| # taz.de -- Iranische Underground-Musik: Singen in finsteren Zeiten | |
| > Das Festival „Tehran Contemporary Sound“ im Bethanien war geprägt vom | |
| > Kriegsgetöse in Nahost. So fielen vielen Konzerte nachdenklicher aus. | |
| Bild: Die Musik der Komponistin Aftab Darvishi wurde am Eröffnungsabend aufgef… | |
| „Ich bin die freie Frau und mein Spiegelbild in den Menschen: Schönheit, | |
| Eleganz, Anmut und Respekt. Mit Glauben und Zuversicht werde ich meine | |
| Geschichte erzählen“, sagt die Teheraner Theaterleiterin Poupak Azimpour. | |
| Genau das tut die Teheraner Dichterin Ghazal Mahdavi in einem Satz: „Ich | |
| lebte hinter dieser Wand, damit deine Hände zum Leben erwachen konnten.“ | |
| Dabei sagen die beiden Künstlerinnen das nur zu sich selbst, ihre Worte | |
| haben sie auf Stoffbahnen geschrieben, die durch einen | |
| Schwarz-Weiß-Kurzfilm der Komponistin Aftab Darvishi wehen. In den Film | |
| montiert sind weitere Sequenzen der Fotografin Tahmineh Monzavi, sie zeigen | |
| Aftab Darvishi tanzend in einem Ruinenensemble bei Teheran. Die von einem | |
| Streichquartett aufgeführte elegisch-minimalistische Musik der Komponistin | |
| Darvishi kontrastiert mit den Bewegungen der Tänzerin Darvishi. | |
| Damit begann am vergangenen Freitag die diesjährige Ausgabe des [1][in der | |
| taz bereits mehrfach], zuletzt im Mai dieses Jahres vorgestellten Festivals | |
| [2][„Tehran Contemporary Sounds“], das mit zwei Veröffentlichungen | |
| gleichzeitig als Label und als Netzwerk der iranischen Diaspora fungiert. | |
| Einiges war vertraut, zuerst die gewohnte, fast schon sakrale Atmosphäre in | |
| dem zur Mitte des 19. Jahrhunderts als preußische | |
| „Central-Diakonissenanstalt und Krankenhaus Bethanien“ errichteten | |
| Kunstquartier Bethanien. Dann war da wie in vorigen Festivalausgaben das | |
| visuelle Element, das Spiel mit verschiedenfarbigem Licht und verschieden | |
| dunklen Schatten präsent. | |
| Aber, es war einiges auch anders in diesem Jahr. Die „Tehran Contemporary | |
| Sounds“ haben sich in ihren vergangenen Ausgaben den Ruf erspielt, ein | |
| geräuschhaltiges und experimentierfreudiges Festival zu sein. Erinnert sei | |
| an den Auftritt des Industrial-Elektronikers Sote im Herbst 2022. Im | |
| Gegensatz dazu geriet der diesjährige Eröffnungsabend mit Aftab Darvishi | |
| und viele der folgenden Auftritte nachdenklich und still. Der eskalierende | |
| Krieg im Nahen Osten hat auch das Festival erreicht. Aftab Darvishi wies in | |
| einer kurzen Vorabrede darauf hin, dass die Musikerinnen der | |
| Barenboim-Said-Akademie, die ihre Musik aufführten, aus Bulgarien, Israel | |
| und Palästina kommen. Es war das erste Mal überhaupt, dass das „Tehran | |
| Contemporary Sounds“-Festival mit einer Eingangsrede begonnen hat. | |
| Leise Übergänge | |
| Darvishis Komposition „Daughters of Soul“, die Musik zu den Worten der | |
| Frauen auf Stoff und zu dem Tanz in der Geisterstadt bei Teheran, ist von | |
| einem Poem des zeitgenössischen iranischen Dichters Ahmad Shamloo | |
| inspiriert, einem Text leiser Übergänge und detaillierter Verwandlungen, | |
| wie Darvishi der taz erläutert. „Daughters of Soul“ ist in Zusammenarbeit | |
| mit dem renommierten Kronos Quartet entstanden. [3][„A Thousand | |
| Butterflies“], das Albumdebüt Aftab Darvishis, wurde vergangenes Jahr auch | |
| von dem Hamburger Label 30M Records veröffentlicht, das seit 2020 aktuelle | |
| Musik aus dem Iran verlegt und das ebenfalls bereits in der taz porträtiert | |
| worden ist. | |
| „A Thousand Butterflies“ enthält fünf ausgedehnte Kompositionen Darvishis: | |
| Sie reichen von einem Solo-Stück für Cello, in Teheran eingespielt von | |
| Mahyar Tahmasbi – auch er trat am Freitag beim Festival im Bethanien auf – | |
| bis zu einem in einer Kirche aufgenommenen Stück zusammen mit dem Stockholm | |
| Saxophone Quartet. | |
| Etwas später kam dann Saba Alizadeh, Labelkollege Darvishis und Komponist, | |
| der sowohl elektronisches Instrumentarium als auch die iranische | |
| Stachelgeige Kamancheh spielt und aus dieser Kombination ein überzeugendes | |
| Amalgam aus Moderne und Tradition zauberte. Alizadeh hat in Deutschland | |
| zwei Alben veröffentlicht: „Scattered Memories“ auf Karlrecords und „I M… | |
| Never See You Again“ (30M). Auf diesem Album ist übrigens in zwei schönen | |
| Beispielen gegenseitiger kultureller Wertschätzung [4][Andreas Spechtl von | |
| der Berliner Band Ja, Panik als Gast zu hören]. | |
| Alizadehs jüngste Veröffentlichung ist die Single „Nafir“ über den | |
| iranischen Aufstand, inspiriert von den Zeilen Bertolt Brechts: „In den | |
| finsteren Zeiten / Wird da auch gesungen werden? / Da wird auch gesungen | |
| werden. / Von den finsteren Zeiten.“ Diese hat der Regisseur Michael Benson | |
| an den Anfang seines Dokumentarfilms „Predictions Of Fire“ über das | |
| Künstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst gestellt, dessen musikalischer Arm | |
| Laibach morgen mit der Persien-Saga „Alamut“ in Frankfurt am Main auftritt. | |
| Begleitet von einem großem Orchester, geleitet vom iranischen Dirigenten | |
| Navid Gohari. | |
| 19 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
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