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# taz.de -- Schau über Plattenfirma Trikont: Wir befreien uns selbst
> Eine angemessen wildwüchsige Schau im Münchner Haus der Kunst holt Fotos,
> Plattencover und Bücher des Labels Trikont aus den Archiven.
Bild: Frauenoffensive München: Coverfoto der allerersten Schallplatte auf Trik…
Juni, 1967, West-Berlin. Die Kommune 1 wird gegründet, Freddy Quinn bekommt
seine zehnte Goldene Schallplatte, Benno Ohnesorg wird während der Proteste
gegen den Schah von Persien von dem Polizisten Karlheinz Kurras misshandelt
und erschossen, die Öffentlich-Rechtlichen läuten das Farbfernseh-Zeitalter
ein.
Südwestlich, in Köln, gründet sich der unorthodoxe linke Trikont-Verlag,
der noch im gleichen Jahr nach München umzieht und bald das älteste, in den
Augen vieler auch das konsequenteste Independent-Label der Republik
darstellen wird.
„Archiv 451. Trikont Verlag“ ist die Schau überschrieben, die in der Archiv
Galerie im Münchner Haus der Kunst die Geschichte vom Preis und Reiz jener
Unabhängigkeit erzählt. In dem fensterlosen Raum sind die Exponate, die
sich in ihrer Farbigkeit und Aussagestärke krass gegen die erdrückende
Nazi-Monumentalarchitektur des Museumsgebäudes abheben, entlang eines
Zeitstrahls angeordnet. Kuratorin Sabine Brantl macht lachend eine alle
drei Wände umspannende Handbewegung: „Hier wird gestört!“
## Konferenz der Freiheitsbewegungen
Stören ist die Kernkompetenz von Trikont, das seit 1968 in einem
Handwerkerhäuschen im Münchner Stadtteil Giesing sitzt und dort bis 1986
Bücher verlegte. Der Verlagsname geht auf die Tricontinentale zurück, eine
ständige Konferenz von Befreiungsbewegungen der damals so genannten
„Dritten Welt“ – und war zugleich (Verlags-)Programm.
Trikont publizierte Autoren, die der Neuen Linken eine internationale
Gegenöffentlichkeit erschlossen haben: Fidel Castro, Che Guevara, Mao und
Ho Chi Minh. Der Verlag trieb, davon zeugen die Plakate, die Entstehung
sozialer, antikapitalistischer und feministischer Strömungen aktiv voran:
die Arbeiterbewegung, feministische Manifeste, Anti-Imperialismustheorien.
Die Münchner Ausstellung fügt nun Musik, Ton- und Fotodokumente zusammen.
Zeit- und Label-Geschichte werden verwoben. An fast bodentiefen Gittern
haften berühmt gewordene Plattencover. Sticker sind an die Wand gepinnt,
etwa das grinsende „Atomkraft? Nein danke!“-Logo auf gelbem Grund, 1975 von
einer 22-jährigen dänischen Wirtschaftsstudentin entworfen. Und hier
beginnt die emotionale Reise in die eigene Vergangenheit.
## Gesang zur politische Rebellion
[1][Den „Übergang vom reinen Wort zu Musik“ habe sie als einen der
Meilensteine in der Trikont-Geschichte empfunden, sagt Verlegerin Eva
Mair-Holmes im Gespräch mit der taz]. Gemeinsam mit Brendan Erler, dem Sohn
ihres verstorbenen Mannes Achim Bergmann, führt sie heute die Geschäfte.
Die linke italienische Protestbewegung habe den Gesang zur politischen
Rebellion genutzt, und dies schwappte nach Westdeutschland und -Berlin,
etwa zur Band Ton Steine Scherben.
„Weil sie gesehen haben, wie sehr Musik und miteinander singen das
Gemeinschaftsgefühl stärkt“. Musik sei der Schlüssel zu den Herzen der
Menschen gewesen, und Trikont leitete daraus ab, „Musik in eine Form zu
bringen, die emotional packt“.
Im Jahrzehnt zwischen den Schwabinger Krawallen, die 1962 durch Gitarre
spielende Jugendliche auf der Leopoldstraße ausgelöst worden waren und als
erste westdeutsche Unruhen gelten, und der Sommerolympiade 1972 hatte die
bayerische Landeshauptstadt ihren eigenen Sound entwickelt. Aufnahmestudios
wie „Musicland“ im Arabellapark zogen Rockstars wie die Rolling Stones an.
1972 erschien auch das Debütalbum von Trikont, „Wir befreien uns selbst“,
Kampflieder der Arbeitersache München.
## Kraftvolle alternative Stimme
Trikont setzte dem musikalischen Mainstream von Anfang an eine kraftvolle
alternative Stimme entgegen und leistete Pionierarbeit: Die erste
Schwulenplatte der Krautrock-Band Warmer Südwind „Schwul“, veröffentlicht
1977. Dialektkünstler:innen wie Black Patti und [2][Georg Ringsgwandl]
wurden von Trikont gepusht, als diese Musik in der linken Szene noch
verpönt war.
Zum Dauerseller entwickelte sich das Format „Stimme Bayerns“, mit raren
traditionellen Liedern rund um Themen wie „Die Liebe“, „Der Tod“ und �…
Rausch“. 2016 erschien der Sampler „Borsh Division – Future Sound Of
Ukraine“ [3][des in Berlin lebenden, ukrainischen DJs Yuriy Gurzhy].
Musik ermögliche eben, „sich nicht immer in abstrakten Diskurshöhen zu
bewegen“, sagt Brendan Erler zur taz. „Linke Theorie ist nicht nur eine
Freude, sie macht schon auch Arbeit.“ Musik biete einen anderen Zugang:
Unmittelbarkeit, Verständlichkeit und Emotion zielen auf eine ganz andere
Ebene.
## Gigantische Resonanz
Über Kopfhörer sind in der Ausstellung Stimmen von Zeitzeugen und Freunden
aus dem Trikontkosmos zu hören – etwa von der Verlagsgründerin Gisela
Erler. Der Berliner Musikkurator Imran Ayata erinnert sich etwa an die
„gigantische mediale Resonanz“ auf die [4][von ihm mit zusammengestellte
Compilation „Songs of Gastarbeiter“].
Dadurch sei etwas entstanden, das niemand erwartet hätte: „Man erzählt
Deutschland-Geschichte nur mit dieser Musik, Themen von Rassismus über
Arbeitsverhältnisse, Sex, Liebe. All dies mit Musik, die Gastarbeiter
gemacht haben!“ Seit rund zehn Jahren touren Ayata und Bülent Kullukcu als
Duo AYKU erfolgreich durch die Lande. Anfang 2022 legten sie nach: „Songs
of Gastarbeiter Vol.2“.
[5][Leicht und ständig erfolgreich sind die Zeiten dennoch nicht für
Trikon]t. Streaming ist gerade für ein Indie-Label ein zweischneidiges
Schwert, berichtet Erler, dabei fällt nur wenig ab. 2018 brachte Trikont
fünf statt wie früher 15 Platten auf den Markt. Inflation und Rezession
könnten dazu führen, dass sich „die Leute Kulturgüter wie Platten eher
verkneifen“.
## Sehnsuchtsort für musikalische Erinnerungen
Die Schau mag das ein kleines Stück unwahrscheinlicher machen. Mit jedem
Schritt im Ausstellungsraum wächst der Wunsch nach einer Vinylplatte. Die
Anordnung der Stücke ist von sammlerischer Leidenschaft getragen,
angemessen wild angeordnet, vielleicht zu didaktisch für Nerds. Für die
meisten Besucher:Innen erschafft sie auf wenigen Quadratmetern jedoch
einen in sich geschlossenen Sehnsuchtsort aus musikalischen Erinnerungen –
und unterstreicht, wie sehr gerade im Post-Corona-Deutschland ein Label wie
Trikont gebraucht wird.
30 Jun 2023
## LINKS
[1] /Trikont-Macher-ueber-ihr-Label/!5459138
[2] /Georg-Ringsgwandl-zum-70-Geburtstag/!5550843
[3] /Ukrainischer-Musiker-Gurzhy-ueber-Krieg/!5840614
[4] /Songs-of-Gastarbeiter-Teil-Zwei/!5829195
[5] /Ehrung-fuer-Trikont-Label/!5523451
## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Trikont
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Münchner Buchverlags und Musiklabels Trikont.
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