| # taz.de -- Kulturförderung in Berlin: Es geht an den Humus der Kulturszene | |
| > Berlins Off-Kultur ist von Kürzungen bedroht. Vor allem strukturfördernde | |
| > Maßnahmen fallen unter den Tisch. Im Kulturausschuss wird heute | |
| > nachverhandelt. | |
| Bild: Beim Richtfest im November 2022 für einen Erweiterungsbau des ZK/U | |
| Berlin taz | Im kommenden Kulturhaushalt 2024/25 müssen sich vor allem | |
| kleinere, freie Kulturprojekte auf deutliche Kürzungen bis zu 70 Prozent | |
| oder gar den Wegfall jeglicher Förderung durch die öffentliche Hand | |
| einstellen. Die grüne und linke Opposition fürchtet Kahlschlag am „Humus | |
| der Kulturszene“, zudem gibt es offene Briefe und Hilferufe vom Rat der | |
| Künste, von Berlins Tanzszene, der Koalition der Freien Szene Berlin. Auch | |
| melden sich immer mehr Akteur*innen wie die renommierte Lautten | |
| Compagney, die Panda platforma, das [1][Zentrum für Kunst und Urbanistik | |
| (ZK/U)], die Berlin Monidale und das Sinema Transtopia zu Wort. Der | |
| Kulturhaushalt wird heute im Kulturausschuss diskutiert, im Dezember wird | |
| der Doppelhaushalt im Parlament verabschiedet. | |
| Aus der Kulturverwaltung herrscht zu den drohenden Kürzungen Schweigen. Man | |
| möge Verständnis dafür haben, sich „während der laufenden | |
| Haushaltsverhandlungen dazu nicht äußern“ zu können, so Pressesprecherin | |
| Hannah Dannel. [2][Im taz-Interview hatte Kultursenator Joe Chialo (CDU) | |
| betont], mit seinem neuen Rekordhaushalt von 947 Millionen Euro für 2024 | |
| und gut einer Milliarde Euro für 2025 nicht nur Hochkultur oder | |
| kommerzielle Kultur fördern zu wollen, sondern auch solche, „die mit den | |
| Menschen in den Diskurs tritt, die uns zum Nachdenken anregt und die den | |
| gesellschaftlichen Zusammenhalt vorantreibt“. | |
| Doch sowohl die lebendige und vielfältige Berliner Off-Kultur selbst, die | |
| in dieser Stadt noch immer ein Alleinstellungsmerkmal ist, als auch die | |
| Politik sprechen nun von einem Kahlschlag. In einem offenen Brief weisen | |
| das Netzwerk Tanzraum Berlin und der Verein Zeitgenössischer Tanz Berlin | |
| (ZTB) auf erhebliche Kürzungen für die „seit Jahren und zunehmend | |
| unterfinanziert(e)“ Sparte Tanz hin. „Die Förderung für | |
| Tanzkünstler*innen und Tanzorte sank für den Doppelhaushalt 2024/25 | |
| gegenüber 2022/23 insgesamt noch einmal um fast 500.000 Euro. Das | |
| entspricht einer Kürzung um mehr als 15 Prozent“, heißt es in einer | |
| öffentlichen Stellungnahme vom 4. Oktober. | |
| ## Sie wollen nicht alle paar Jahre die Expertise verlieren | |
| Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung bei den Grünen, kritisiert, | |
| dass Maßnahmen unter dem früheren Kultursenator Klaus Lederer (Linke) | |
| wieder rückgängig gemacht worden sind, die die freie Kulturszene nachhaltig | |
| resilienter gemacht hätten. Das betrifft auch einige der angesprochenen | |
| Projekte. Vor allem bei den sogenannten Projekträumen, also Orten, an denen | |
| produziert und präsentiert wird, wurde eine erst in diesem Jahr eingeführte | |
| Konzeptförderung von insgesamt über einer Million Euro wieder gestrichen. | |
| Diese war vor allem für Orte gedacht, welche noch keine Institutionen sind, | |
| aber trotzdem dank eines festen Stamms von Mitarbeiter*innen mehr | |
| brauchen als eine Basisförderung oder gar nur Förderungen von Projekt zu | |
| Projekt, um in einer Zeit des Fachkräftemangels auch im Kulturbereich nicht | |
| alle paar Jahre ihre ganze Expertise zu verlieren und wieder von vorn | |
| anfangen zu müssen. | |
| Einen Teil der Kürzungen will Schwarz-Rot nun zurücknehmen, es gibt | |
| Änderungsanträge für die Projekte Panda platforma, das ZK/U und die Berlin | |
| Mondiale, damit diese weiterarbeiten können. Sie haben offenbar allein | |
| deshalb realistische Chancen durchzukommen, weil es allzu schlechte Werbung | |
| für die Koalition wäre, wenn ausgerechnet Projekte in finzanzielle | |
| Schieflage gerieten oder gar aufgeben müssten, die niedrigschwellige Kultur | |
| anbieten, komplexe Nachbarschaften und internationale Communitys vernetzen. | |
| So ist das ZK/U dafür bekannt, dass es einen alten Güterbahnhof in Moabit | |
| sichern konnte, Atelierwohnungen für Stipendiat*innen aus der ganzen | |
| Welt anbietet, aber auch kostenlose Kultur für die Nachbar*innen. Das | |
| transkulturelle Netzwerk Berlin Mondiale ist eine Anlaufstelle für Menschen | |
| im Exil, geht in Stadtviertel ohne kulturelle Infrastruktur und hat unter | |
| anderem den Nachbarschaftscampus am Neuköllner Dammweg initiiert. Die | |
| unabhängige Panda platforma in der Kulturbrauerei, eine internationale | |
| Spielstätte mit dem Schwerpunkt Post-Ost-Community, hat sich zu einem der | |
| wichtigsten Treffpunkte für Kulturschaffende gemausert, wo „klare Position | |
| gegen die Kreml-Propaganda“ bezogen wird, wie Macherin Svetlana Müller es | |
| formuliert. | |
| ## Es trifft vor allem das Prekariat | |
| Dennoch ist deshalb nicht wieder alles in Butter. Der aktuelle Senat, da | |
| sind sich Kritiker*innen einig, läuft eher akuten Brandherden | |
| hinterher, als nachhaltige Strukturen zu schaffen, in die auch neue | |
| Projekte hineinwachsen könnten. „Es trifft vor allem die Kulturszene mit | |
| ohnehin prekärer Struktur und erbärmlichen Einkommensverhältnissen“, so | |
| Daniel Wesener. „Berlin galt lange als künstlerisches Zentrum in Europa, | |
| etwa für Tanz und Jazz. Jetzt fällt die Stadt zurück.“ | |
| Und was vielleicht ebenso schwer wiegt: Zwar dürfte jetzt bei einigen | |
| nachkorrigiert werden. Andere wie das Sinema Transtopia werden aber wohl | |
| unter den Tisch fallen. Das Sinema Transtopia hat im Haus der Statistik | |
| einen transnationalen Begegnungsraum für Filmkultur, Kunst, Wissen und | |
| Nachbarschaft mit Modellcharakter entwickelt. 2023 konnte es auf 350 | |
| Quadratmetern im Wedding einen gut funktionierenden und professionell | |
| ausgestatteten Präsentationsraum für viele Akteur*innen der freien Szene | |
| verstetigen. | |
| Bislang erhielt das Projekt eine Strukturförderung, die nun komplett | |
| gestrichen ist. Ein Änderungsantrag liegt der Koalition nicht vor, der | |
| heute diskutiert werden könnte. „Ohne strukturelle Förderung aus der | |
| öffentlichen Hand müssen wir im Januar 2024 schließen“, so Malve Lippmann | |
| vom Sinema Transtopia. | |
| 9 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5893707 | |
| [2] /Berlins-Kultursenator-im-Interview/!5951695 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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