# taz.de -- Nobelpreis für feministische Ökonomie: Die Detektivin des Gender … | |
> Claudia Goldin erhält den Wirtschaftsnobelpreis – als erst dritte Frau. | |
> Die US-Ökonomin hat erforscht, wieso Männer besser bezahlt werden. | |
Bild: Claudia Goldin in ihrem Haus, nachdem sie von ihrem Preis erfahren hat | |
BERLIN taz | Für Claudia Goldin ist die „gierige Arbeit“ schuld: Die Jobs, | |
die häufig nicht Personen annehmen können, die Kinder oder Senioren | |
betreuen, weil sie dann oft „auf Abruf“ sein müssen. Auch in der westlichen | |
Welt haben vor allem Männer diese [1][„gierigen Jobs“] – die besonders g… | |
bezahlt werden. Frauen werden bei diesen Arbeitsplätzen dafür bestraft, | |
dass sie im Schnitt „nur“ 52 statt 62 Stunden pro Woche arbeiteten, dass | |
sie vielfach neun Monate Elternzeit nehmen statt einen Monat wie die | |
Männer, sagt Goldin. Für ihre Studien zu Geschlechterrollen am Arbeitsmarkt | |
„sowie zu den Hauptursachen für die verbleibenden geschlechtsspezifischen | |
Unterschiede“ hat das Nobelkomitee in Stockholm die 77-jährige | |
Harvard-Professorin am Montag mit dem „[2][Wirtschaftsnobelpreis]“ | |
prämiert. | |
Die Ungerechtigkeit hat Struktur – weltweit, quer durch fast alle | |
Kulturkreise und Branchen. Goldin ist nicht nur [3][die erst dritte Frau | |
unter bislang 90 Träger:innen] der mit umgerechnet 920.000 Euro | |
dotierten Auszeichnung. Das Komitee hob auch hervor, dass weltweit nur etwa | |
50 Prozent der Frauen auf dem Arbeitsmarkt vertreten sind, verglichen mit | |
80 Prozent der Männer. Zugleich verdienen Frauen weniger und erreichen | |
seltener Spitzenjobs. Goldins Arbeit sei deshalb so wichtig, weil sie „die | |
erste umfassende Darstellung des Verdienstes und der | |
Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen über die Jahrhunderte hinweg“ geleistet | |
habe. | |
Goldin habe dafür „die Archive durchforstet“, erklärte die Jury weiter. | |
„Sie hat etwas untersucht, was viele Menschen, zum Beispiel viele | |
Historiker, vorher einfach nicht untersucht haben, weil sie nicht glaubten, | |
dass diese Daten existieren“, sagte Randi Hjalmarsson, Mitglied des | |
Nobelkomitees. Goldin sei „eine Detektivin“ des Gender Pay Gaps. | |
Die riesige Datenmenge, die sie zum Teil bereits in den 80er und 90er | |
Jahren sammelte, belegt für die USA, was heute für viele Industriestaaten | |
als Allgemeinwissen gilt: Zum einen, dass die Löhne der Frauen trotz | |
zunehmender Wirtschaftskraft geringer gestiegen sind als die der Männer. | |
## Einkommensunterschiede kaum verringert | |
Zum anderen, dass Frauen am Arbeitsmarkt schlechter dastehen und daher | |
stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Eine wesentliche Ursache sieht | |
Goldin darin, dass „die Wahlmöglichkeiten von Frauen häufig durch Ehe und | |
die Verantwortung für Haushalt und Familie eingeschränkt waren und sind“. | |
Trotz Modernisierung hätten sich vielerorts die Einkommensunterschiede | |
zwischen Männern und Frauen kaum verringert. | |
Laut Goldin liege „ein Teil der Erklärung darin, dass | |
Bildungsentscheidungen, die sich auf die Karrierechancen eines ganzen | |
Lebens auswirken, in einem relativ jungen Alter getroffen werden“, erklärte | |
die Jury. Und hob noch ein weiteres ihrer Werke hervor: Die 2002 | |
erschienene Untersuchung „Die Macht der Pille“. In der Studie, die sie | |
zusammen mit ihrem Mann Lawrence F. Katz schrieb, kam heraus, dass der | |
Zugang zur Antibabypille eine „wichtige Rolle bei der Beschleunigung des | |
Anstiegs des Bildungsniveaus“ im 20. Jahrhundert gespielt habe. | |
Wissenschaftler:innen weltweit begrüßten die Wahl Goldins. „Die | |
Nobelpreisträgerin macht Mut im Kampf gegen den Abbau von Diskriminierung“, | |
sagte der Bremer Ökonom Rudolf Hickel zur taz. „Ihre Forschungsergebnisse | |
sollten endlich in die allgemeinen Lehrbücher und auch in das | |
wirtschaftswissenschaftliche Studium aufgenommen werden“, forderte der | |
Bremer Emeritus. | |
## Lohnlücke in Deutschland bei 18 Prozent | |
„Ich freue mich sehr für Claudia“, schrieb die Präsidentin des | |
Wissenschaftszentrums Berlin, [4][Jutta Allmedinger], auf X, vormals | |
Twitter. „Möge ihre Forschung unser Handeln leiten & uns die Motivation | |
geben, dafür einzutreten“. | |
In kaum einem vergleichbaren Land sei die Lohnlücke zwischen Mann und Frau | |
mit im Schnitt 18 Prozent so groß wie in Deutschland, sagte der Präsident | |
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Der | |
Preis für Goldin „sollte ein Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in | |
Deutschland für mehr Chancengleichheit sein“. Mangelnde Betreuung in Kitas | |
und Schulen oder die überfällige Reformen des Ehegattensplittings müssten | |
angegangen werden. | |
Der „Wirtschaftsnobelpreis“ ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf | |
das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel | |
(1833-1896) zurückgeht. Er wird erst seit Ende der 1960er Jahre von der | |
schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit nicht zu den klassischen | |
Nobelpreisen. | |
9 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/warum-machen-frauen-seltener-karrier… | |
[2] /Ehrung-fuer-drei-US-Oekonomen/!5886706 | |
[3] /Nobelpreis-fuer-Wirtschaftswissenschaften/!5633568 | |
[4] https://twitter.com/JA_Allmendinger | |
## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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