# taz.de -- Trikont-Macher über ihr Label: „Freiheit, Glück, gemeinsames Le… | |
> Echte 68er: Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann über die Geschichte des | |
> Münchner Buchverlags und Musiklabels Trikont. | |
Bild: Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann | |
taz am wochenende: Frau Mair-Holmes, Herr Bergmann, los ging es 1967 nicht | |
als Plattenfirma, sondern als Verlag, schon damals mit glücklichen | |
Händchen. | |
Achim Bergmann: Ja, Trikont hatte als Start-up von Beginn an rechtlich | |
geklärte und eigens übersetzte Texte veröffentlicht, vor allem aus der | |
„Dritten Welt“, etwa aus Kuba. Von dort gelangte Che Guevaras | |
„Bolivianisches Tagebuch“ zu uns, das sich zum Bestseller entwickelte. | |
„Alle Reaktionäre sind Papiertiger“, stand in der Mao-Bibel, sie wurde von | |
Trikont verlegt. Spielte Musik eine Rolle? | |
Bergmann: Angloamerikanische Popmusik war in Westdeutschland beliebt. Schon | |
1956 lief der Film „Rock around the Clock“ in der Kleinstadt in Westfalen, | |
aus der ich komme. Man konnte die Musik in Körper und Seele fühlen. Danach | |
saß ich brav, aber unzufrieden in der Eisdiele, draußen gingen Halbstarke | |
vorbei, von denen ich wusste, dass sie vor Freude Kinosessel kaputtgehauen | |
haben. Wut und gleichzeitig überschäumende Freude haben mich geprägt. | |
1962 kam es zu den „Schwabinger Krawallen“ in München, aufgrund eines | |
Polizeieinsatzes gegen Straßenmusiker, die Urszene der späteren | |
Studentenproteste. Wie haben Sie das in Erinnerung? | |
Bergmann: Ich kam erst Mitte der Sechziger zum Studium nach München und | |
habe in Schwabing Freiräume gefunden. Wir haben in Kneipen gesessen und | |
über Musik und Filme geredet. Politisch war das noch nicht. Ich suchte in | |
mir selbst, um mich herum, ich wollte reden, meine Eltern redeten nicht. | |
Wie wurden Sie politisiert? | |
Bergmann: Durch die Schüsse auf Ohnesorg. Mit einer Freundin war ich bei | |
der Trauerdemonstration. 1968 kamen die Osterkrawalle, nach dem Attentat | |
auf Dutschke und beim Sturm auf die Zentrale der Münchner Bildzeitung war | |
die Hölle los. Ich wurde zusammen mit 400 anderen verhaftet. Danach bin ich | |
mit meiner Freundin nach Paris gefahren, wir waren kinoversessen. Zufällig | |
gerieten wir in eine Solidaritätsdemonstration für deutsche Genossen. Ein | |
SDS-Mann sprach radebrechend auf Französisch. Das war wie Kino. Danach | |
stieß ich zu Trikont. | |
Im Namen Trikont schwingt der Bezug zur sogenannten Dritten Welt mit, | |
Symbolfiguren wie Ho Chi Minh kannten alle. | |
Bergmann: Der Name wurde aus Solidarität mit den Dritte-Welt-Gesellschaften | |
gewählt. Wir übersetzten die italienische Zeitschrift Trikontinentale. Es | |
war eine Phase des Übergangs, geprägt durch Freiheitskämpfe, in die wir | |
einbezogen wurden durch die Bilder aus Vietnam. Die Amis, die uns vom | |
Faschismus befreit hatten und uns eine umfassende Erziehung angedeihen | |
ließen, durch Comics, Filme und Musik, begingen in Südostasien schwere | |
Fehler. | |
Fast gleichzeitig knüpfte Trikont Bande zu Moses Ash nach New York und der | |
linken US-Folkszene. | |
Bergmann: Das kam über Kontakte zur US-Antikriegsbewegung und so sind wir | |
auf Moses Ash und sein Label Folkways gestoßen, er hatte bekannte Künstler | |
wie Leadbelly unter Vertrag. | |
Die erste Trikont-Veröffentlichung kam aber aus Italien. | |
Bergmann: Lotta Continua hat Singles des Sängers Pino Masi herausgebracht, | |
die wir vertrieben. Das hat uns inspiriert selbst zu singen, erst vor den | |
Toren des BMW-Werks, dann auf Platte: Das erste, 1972 veröffentlichte Album | |
hieß „Arbeitersache, wir befreien uns selbst“. | |
Eva Mair-Holmes, bevor Sie zu Trikont gekommen sind, arbeiteten Sie beim | |
Münchner Blatt, der ersten, 1973 gegründeten westdeutschen Stadtzeitung. | |
War Gegenöffentlichkeit wichtig? | |
Mair-Holmes: Vorher gab es sie nicht. Ursprünglich wurde das Blatt nach dem | |
Vorbild des New Yorker Stadtmagazins Village Voice gegründet. Es wurde zum | |
Kollektiv mit Einheitslohn. Wir verstanden unser Linkssein spielerisch, | |
engagiert, aber undogmatisch. Es ging viel um Drogen und um andere Musik. | |
Es wurde auch über Punk berichtet. | |
Mair-Holmes: Ja genau. Und es gab tolle Cartoons von Gerhard Seyfried. | |
Bedeutsam waren auch die Kleinanzeigen. | |
Was hat sich daraus entwickelt? | |
Mair-Holmes: Dadurch hat sich eine Form von alternativer Marktwirtschaft | |
etabliert. Und die Kleinanzeigen waren Politikum: Kann Sado-Maso direkt | |
thematisiert werden? Wie können sich Homosexuelle formulieren? Der Elan der | |
Auseinandersetzungen war toll. | |
Bergmann: Zunächst fremdelten wir bei Trikont damit, aber das Blatt hat uns | |
geholfen, offener zu werden. So haben wir Sachen mitbekommen, die das | |
Alltagsleben angenehmer machen, mit ein Grund, warum Trikont dann ein | |
reines Label wurde. | |
Ende der Siebziger hatte sich Trikont als Label professionalisiert und | |
veröffentlichte Alben von Rockbands wie Schröder Roadshow. Musikalisch | |
recht bieder, aber erfolgreich. | |
Bergmann: Von deren Album „Anarchie in Germoney“ haben wir viele Exemplare | |
verkauft. Punk ließen wir dagegen aus. Obwohl Geoff Travis, Gründer des | |
Londoner Indie-Labels Rough Trade, fragte, ob wir seine Platten vertreiben | |
wollen. Wir haben abgelehnt mit der Begründung, dass Punk eine Bewegung | |
eigenen Typs sei, über die man als Autonomer nichts Fremdes stülpt. Klingt | |
komisch, kam aber aus tiefster Überzeugung. | |
Zur selben Zeit entdeckte Trikont die Liebe zur alpenländischen Volksmusik. | |
Warum? | |
Bergmann: Regionalismus hatte uns bereits 1975 beschäftigt, als im | |
badischen Wyhl ein Bauplatz für ein geplantes Atomkraftwerk besetzt wurde. | |
In Bayern hat Herbert Achternbusch das brachial Urtümliche früh | |
thematisiert. Sprache ist in uns und um uns, und sei es nur als Dialekt, | |
darin steckt Unabhängigkeit. | |
Mair-Holmes: Als gebürtige Bayerin tat ich mir da schwer. Eigentlich habe | |
ich alles Deutschsprachige abgelehnt. Mein Vater ist Amerikaner. Achim | |
kommt aus dem Sauerland, er näherte sich dem Bayerischen von außen. Als ich | |
mir dann die alten VolkssängerInnen angehört habe, musste ich doch | |
mitsingen. Die Musik drohte damals zu verschwinden, aber wie die | |
KünstlerInnen einst gelebt haben, wie sie sich ausgedrückt haben, ist toll. | |
In Liedern wie „Mit der Arbeit versäumst Du die Zeit“ stecken | |
anarchistische Botschaften. | |
Apropos Arbeit. Seit 40 Jahren residiert Trikont im ehemaligen Münchner | |
Arbeiterviertel Giesing in einem alten Handwerkerhäuschen . . . | |
Bergmann: . . . in dem zuvor Gastarbeiter gewohnt haben. | |
Kann Trikont überleben, wenn Musik im Netz verschenkt wird? | |
Mair-Holmes: Wir leben ohnehin am Rande des Abgrunds und zehren von | |
Erfolgsgeschichten, wie La Brass Banda und Hans Söllner. Allein von seinem | |
Album „Hey Staat“ wurden mehr als 500.000 Exemplare verkauft. | |
Was geschieht mit den kunstvoll gestalteten Alben im Zeitalter von | |
Streaming? | |
Bergmann: Bei aller Merkwürdigkeit unseres Programms bleibt eins gleich: | |
Wir bestehen aus Erlebnissen, die die Welt der Musik und unsere Lokalität | |
miteinbeziehen. Das wird nie vergehen. Wenn Musik nur ein Ton ist, der | |
hergestellt wird wie ein Algorithmus, geht es zu Ende. Da wir daran nicht | |
glauben, haben wir zweierlei in die Wege geleitet: Einerseits haben wir auf | |
der Homepage historisches Material zugänglich gemacht. Andererseits haben | |
wir eine eigene Bookingagentur für Konzerte. | |
Als Trikont anfing, bekleideten noch Altnazis Schaltstellen in der | |
Bundesrepublik. Nun trachten neue Rechte nach Macht. Sie haben mit denen | |
bei der Frankfurter Buchmesse schmerzhafte Erfahrungen gemacht. | |
Bergmann: Ich kam am Stand der Jungen Freiheit vorbei, da sprach jemand | |
über die Schuld der 68er… | |
Mair-Holmes: Sie seien schuld an der Gleichstellung, an der Homo-Ehe und so | |
weiter. | |
Bergmann: Als ich das hörte, habe ich Richtung Podium gerufen: „Du redest | |
Scheiße.“ Da standen 20 Zuhörer, alles Männer, einer kommt auf mich zu, | |
schreit mich an und schlägt mir ins Gesicht. Mir wurde schwarz vor Augen, | |
ich ging zu Boden und habe geblutet. Dann gucke ich, aber es gab keinerlei | |
Reaktion, ich bin zurück zu unserem Stand gelaufen. Eva und ich sind wieder | |
hin und der Typ steht da ungerührt. Ich habe mein Handy gezückt, und ihm | |
gesagt, die Polizei sei unterwegs. In dem Augenblick hat er Eva gepackt und | |
zu Boden geschmissen. | |
Mair-Holmes: Dann kamen Jungs von einem Comic-Stand zu Hilfe. Die haben den | |
festgehalten. Das Ende der Geschichte, der Typ, der aus dem Anti-68er-Buch | |
gelesen hat, kam an den Trikont-Stand und sagte, er wolle ihn sich ansehen. | |
Kurioserweise hat er seine Brille abgenommen. Er meinte, wir hätten kein | |
Hausrecht und er könne hier stehen, bis es dunkel wird. Sein | |
Selbstbewusstsein war immens. Ich habe bei dem Typen sofort gemerkt, er hat | |
keine Hemmschwelle. | |
Körperverletzung bleibt Körperverletzung. | |
Bergmann: Ja, darum habe ich Strafanzeige erstattet. Ich würde gerne den | |
Verlag der Jungen Freiheit miteinbeziehen, denn die haben ja zuvor | |
postuliert, der Anstand sei durch 68er wie mich verloren gegangen. | |
Verkehrte Welt. | |
Mair-Holmes: Bei uns steht eine Dresdner Brass-Band unter Vertrag, Banda | |
Internationale, die zusammen mit Flüchtlingen aus Protest gegen die | |
Montagsdemos von Pegida regelmäßig live spielt. Wenn sie sich versammeln, | |
kann es passieren, dass ein Rechter vorbeikommt, einem Bandmitglied die | |
Trompete entreißt und zu Boden schmeißt, ohne dass jemand eingreift. | |
Bergmann: Freiheit, Glück, gemeinsames Leben machen Trikont aus. Als diese | |
Comic-Verleger gekommen sind, um mir zu helfen, wusste ich, von denen kann | |
ich was lernen, nicht von dem rechten Gesocks. | |
Der 50ste Geburtstag wäre geschafft – wie stehen die Chancen für den | |
100sten? | |
Bergmann: Was denken Sie? Wir stehen in ständigem Kontakt zum großen | |
Vorsitzenden Mao Tse-tung. Er sagt: Ja. | |
11 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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