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# taz.de -- Performerin Bianchi über sexuelle Gewalt: „Keine Vergewaltigung …
> Carolina Bianchi untersucht in ihrer neuen Performance sexuelle Gewalt
> gegen Frauen. Dafür nimmt sie K.-o.-Tropfen auf der Bühne des Berliner
> HAU ein.
Bild: Künstlerin Carolina Bianchi bei ihrer Performance „The Bride and The G…
taz: Carolina Bianchi, in Ihrem Stück „The Bride and The Good Night,
Cinderella“, das gerade am Berliner HAU läuft, nehmen Sie während der
Vorstellung K.-o.-Tropfen ein. Welchen Effekt hat das?
Carolina Bianchi: Ich nehme „Good night, Cinderella“, das ist eine Mischung
aus verschiedenen Schlafmitteln und ein klassischer
Vergewaltigungscocktail. Nach der Einnahme fühle ich mich sehr schläfrig
und schlafe während der Show auch ein.
Was ist das Erste, das Sie wahrnehmen, wenn Sie erwachen?
Konfusion und Schläfrigkeit. Die K.-o.-Tropfen beeinflussen das
Erinnerungsvermögen. Und darum geht es in dem Stück auch: Wie rekonstruiert
man eine Erinnerung an etwas, das von einem genommen wurde? Im Falle einer
Vergewaltigung gibt es die Tat, aber auch Dinge jenseits davon. Und man hat
keinen Zugang mehr zu dem, was passiert ist.
Was gab für Sie den Ausschlag, sich dem Thema zu widmen, und wie sind Sie
auf die Geschichte der [1][italienischen Aktionskünstlerin Pippa Bacca]
gestoßen?
Ich habe mich schon viele Jahre mit dem Thema auseinandergesetzt. Meine
früheren Arbeiten in Brasilien kreisten darum. Als ich „The Magnificent
Tremor“ beendete, beschäftigte ich mich bereits mit der Idee, wie Frauen
mit ihren Gewalterfahrungen umgegangen sind. Ich recherchierte zur
Performerin Ana Mendieta (eine kubanisch-amerikanische Künstlerin, die
stark körperbasiert arbeitete und 1985 nach einem Streit mit ihrem Ehemann
durch einen Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen ist, Anm. d. Red.). In
dem Zusammenhang stieß ich auf Pippa Baccas Geschichte und wurde regelrecht
besessen davon.
Inwiefern besessen?
Besessen von ihrer Geschichte und all den Widersprüchen in ihr als Person.
Für mich ist ausschlaggebend, dass sie Performerin war, vergewaltigt und
umgebracht wurde, während sie quasi eine Performance machte. Die
künstlerische Arbeit ist etwas, was uns verbindet. Es handelt sich aber
nicht um eine Hommage, sondern um ein Sprechen über eine Person, die
gestorben ist. Das ist ja auch ein Tabu. Wir denken oft, wir müssen über
Tote als perfekte Menschen sprechen, eben weil sie gestorben sind. Ich
versuche sie aber wieder menschlicher zu machen. Sie ist nicht nur Opfer.
Sie ist auch Künstlerin, hat ihre Erfahrungen gemacht, ihre künstlerischen
Entscheidungen getroffen.
2008 ist Bacca in einem Brautkleid auf einer „Friedensreise“ per Anhalter
von Europa bis in den Nahen Osten gereist. Nahe Istanbul wurde sie von
einem Lastwagenfahrer ermordet. Im Anschluss schlug eine türkische Zeitung
vor, aus Respekt ihr gegenüber und auch als eine Art Wiedergutmachung der
türkischen Gesellschaft solle eine Künstlerin aus der Türkei die Reise
fortsetzen. Haben Sie jemals daran gedacht, Baccas Friedensprojekt zu
vollenden?
Nein, ich hätte davor zu viel Angst. Ich komme aus Brasilien, wo es täglich
Vergewaltigungen und Femizide gibt. Auch wenn ich mittlerweile in Europa
lebe, prägt einen diese Realität. Die unterschiedlichen Kontexte, aus denen
Bacca und ich stammen, spielen ebenfalls eine Rolle im Stück.
Bei der Darstellung sexueller Gewalt stellt sich auch die Frage nach deren
Reproduktion. Wie stellt man künstlerisch sexuelle Gewalt gegen Frauen dar?
Eine Sache möchte ich klarstellen: Ich reproduziere in meiner Arbeit keine
Vergewaltigung. Ich nutze die Mittel von Theater und Performance, um über
die Erinnerungsformen meines Körpers zu spekulieren. Ich bin in diesem
Sinne Forscherin. Ich möchte untersuchen, ob Theater diese Art von Sprache
über Gewalt bewahren kann.
Wie gehen Sie mit dem Risiko um, Menschen, die Gewalterfahrungen erlitten
haben, durch die Performance zu retraumatisieren?
Ich will selbstverständlich nicht retraumatisieren. Ich denke eher darüber
nach, welche Art von Konversation man mit dem Publikum eröffnen kann. Im
Stück geht es um Gewalt, und das kann natürlich durchaus triggern. Wenn
Menschen spüren, dass sie damit nicht in Berührung kommen wollen, können
sie die Vorstellung verlassen. Niemand ist gezwungen, zu bleiben. Ich denke
aber auch, dass es wichtig ist, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen, ein
Bewusstsein dafür zu entwickeln, was sie im eigenen Inneren auslöst.
Die Arbeit ist Teil I Ihrer geplanten „The Cadela Força“-Trilogie, die sie
gemeinsam mit ihrem Kollektiv Cara de Cavalo erarbeiteten. Worum wird es in
den anderen beiden gehen?
Das nächste Kapitel wird die Täterseite beleuchten und der dritte Teil wird
nichts abschließen, so viel kann ich sagen.
4 Oct 2023
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## AUTOREN
Tom Mustroph
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