All-in-one-Sonderangebot. Wenn es nicht klappt, Pech gehabt. | |
Alleinerziehende [3][tragen ein so hohes Armutsrisiko wie kaum jemand]. | |
Interessiert nicht wirklich. Sollen die Frauen halt bessere | |
Beziehungsarbeit leisten, dann bleibt auch der Mann. | |
Im amerikanischen Management gibt es einen Trick, wenn Führungskräfte ihre | |
Untergebenen ausbeuten. Der Boss sagt: „Hey, ich weiß, du schaffst es! Ich | |
glaube an dich. I trust you!“ Und dann kommt eine Monsteraufgabe, die nicht | |
zu schaffen ist ohne anschließendes Burn-out. Tja. | |
Es ist eine alte Geschichte: Nützlichkeitserwägungen werden gerne als | |
Emanzipation der Frau verkauft. Da kann einem schlecht werden. | |
1 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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