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# taz.de -- Das Werkstattkino ist krisenfest: Die Freiheit Münchner Mitternäc…
> Die letzte U-Bahn ist gefahren, der Späti schließt, aber der Projektor
> läuft: Das Mitternachtskino verstößt gegen die kulturelle Sperrstunde.
Bild: München bei Nacht, still genug um seinen Gedanken nachzuhängen
Was Berliner*innen am Münchner Nachtleben fehlt? Die 24-Stunden-Spätis
oder U-Bahnen, die die ganze Nacht lang fahren, nur so zum Beispiel.
München klappt – wir zumindest kennen uns nicht anders – nach Mitternacht
die Bürgersteige hoch. Ganz München? Nein. Die Arthouse-Szene widersteht
der kulturellen Sperrstunde schon seit Zeiten, als München noch wild war
wie das heutige Berlin, das frühere Bonn der bundesdeutsche Regierungssitz
war und das frühere Berlin ein geteiltes, um sich selbst kreisendes
Politikum von weltweiter Bedeutung.
## Verwegene und vergessene Filme
Bis heute hält das Münchner Werkstattkino am Mitternachtskino fest.
„Verwegene und vergessene Filme, verruchte, verdammte, verlachte Kinostücke
haben ihr Zuhause im Werkstattkino seit der Gründung 1974“, heißt es auf
der Homepage.
Und fast ebenso lange, seit 1977 nämlich, setzen die Münchner
Museumslichtspiele die „Rocky Horror Picture Show“ zweimal wöchentlich
mitternachts aufs Programm. Münchner Mitternächte sind damit mehr als nur
ein Beispiel für die Freiheit, die sich unabhängige Kinomacher hier nehmen
können: Sie sind das beste Symbol dafür.
Gerade die Arthouse-Szene leidet unter den gigantischen Saalmieten – was
nun der Grund für das Aus des Filmtheaters am Sendlinger Tor ist, das einem
unnachgiebigen Pächter gerichtlich unterlegen ist.
Viele blicken aber trotz historischer [1][Tiefstände der Besucherzahlen in
Coronazeiten] positiv nach vorn. 2020 kamen bundesweit nur 38 Millionen
Besucher in die Kinos, während es im Jahr zuvor 118 Millionen gewesen
waren. 2022 hat sich die Zahl wieder auf knappe 80 Millionen erhöht.
Schließen mussten wenige: 1.734 Kinos gab es 2019 in Deutschland, 2022 sind
es nur vier weniger.
## Die Lust am Weitermachen
Wolfgang Bihlmeir, der dem Leitungskollektiv des Werkstattkinos angehört,
ist überzeugt, dass es um die bayerischen Arthousekinos momentan
vergleichsweise gut steht. Zumindest um die in München und damit auch um
sein eigenes. Obwohl das Werkstattkino zum zweiten Mal in Folge keine
Förderung der BKM und damit des Bundes bekommen hat – wodurch zum zweiten
Mal 7.500 Euro im Jahresbudget fehlen –, geht dem Lichtspielhaus weder das
Geld noch die Lust am Weitermachen aus.
Solange die Stadt München und der Freistaat die Münchner Arthouse-Kinos mit
mittleren vierstelligen Beträgen jährlich unterstützen, kann das
Werkstattkino die entgangene Prämie des Bundes ausgleichen. Bihlmeir klingt
enttäuscht, wenn er von der BKM-Entscheidung berichtet – aber in Sorge ist
er nicht.
## Alternativer ästhetischer Diskurs
Ein Kunstwerk, schrieb Émile Zola, ist ein Stück Schöpfung, betrachtet
durch ein Temperament. Im Werkstattkino ist ein Kunstwerk – also ein
sehenswerter Film – ein Eckzipfel der Realität, der durch das Temperament
von vier leidenschaftlichen Kinomachern aus der Masse herausgefiltert wird.
Sie schreiben ins Programmheft, was ihnen gefällt, und treiben den
alternativen ästhetischen Diskurs voran: iranische, japanische oder
georgische Themenwochen, Hommagen an Einzelkünstler wie den
Dokumentarfilmer Herbert Fell, den Schweizer Autorenfilmer Clemens
Klopfenstein, den Regisseur Philipp Hartmann, eine Wüstenfilmreihe oder
zarte Oden an Filmkomponisten wie Peter Thomas.
Schon klar: Ähnliche Kinos und Projekte gibt es auch in Berlin, die
Brotfabrik oder das Kino Krokodil zum Beispiel.
Was Münchner*innen in Berlin trotzdem fehlt? Die stille Einsamkeit, die
über der halbdunklen Stadt liegt, wenn man nach der Spätvorstellung durch
leere Straßen wandert, weil die letzte U-Bahn wieder weg ist – gesättigt
mit neuen Eindrücken, angefüllt mit frischen Ideen und zart bestäubt mit
Popcornkrümeln.
19 Sep 2023
## LINKS
[1] /Bilanz-nach-der-Pandemie/!5925560
## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Kolumne Südlicht
München
Kino
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Religion
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