# taz.de -- Ausstellung zu Roma in Wien: Eine Geschichte des Argwohns | |
> Im Wien Museum erzählt die Ausstellung „Romane Thana. Orte der Roma und | |
> Sinti“ von den Mustern der Ausgrenzung. | |
Bild: Teil der Ausstellung: Bild der Familie Nitsch im Hof der Franklinstraße … | |
„Roma zurück nach Indien!“ Diese unmissverständliche Botschaft auf einer | |
schwarzen Metalltafel war am Rande einer Roma-Siedlung im burgenländischen | |
Oberwart aufgestellt. Als vier Männer aus der Siedlung sie entfernen | |
wollten, explodierte eine Rohrbombe. Erwin und Karl Horvath, Josef Simon | |
und Peter Sarközi waren tot. | |
Der Sprengstoffanschlag des rassistischen Bombenbauers Franz Fuchs jährte | |
sich am 4. Februar zum zwanzigsten Mal. Manuela Horvath nahm das Ereignis | |
zum Anlass, die Biografien ihrer zwei Cousins und der beiden anderen Toten | |
in Erinnerung zu rufen. Sie gestaltete eine Wand der Ausstellung „Romane | |
Thana“, die jetzt im Wien Museum eröffnet wurde. | |
Karl Horvath war 21 Jahre alt. Er arbeitete in einem Ziegelwerk, ging gern | |
in die Disco und spielte mit anderen Burschen Fußball. Josef Simon war 40 | |
Jahre alt, beliebt wegen seiner Hilfsbereitschaft und seiner Fähigkeit, | |
jede Art von Apparaten zu reparieren. Er war mit den anderen Opfern | |
befreundet und spielte mit ihnen gerne Karten. Videointerviews, die Manuela | |
Horvath mit Angehörigen führte, haben auch in ihr wieder Trauer, Hass und | |
Angst erweckt. Aber: „Man muss das zulassen.“ | |
Obwohl Roma, Sinti und Lovara in Österreich seit Jahrhunderten sesshaft | |
sind, haftet ihnen noch immer die Aura des fahrenden Volkes an. Das | |
Anderssein ist ihnen in die Wiege gelegt, und die Zuschreibung aus der | |
NS-Zeit, die erblichen Anlagen der „Zigeuner“ würden zwangsweise asoziales | |
Verhalten bedingen, ist noch immer lebendig. Entsprechend reagierten die | |
Behörden 1995 zunächst mit Hausdurchsuchungen bei den Nachbarn. Man sei | |
offenbar von der Annahme ausgegangen, mutmaßt Manuela Horvath, „dass die | |
Roma sich selbst in die Luft sprengen“. | |
## Herkunft verborgen | |
Wegen solcher Vorurteile gehörte es lange Zeit zur Überlebensstrategie der | |
Sinti und Roma, ihre Herkunft – oft selbst den eigenen Kindern gegenüber – | |
zu verbergen. In Manuela Horvaths Familie war das nicht so. Der Großvater | |
habe von der Zeit im KZ erzählt. Doch die Zeit der Verfolgung wurde – bis | |
zum 4. Februar 1995 – als etwas längst Vergangenes betrachtet. | |
Seit ihrem Auftauchen in Europa werden die Wandervölker aus Asien, die sich | |
anfangs als Ägypter ausgaben, als unerwünschte Fremde betrachtet. Sie haben | |
zwar nie Gebietsansprüche gestellt oder einen Krieg vom Zaun gebrochen, | |
konnten aber ihre Herkunft nicht überzeugend nachweisen. | |
„Wer als Volk in Europa an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit | |
Anerkennung finden will, muss in der Lage sein, über seine Abstammung | |
Auskunft zu geben: am besten in Gestalt eines Epos, wie der Aeneis“, wagt | |
der deutsche Literaturwissenschaftler und Suhrkamp-Autor Klaus-Michael | |
Bogdal im Katalog eine Deutung. Doch die Roma, die über keine | |
Schriftsprache verfügten, hätten auch keine Erinnerung mehr an ihren | |
Aufbruch aus dem heutigen Nordindien gehabt. | |
Während der mehrere Jahrhunderte andauernden Auseinandersetzung des | |
Abendlandes mit dem Osmanischen Reich konnten die Roma auch nie den | |
Verdacht abschütteln, sie spionierten für die Türken. Selbst die Annahme | |
des Christentums konnte sie von diesem Argwohn nicht befreien. | |
## Angedrohte Strafen | |
So überrascht es nicht, dass eines der ersten Dokumente, das die | |
Anwesenheit von Roma in Mitteleuropa belegt, ein Patent aus dem | |
Erzherzogtum Österreich zur „Zigeiner Außrottung“ ist. Gemeint ist damit | |
nicht die physische Eliminierung, aber immerhin die „Verhafftbring- und | |
Abstraffung“ von „Gesindel“ wie „umbherscheiffenden Persohnen, deren | |
Weibern und Kindern“. | |
Kaiser Joseph II. verfügte Ende des 18. Jahrhunderts im Geiste der | |
Aufklärung die Zwangsansiedlung des fahrenden Volks. Es ist symptomatisch, | |
dass bis weit ins 20. Jahrhundert kaum Quellen der Sinti und Roma über sich | |
selbst existieren, sondern immer die Außensicht dokumentiert wird. Daran | |
änderte auch die Romantik im 19. Jahrhundert nichts, die die „Zigeuner“ als | |
Projektionsobjekte für die Sehnsucht nach einem freien, ungebundenen Leben | |
entdeckte. | |
Das umherschweifende „Leben unter freiem Himmel, eine freie Sexualität, | |
künstlerische Kreativität und eine überschäumende Lebenslust, die in Musik | |
und Tanz ihren Ausdruck findet“, habe als Gegenbild der eigenen | |
Gesellschaft gedient, schreibt Bogdal. Man denke nur an Esmeralda in Victor | |
Hugos „Glöckner von Notre Dame“ oder Prosper Mérimées Carmen. | |
## Fotos aus Polizeiakten | |
Die meisten Fotos, die von Angehörigen der Sinti und Roma überliefert sind, | |
stammen aus Polizeiakten: Profil, en face, Halbprofil. Die Aufnahmen aus | |
den frühen 1930er Jahren sind eine Leihgabe aus dem Archivbestand der | |
Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, deren damaliger | |
Leiter Viktor Lebzelter sich mit der Erforschung der „Rassen“ in Österreich | |
beschäftigte. Lebzelter, der 1936 starb, soll zwar ein Gegner der | |
NS-Rassenideologie gewesen sein, doch bescheinigt sein Interesse, dass die | |
„Zigeuner“ noch immer als Exoten betrachtet wurden, aus deren Physiognomie | |
man wohl Rückschlüsse über den Charakter des Volkes zog. | |
Ceja Stojka erinnerte sich noch gut an den 3. März 1943, als Gestapo-Männer | |
die Tür ihrer Hütte eintraten und ihre Mutter suchten. Zehn Jahre alt war | |
sie damals, und in den folgenden zwei Jahren sollte ein großer Teil ihrer | |
Familie ausgerottet werden. Sie überlebte Deportation, Anhaltelager und KZ. | |
Aber 90 Prozent der damals in Österreich lebenden etwa 9.000 Roma fielen | |
dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Ceja Stojka, deren Mutter | |
sich nach dem Krieg in Wien als Teppichhändlerin und Marktfahrerin | |
verdingte, brauchte viele Jahre, um ihre Geschichte zu erzählen. Erst 1988 | |
brach sie ihr Schweigen, als sie von der Ethnologin und Regisseurin Karin | |
Berger für einen Film interviewt wurde. | |
## Die späte Erzählung | |
In der Folge entwickelte sie sich zu einer Art inoffizieller Sprecherin der | |
Wiener Roma, deren Lieder und naive Gemälde von der Verfolgung, aber auch | |
von den Festen und Bräuchen ihres Volkes erzählen. Und es ist symptomatisch | |
für Österreichs Umgang mit der Vergangenheit, dass die halbalphabetisierte | |
Frau erst wenige Jahre vor ihrem Tod im Januar 2012 durch die Verleihung | |
des Professorinnentitels eine späte Würdigung erfuhr. Ein Platz in der Nähe | |
ihres letzten Wohnsitzes in Wien trägt heute ihren Namen. | |
Die Ausstellung wurde vom Romano Centro, dem Kulturverein österreichischer | |
Roma in Wien, angeregt. Im Gegensatz zum traditionellen Herangehen an die | |
Welt der Sinti und Roma ist es keine Schau über die „Zigeuner“, sondern | |
eine mit und teilweise von ihnen gestaltete. Neben dem historischen Teil, | |
der sich großteils auf Eigenbestände des Wien Museums stützt, besteht sie | |
aus elf Tischen, die von Angehörigen der Völker gestaltet wurden. Da gibt | |
es einen über Roma als Hausbesorger, Romni als Putzfrauen in Spitälern, | |
Bettler aus der Slowakei und Rumänien, Migrantenschicksale. | |
## Alben der Familie | |
Barka Emeni hat ihre Fotoalben ausgepackt. Ihre Familie versuchte ihre | |
Identität als Sinti zu verschleiern. Zu Hause wurde Romanes gesprochen, in | |
der Öffentlichkeit Serbokroatisch. Großvater Ismailj hatte es aus | |
wirtschaftlicher Not aus einem Dorf im Kosovo nach Skopje, die Hauptstadt | |
der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien, verschlagen. | |
Barka erinnert sich noch an das Absingen von Liedern, die den | |
Revolutionschef Marschall Tito priesen, der damals schon lange tot war. Als | |
Baby mit weißem Spitzenhäubchen posiert die kleine Barka zwischen den | |
Eltern, deren Augen melancholisch, gleichwohl mit einer gewissen | |
Entschlossenheit in die Zukunft blicken. Der Zerfall Jugoslawiens trieb die | |
Eltern zunächst in die Schweiz, wo sie in einem Nest namens Oberbuchsiten | |
im Kanton Solothurn Fuß fassten. Die Zeugen Jehovas kümmerten sich um sie | |
und veranlassten sie, vom Islam zu konvertieren. | |
Schließlich landete Barka in Wien, wo sie ihr Heil in der bedingungslosen | |
Assimilation suchte und schließlich „zu meinen Wurzeln und zu mir selbst“ | |
fand. Das Plakat der Ausstellung zeigt den Teenager mit langen Haaren an | |
einer Straßenecke im 10. Bezirk. Sie ist angekommen. Und wenn sie nach | |
ihrer Herkunft gefragt wird, sagt sie, ohne nachzudenken: Wien. | |
18 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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