Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung in München: Das Wort ist die schärfste Waffe
> Warum gibt es Zensur? Diese Frage stellt eine Ausstellung im Münchner
> Literaturhaus. Antworten findet man zwischen Moral, Politik und Religion.
Bild: „Verbotene Bücher“: Ausstellungsansicht aus dem Literaturhaus in Mü…
Zwischen farbverschmierten rostigen Baugerüsten sind rohe Holzplatten
ausgelegt. Die Seiten der Gerüste sind mit durchscheinenden Stoffen
verhangen, die das Tageslicht matt filtern und den lichten Raum in ein
ungewohnt schummriges Labyrinth verwandeln.
Von der Decke baumeln Schnüre mit Karten, die die Besucher in die Hand
nehmen müssen, um sie entziffern zu können. Absperrbänder weisen den Weg,
ein Zickzackparcours führt durch die Jahrhunderte.
Auf Monitoren flimmern Interviewsequenzen in Dauerschleife. Ein Audioguide
spielt Stimmen von Auslandskorrespondenten ab: von Florian Kellermann etwa,
der für den Deutschlandfunk über Russland berichtet, oder von Annett
Meiritz, die aus amerikanischen Schulbibliotheken meldet, dass manche
Bücher in Pergamentpapier eingeschlagen seien – ein keineswegs
überzeugender Kompromiss zwischen vorgeblicher Liberalität und
struktureller Verklemmtheit.
## Für jedes Thema eine Persönlichkeit
Quer durch den Raum, von überall sichtbar, flimmern drei Begriffe in
Neonpink: Moral. Politik. Religion. Sie umreißen die einzelnen Kapitel der
Schau „Verbotene Bücher“ im Münchner Literaturhaus, und geben zugleich die
Antwort auf die Frage, die diese kleine, aber wichtige Ausstellung stellt:
[1][Aus welchen Gründen gab und gibt es Zensur?] Was ist an herrschenden
Meinungen so gefährlich, dass sie unter den Teppich gekehrt, unterdrückt,
mit brutalen Repressionen verfolgt werden?
Den Themenkomplexen haben die Kuratorinnen Tanja Graf und Anja Seethaler
drei Persönlichkeiten zugeteilt: Das Kapitel „Moral“ stellt die USA in den
Fokus mit dem [2][Comic-Roman „Gender Queer“ von Maia Kobabe], der 2019
erschien und heute auf dem ersten Platz der Liste der vermeintlich
jugendgefährdenden Bücher steht. Bei „Politik“ wird der [3][chinesische
Schriftsteller Liao Yiwu], der seine eng bekritzelten Manuskriptseiten
[4][aus dem Gefängnis schmuggeln musste, beispielhaft anderen Autoren]
vorangestellt.
[5][Salman Rushdie, gegen den Iran eine Fatwa verhängte und der jüngst den
Friedenspreis] des Deutschen Buchhandels bekam, steht [6][mit den
„Satanischen Versen“ für das Kapitel „Religion“.] Aber auch Künstler …
Frank Wedekind, Wolf Biermann oder [7][Vladimir Nabokov] finden ihren
Platz.
Oft verstärken sich die Einzelelemente. Moral und Religion etwa machten die
politische Zensur in den Augen der Kurfürsten nötig, als in Bayern – lange
vor den [8][Bücherverbrennungen durch die Nazis] – die Kirche über die
Lektüre einer zunehmend alphabetisierten und schwerer regierbaren
Bevölkerung wachte.
## „Ezra“ und „Mephisto“
Zwei kritische aktuelle Fragen umgeht die Schau ebenfalls nicht: Erstens
stellt sie an zwei Beispielen – [9][Maxim Billers] „Ezra“ und Klaus Manns
„Mephisto“ – Persönlichkeitsrechte und Zensur gegenüber. Zweitens wird
klar: Cancel Culture ist hier nicht automatisch mitgemeint.
Wo sich Individuen in ihren Sichtweisen von der Masse an den Rand gedrängt
und gecancelt fühlen, habe das nichts mit einer systematischen Zensur durch
Regierungen zu tun, so der Standpunkt der Ausstellung. In Deutschland
mindestens sei Meinungsfreiheit ein geschütztes Grundrecht. Und spätestens
hier wird ein Diskussionsraum bis ins Heute geöffnet.
Am Ende der Schau steht ein Youtubevideo wie ein Fazit, überschrieben mit
„Das unbrennbare Buch“: Eine auf feuerfestem Papier gedruckte Ausgabe
[10][von Margaret Atwoods] „Der Report der Magd“ von 1985 ist zu sehen. Das
Werk wurde vor zwei Jahren in den USA auf den Index gesetzt, der Vorwurf:
zu obszön, zu kritisch, zu blasphemisch. Die Autorin selbst zielt mit einem
Flammenwerfer auf ihr Buch. In Brand gerät es nicht.
Die Botschaft also, die die Besucher zurück in Münchens Straßen entlassen
soll? Das Wort ist die schärfste aller Waffen.
14 Nov 2023
## LINKS
[1] /Verbot-von-Buechern-in-den-USA/!5886978
[2] /Queere-Comics-und-Graphic-Novels/!5909530
[3] /Chinesischer-Dokumentarroman-ueber-Corona/!5845150
[4] /Tag-der-inhaftierten-Schriftsteller/!5642184
[5] /Friedenspreis-fuer-Salman-Rushdie/!5938897
[6] /Friedenspreis-Salman-Rushdie/!5963364
[7] /Film-Essay-zu-Vladimir-Nabokov/!5037511
[8] /Berliner-Buecherverbrennung-1933/!5930336
[9] /Neuer-Roman-von-Maxim-Biller/!5950708
[10] /Friedenspreis-an-Margaret-Atwood/!5453145
## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Religion
Ausstellung
Buch
Bücher
Politik
wochentaz
Kolumne Südlicht
Moral
wochentaz
Kolumne Südlicht
Trikont
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch zur chinesischen Kulturrevolution: Umerzogene Subjekte
Der chinesische Schriftsteller Wang Xiaobo erzählt in „Das Goldene
Zeitalter“ satirisch vom Albtraum der Kulturrevolution.
Das Werkstattkino ist krisenfest: Die Freiheit Münchner Mitternächte
Die letzte U-Bahn ist gefahren, der Späti schließt, aber der Projektor
läuft: Das Mitternachtskino verstößt gegen die kulturelle Sperrstunde.
Schau über Plattenfirma Trikont: Wir befreien uns selbst
Eine angemessen wildwüchsige Schau im Münchner Haus der Kunst holt Fotos,
Plattencover und Bücher des Labels Trikont aus den Archiven.
Literaturfest München: Wo ist der russische Brecht?
Das Literaturfest München stand unter dem Eindruck des Krieges in der
Ukraine. Autoren kommen direkt von der Front.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.