# taz.de -- Dokumentarfilme der Duisburger Filmwoche: Filmen mit Respekt | |
> Ob über Ausbeutung bei der Weinernte oder neofaschistische Morde in | |
> Deutschland: Die Duisburger Filmwoche zeigte starke Dokumentarfilme. | |
Bild: „Einzeltäter Teil 2: Halle“ von Julian Vogel erhielt den 3sat-Doku… | |
Ein Rundgang mit dem Wiener Karl Stojka eröffnet die Geschichte einer | |
Gegend um eine eher unscheinbare Kirche, im heutigen 10. Bezirk von Wien. | |
Die Wiesen um die Kirche waren spätestens seit dem 15. Jahrhundert für | |
Sinti_zze und Rom_nja in ganz Österreich ein fester Treffpunkt. Nach dem | |
deutschen Einmarsch nach Österreich wurde der Lagerplatz zum Ort der | |
Verfolgung, 1941 wurden die Menschen deportiert. | |
Die Aufnahmen stammen von 1997, als die [1][Dokumentarfilmregisseurin Karin | |
Berger an einem Film über Ceija Stojka, der Schwester] von Karl Stojka, | |
arbeitete. Sie passten schließlich nicht mehr in den Film damals und ein | |
späteres, größeres Filmprojekt zerschlug sich. Nun hat die Regisseurin aus | |
dem Material einen gut halbstündigen Film montiert. | |
„Wankostättn“ hat am vergangenen Montag die diesjährige Duisburger | |
Filmwoche eröffnet. Ein idealer Eröffnungsfilm, der den Faden der | |
filmischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Verfolgung von | |
Sinti_zze und Rom_nja wieder aufnahm, der letztes Jahr auf dem Festival mit | |
[2][Peter Nestlers Dokumentarfilm „Unrecht und Widerstand“] großen Raum | |
einnahm. | |
„Wankostättn“ stand zugleich für einen der großen Trends des diesjährig… | |
Jahrgangs: die Stärke der kurzen Dokumentarfilme. Wie Karin Bergers Film | |
war auch Alexandra Tatars kurzer Dokumentarfilm „Mâna care taie“ (Cutting | |
Hands) ein Höhepunkt des Festivals. Tatar verarbeitet in ihrem Film ihre | |
mehrjährigen Erfahrungen als Erntehelferin in einem österreichischen | |
Weinbaugebiet. | |
## Am Anfang stand die Wut | |
Aufnahmen von der Filmemacherin und ihrer Mutter auf dem Bett, beim Essen | |
und Ausruhen nach den langen Arbeitstagen wechseln ab mit künstlerischen | |
Verarbeitungen der Wut, die das Ausbeutungsverhältnis hinterlassen hat. In | |
dichter Form und auf engstem Raum entfaltet Tatar das Wirtschaftsmodell | |
Weinlese mit Arbeitskräften zum Mindestlohn, deren Handarbeit anschließend | |
zum Werbemotiv wird. | |
Einen zentralen Raum auf dem Festival nahm [3][Julian Vogels Trilogie | |
„Einzeltäter“] über die neofaschistischen Morde in München, Halle und Ha… | |
ein. Am Anfang der Trilogie stand die Wut darüber, dass die neun Menschen, | |
die 2016 am Münchner Olympia-Einkaufszentrum erschossen werden, als Opfer | |
eines vermeintlich unpolitischen Amoklaufs dargestellt werden. Diese Wut | |
war der Keim eines Filmprojekts, das sich diesen Morden widmen sollte. | |
Während der Arbeit an diesem Film geschahen die Morde in Halle und Hanau. | |
In Gesprächen mit Angehörigen der Opfer mischen sich bis heute Wut und | |
Trauer, Frustration über das ignorante Verhalten der bayerischen Behörden. | |
Vogel nähert sich den Angehörigen mit dem gebotenen Respekt, zeigt | |
eindrucksvoll deren beharrlichen und unterdessen erfolgreichen Kampf darum, | |
dass die Tat als politisch motiviert anerkannt wird und das Denkmal an die | |
Ermordeten das auch benennt. Vogels Trilogie wurde mit einem der beiden | |
Hauptpreise des Festivals, dem 3sat-Dokumentarfilmpreis, ausgezeichnet. | |
Der zweite Hauptpreis, der Arte-Dokumentarfilmpreis, ging an „Anqa“ von | |
Helin Çelik, der im Rahmen des Forums der diesjährigen Berlinale Premiere | |
gefeierte hatte. Çelik zeigt in ihrem Film Überlebende von familiärer, | |
patriarchaler Gewalt in Jordanien. „Anqa“ beleuchtet die Enge des Lebens | |
der Frauen und die Spuren, die Gewalterfahrungen in ihnen hinterlassen | |
haben. | |
Wenige Festivals sind sich ihrer Geschichte und der Geschichte ihrer | |
Besucher_innen so bewusst wie die Duisburger Filmwoche. Das wurde in | |
besonderer Weise deutlich bei einer performativen Lesung in Kooperation mit | |
dem Harun Farocki Institut, das die langjährigen Festivalbesuche des | |
Filmemachers im Spiegel von dessen umfangreichen und posthum neu editierten | |
Schriften ins Gedächtnis rief. | |
Auch in diesem Jahr waren die Gespräche weit von der Streitkultur früherer | |
Jahre entfernt, die das Filmfestival in Duisburg für ein Fachpublikum | |
legendär gemacht haben. Dafür hat das Festivalteam unter der Leitung von | |
Alexander Scholz und die Auswahlkommission, die viele der Gespräche geführt | |
hat, eine entspanntere, zugänglichere Gesprächskultur geschaffen. | |
Doch sowohl die offiziellen, etwa einstündigen Diskussionen, die im | |
Anschluss an jeden der Filme stattfanden, wie auch die inoffiziellen, die | |
das Festival in den Cafés und Bars der Stadt begleiteten, zeugen davon, | |
dass der Anachronismus der Programmstruktur der Duisburger Filmwoche | |
hochaktuell ist. | |
Transparenzhinweis: Der Aufenthalt des Autors bei der Duisburger Filmwoche | |
wurde vom Festival unterstützt. | |
14 Nov 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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