| # taz.de -- Hungerstreik abgebrochen: Ausfahrt Arbeitskampf | |
| > Lkw-Fahrer aus Osteuropa blockieren die Autobahn-Raststätte Gräfenhausen. | |
| > Sie wollen mehr Lohn. Aber ihren Hungerstreik haben sie beendet. | |
| Gräfenhausen taz | Georgi Kapanadze wird als einer der Letzten untersucht. | |
| Er setzt sich an den Rand der Ladefläche des Kleintransporters und zieht | |
| den linken Ärmel seines Sweatshirts hoch. Während Schwester Angelika, so | |
| will sie genannt werden, seinen Blutdruck misst, pikst der Arzt Sebastian | |
| Schink in Kapanadzes rechten Zeigefinger, um den Blutzuckerspiegel zu | |
| messen. Schink hört Kapanadzes’ Herz und Lunge ab, fragt, ob er Medikamente | |
| nimmt, und rät ihm, viel Wasser zu trinken. Das Team des Mainzer Vereins | |
| „Armut und Gesundheit“ legt eine Karteikarte für Kapanadze an und | |
| verabschiedet ihn fürs Erste. | |
| Es ist Samstag, Tag 5 des Hungerstreiks von etwa 30 Lkw-Fahrern auf der | |
| Raststätte Gräfenhausen-West an der Autobahn A5 zwischen Darmstadt und | |
| Frankfurt am Main. Am Montag danach werden die Fahrer die verweigerte | |
| Nahrungsaufnahme wieder abbrechen, aus gesundheitlichen Gründen. Aber jetzt | |
| ist Gerhard Trabert vor Ort, Professor, Arzt und Gründer des Vereins, mit | |
| seinem Arztmobil und einem Team von Ärzten und Pflegekräften auf der | |
| Raststätte, um nach den Männern zu sehen. Eine Krankenversicherung haben | |
| die Männer nicht, Traberts Untersuchungen sind kostenlos. | |
| Das Arztmobil ist zum ersten Mal seit [1][Beginn des Hungerstreiks] vor | |
| Ort. „Jetzt beginnt die kritische Phase“, sagt Trabert der taz. Nach fünf | |
| Tagen Hungerstreik stelle der Stoffwechsel um, es gehe an die körpereigenen | |
| Reserven, Organe könnten angegriffen werden. „Wenn dann das Herz | |
| angegriffen wird, kann es zu Herz-Rhythmus-Störungen kommen.“ Allerdings, | |
| so betont er: „Das ist von Anfang an eine lebensgefährliche Situation. | |
| Jeder weitere Tag, jede weitere Stunde ist ein Risiko.“ Sein Team wolle | |
| alle 30 Beteiligten einmal durchchecken – für ihre Gesundheit garantieren | |
| könne es aber nicht. | |
| Insgesamt streiken hier und in Gräfenhausen-Ost rund 80 Männer bereits seit | |
| über zwei Monaten. Sie alle arbeiten für eine der polnischen Speditionen | |
| Agmaz, Lukmaz oder Imperia, die zur Firmengruppe von Lukasz Mazur gehören. | |
| Firmensitz ist Wawrzeńczyce nahe Krakau, ihr gehört eine Flotte von mehr | |
| als Tausend Lkw. Die Unternehmen sollen den Fahrern mehrere Monatslöhne | |
| schulden, insgesamt etwa eine halbe Million Euro. | |
| Rund 60 leuchtend blaue Lkw – typisch für die Gruppe Mazur – stehen auf der | |
| Raststätte West, weitere etwa 20 gegenüber in Gräfenhausen Ost. Läuft man | |
| zwischen den Trucks entlang, sieht man an jeder Fahrertür einen | |
| handgeschriebenen, mit Klebeband angeklebten Zettel. Darauf verzeichnet: | |
| der Name des Arbeitgebers, das Autokennzeichen, der Name des Fahrers und | |
| die Höhe des Geldes, das Mazur ihm schuldet. Mal sind es 4345, mal 4195 | |
| oder gar 7745 Euro. Mehrere Tausende Euro soll die Spedition jedem | |
| einzelnen der Männer schulden. Die streitet das ab. | |
| Kapanadze, er heißt eigentlich anders, kommt aus Georgien – so wie viele | |
| andere hier. Seit zwei Monaten sei er auf dem Rastplatz, erzählt er auf | |
| Russisch. Seit fünf Tagen habe er nicht gegessen. Warum? „Wir wollen | |
| bezahlt werden.“ Und: „Wir wollen, dass anderen Beschäftigten in der | |
| Zukunft eine Situation wie die unsere erspart bleibt.“ Dann dankt er noch | |
| Deutschland für die Hilfe, die die Männer hier im Land bisher erfahren | |
| haben. Mehr will er nicht sagen. | |
| Es ist bereits der zweite Streik von Lkw-Fahrern der Firmengruppe Mazur in | |
| Gräfenhausen. Auch im März und April hatten sich auf der Raststätte rund 60 | |
| Trucker eingefunden, weil sie mehrere Monate lang keinen Lohn erhalten | |
| hatten. Warum ausgerechnet Gräfenhausen? Zufall. Der erste Trucker war | |
| gerade auf der A5 unterwegs, als es ihm reichte. Zu lange hatte er kein | |
| Geld gesehen. Der Protest machte die Runde – in Chats und Foren, in denen | |
| sich Lkw-Fahrer austauschen. Immer mehr Trucker, die das gleiche Schicksal | |
| teilten, kamen dazu. | |
| Nach ein paar Wochen besuchte Lukasz Mazur persönlich Gräfenhausen – und | |
| brachte einen Schlägertrupp mit, der die Streikenden bedrohte. Seit dem | |
| Vorfall ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen | |
| besonders schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Störung einer | |
| Versammlung gegen Mazur und seine Männer. Mazur selbst wurde kurzzeitig | |
| festgenommen, dann aber wieder freigelassen. Und schließlich zahlte er | |
| doch: 300.000 Euro. Entscheidend war offenbar der Druck eines Unternehmens, | |
| das auf seine Ware wartete und mit Vertragsstrafe drohte, sollten die | |
| entsprechenden Lkw nicht ihren Weg zum Ziel fortsetzen. [2][Gräfenhausen | |
| wurde zum Symbol für Lkw-Fahrer – des Widerstands und des Sieges.] | |
| Doch auch danach zahlte Mazur offenbar Fahrern ihren Lohn nicht voll aus. | |
| Und so gingen am 18. Juli wieder Trucker in den Streik, zunächst waren es | |
| vier. Wo? Natürlich in Gräfenhausen, wo zuvor ein Sieg errungen war. In | |
| Chatgruppen verbreitete sich die Kunde von „Gräfenhausen 2“, sodass bald | |
| fast 150 Wagen die Parkplätze in West und Ost belegten. Bereits wenige Tage | |
| darauf erhielten mehrere Streikende ihr Geld. Vier beladene und drei | |
| unbeladene Lkws sollen daraufhin abgefahren sein, um die Fracht | |
| auszuliefern. Bei dem kleinen Erfolg blieb es dieses Mal – danach stellte | |
| Mazur auf stur, reagierte auf Kontaktanfragen nicht mehr und wollte auch | |
| nicht mehr zahlen. | |
| Der taz sagte eine Sprecherin der Firmengruppe am Freitag, das Unternehmen | |
| sei all seinen Verpflichtungen aus den Verträgen nachgekommen. Die Firma | |
| habe sich nichts vorzuwerfen. Von einem Streik wollte sie nichts wissen, | |
| noch weniger von einem Hungerstreik, schließlich lägen ihr Fotos vor, auf | |
| denen die Fahrer feiern und Alkohol trinken. Wieso sich Feiern und Streik | |
| ausschließen sollten, erklärte sie nicht. Stattdessen schickte sie Fotos, | |
| eines zeigt eine Countryband und ein paar feiernde Männer. Das ist | |
| allerdings offenbar schon ein paar Wochen alt: Band und Männer sind auch | |
| auf einem Foto zu sehen, das die Beratungsstelle Faire Mobilität am 3. | |
| September auf Twitter veröffentlicht hatte. Damals sagte Anja Weirich von | |
| der Fairen Mobilität der taz, ständig kämen abends Bands vorbei, die | |
| Solikonzerte spielten. Der Hungerstreik begann erst am 19. September. | |
| Die Mazur-Sprecherin wies auch darauf hin, dass die polnische | |
| Arbeitsaufsichtsbehörde das Unternehmen im Juli inspiziert und bezüglich | |
| der Bezahlung der Fahrer keine Unstimmigkeiten habe feststellen können. Das | |
| stimmt einerseits. Andererseits aber auch nicht. Laut Medienberichten war | |
| die Höhe der Bezahlung für die aufgeführten Arbeitsstunden zwar korrekt. | |
| Doch sollen die Trucker den Aufzeichnungen des Unternehmens zufolge nur ein | |
| paar Dutzend Stunden pro Monat gearbeitet haben. Das machte die Behörde | |
| stutzig. Sie forderte die digitalen Dateien der Fahrtenschreiber und der | |
| Fahrerkarten ein. Und musste feststellen, dass die Daten beschädigt waren. | |
| Dem Bericht zufolge laufen daher aktuell Verwaltungsverfahren gegen die | |
| Unternehmensgruppe, es droht ein Bußgeld. Die Mazur-Sprecherin wollte das | |
| nicht kommentieren. Eine Anfrage der taz dazu beantwortete die polnische | |
| Arbeitsaufsichtsbehörde bis Redaktionsschluss nicht. | |
| Davlatov Izzatullo, klein, dunkle Haare, trägt eine braune Teddyjacke. Es | |
| ist kalt an diesem Samstagvormittag, auf der Raststätte weht ein frischer | |
| Wind. Izzatullo kommt aus Tadschikistan. Seit Februar sei er in | |
| Deutschland, erzählt der 32-Jährige der taz. Zunächst habe er bei einem | |
| Freund in Münster gelebt und als Trainee bei Mazur angefangen. Seit dem 7. | |
| Mai fahre er selbst Waren im Auftrag von Agmaz. Aktuell habe er Wein | |
| geladen. Zeigen kann er die Ware nicht, der Lkw sei verplombt, öffnen könne | |
| die Plane nur der Empfänger. Mazur habe ab und an kleine Beträge auf | |
| Izzatullos Bankkonto überwiesen, nie aber den vollen Lohn. Anfang August | |
| habe er dann mal wieder nachgehakt. Er müsse warten, hieß es. Doch | |
| Izzatullo konnte nicht warten. „Ich habe eine kleine Tochter, sie ist | |
| krank, wir brauchen das Geld“, sagt er. Ein Freund berichtete ihm vom | |
| Streik in Gräfenhausen. Er machte sich auf den Weg. Seit dem 7. August ist | |
| er nun hier. Im Hungerstreik ist er nicht. | |
| Mazur ist zwar ein polnisches Unternehmen, doch die Fahrer kommen aus | |
| Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei. Sie | |
| arbeiten auf einer Art scheinselbständigen Basis. Ihre Arbeitsverträge | |
| unterzeichnen sie in Polen. Dort holen sie auch die Lkw ab. Doch dann | |
| fahren sie fast ausschließlich in Westeuropa, meist in Deutschland. Oft | |
| sind sie ein halbes Jahr, manchmal auch acht Monate oder ein ganzes Jahr | |
| unterwegs. | |
| Vorgesehen ist das so nicht. Seit 2020 müssen die Unternehmen nach der | |
| EU-Straßenverkehrsrichtlinie sicherstellen, dass die Fahrer ihre normale | |
| wöchentliche Ruhezeit außerhalb ihres Fahrzeugs verbringen können – und sie | |
| für die Zeit auch bezahlen. Das Führerhaus, sagt die EU, ist kein | |
| geeigneter Wohnort. Die Unternehmen sind darüber hinaus verpflichtet, die | |
| Arbeit der Fahrer so zu organisieren, dass sie nach vier Wochen Arbeit nach | |
| Hause fahren können. Und schließlich muss das Fahrzeug nach acht Wochen zum | |
| Firmensitz zurückgebracht werden. In der Realität sei das aber nicht so, | |
| erklärt Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft, der | |
| für die Fahrer vermittelt, der taz. Atema war selbst zehn Jahre lang | |
| Kraftwagenfahrer und arbeitet nun mit mobilen Einsatzteams in ganz Europa. | |
| Er fährt dort hin, wo es gerade brennt. Derzeit ist er fast täglich in | |
| Gräfenhausen. | |
| Izzatullo sei kein Einzelfall, erzählt er. Die meisten Fahrer seien sechs, | |
| acht oder zwölf Monate non-stop unterwegs. Zwischendurch überweise der | |
| Auftraggeber kleinere Beträge, „damit sie nicht verhungern“. Den Großteil | |
| des Lohns – mehrere tausende Euro – müssen sie sich aber im Büro in Polen | |
| abholen. Wenn sie dort ankommen, ihren Lohn einfordern und um eine Pause | |
| bitten, um ihre Familien zu besuchen, die sie über Monate nicht gesehen | |
| haben, bekämen sie oft nur den halben Lohn ausgezahlt. Den Rest, werde | |
| ihnen gesagt, erhielten sie, wenn sie von ihrer nächsten Tour zurückkämen. | |
| So bliebe den Fahrern nichts anderes übrig als sich wieder in den Truck zu | |
| setzen und weiterzuarbeiten. „Die Fahrer sind praktisch Gefangene der | |
| Speditionen“, sagt Atema. Im Plural, denn die Mazur-Gruppe sei kein | |
| schwarzes Schaf, sondern eines von vielen Unternehmen in der Branche, deren | |
| schlechte Behandlung der Fahrer seit Jahren bekannt sei. | |
| Dann erzählt Atema noch, dass er von den Fahrern in Gräfenhausen die | |
| Tachodaten abgelesen habe. Daraus habe er berechnet, dass sie | |
| durchschnittlich de facto einen Stundenlohn von 1,45 Euro erhielten. | |
| Eigentlich stehen ihnen gemäß Mindestlohngesetz und Entsenderichtlinie die | |
| Mindestlöhne der jeweiligen Einsatzländer zu. Damit würden sie rund 2.400 | |
| Euro pro Monat verdienen. Doch die Spediteure wissen das meist zu umgehen. | |
| Zum Beispiel müssten die Arbeitgeber eigentlich die Kosten für die | |
| Bezahlung von Parkplätzen, Benutzung von Toiletten, Duschen oder Unterkunft | |
| auf Rastplätzen bezahlen. Das machen sie in der Regel aber nicht oder | |
| ziehen das Geld von der Vergütung ab. Da sie fast ausschließlich | |
| Nicht-EU-Bürger für sich arbeiten lassen, können sie sicher sein: Die | |
| wehren sich nicht, da sie ihre Rechte oft nicht kennen und Verträge | |
| unterschrieben haben, deren Sprache sie nicht verstehen. | |
| Ausbeutung von Truckern ist nicht nur in Europa, sondern auch in anderen | |
| Teilen der Welt ein Problem. In Südkorea riefen Gewerkschaften 2022 zweimal | |
| zu einem landesweiten Streik von Lkw-Fahrern aus. Rund 25.000 Trucker | |
| beteiligten sich daran. Sie protestierten damit – letztlich erfolglos – | |
| gegen die Abschaffung eines Gesetzes für Sicherheit im Straßenverkehr. | |
| An diesem Wochenende trafen sich nun in Südkoreas Hauptstadt Seoul über | |
| 1000 Vertreter*innen von 50 Gewerkschaften weltweit, um die Kampagne | |
| „Safe Rates“ (etwa: sicherer Tarif) zu starten. „Überall auf der Welt | |
| machen niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten Lkw-Fahrern nicht nur das | |
| Leben schwer, sondern sind auch Ursache für ihren Tod und für Blutbäder auf | |
| unseren Straßen“, sagte Stephen Cotton, Generalsekretär der Internationalen | |
| Transport-Föderation zum Start der Kampagne in einer Mitteilung. Zum | |
| Abschluss der Versammlung besetzten die Gewerkschafter eine Straße in | |
| Seoul, um damit ihrer Solidarität für die hungerstreikenden Fahrer in | |
| Gräfenhausen Ausdruck zu verleihen. | |
| Rund 8500 Kilometer weiter westlich fliegt ein Flugzeug vom nahen Flughafen | |
| Frankfurt am Main mit tosendem Lärm über die Raststätte Gräfenhausen | |
| hinweg. Vor einem der Lkw haben die Fahrer eine kleine Sitzecke | |
| eingerichtet. Getränkekisten dienen ihnen als Stühle. Die Tür des offenen | |
| Wagens haben sie als Infotafel eingerichtet. Die Freie Arbeiterinnen und | |
| Arbeiter-Union FAU hat hier ein Transparent gespannt, darunter klebt ein | |
| Foto von Lukasz Mazur und seiner Frau neben einem Luxusauto, hinter ihnen | |
| eine Flotte blauer Lkw. Drumherum sind Ausdrucke der Codes of Conduct – der | |
| Verhaltensregeln – verschiedener Firmen: Dachser, Deutsche Bahn, Knauf. Im | |
| Wagen selbst kleben weitere Zettel: Kopien von Frachtscheinen für Firmen | |
| wie Toom, Obi, Audi und Netto. | |
| Denn: Auch bei Speditionen gibt es lange Subunternehmerketten. „Nicht so | |
| lang wie in der Baubranche“, sagt Atema. Drei bis fünf Unternehmen lägen in | |
| der Regel zwischen dem Verkäufer und dem Käufer einer Lkw-Ladung. „Wenn zum | |
| Beispiel Obi Ware von Knauf bestellt, wird eine Spedition beauftragt.“ Die | |
| habe mal eigene Fahrer, mal nicht. In letzterem Fall, oder wenn die eigenen | |
| Fahrer schon anderweitig eingesetzt sind, vergibt die Spedition den Auftrag | |
| weiter – und so kann es noch ein-, zwei-, dreimal weitergehen. „Am Ende der | |
| Kette sitzt zum Beispiel Mazur. Dann holt ein blauer Lkw die Ware von Knauf | |
| ab und bringt sie bis auf den Werkshof von Obi“, erklärt Atema. Es könne | |
| also gar nicht sein, dass Obi nicht wisse, dass Mazur an der | |
| [3][Lieferkette] beteiligt sei. | |
| Und doch ist es das, was Obi, Bauhaus und andere Firmen zur Causa Mazur | |
| sagen. Bereits am 19. August hatten die streikenden Fahrer in Gräfenhausen | |
| Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht, deren Waren sie an Bord | |
| hatten. Neben den oben genannten war unter anderem Ikea dabei, Volkswagen | |
| und Redbull. | |
| Die taz hat einen Teil der Firmen um Stellungnahme gebeten. Nahezu alle | |
| verneinen eine Beteiligung von Mazur an ihrer Lieferkette oder sagen | |
| zumindest, keine Kenntnis davon zu haben, dass die polnische Gruppe Waren | |
| für sie fahre. Einige erklären, sie hätten bereits im Januar oder nach dem | |
| ersten Streik im Frühjahr ihre Spediteure angewiesen, nicht mit Mazur | |
| zusammenzuarbeiten. Bauhaus teilte zudem mit, es habe sein | |
| „Lieferketten-Risikomanagement überprüft und geltende Transportrichtlinien | |
| verschärft“ und wolle seine Lieferkette nun „über den Kreis unserer | |
| unmittelbaren Zulieferer hinaus überprüfen“. | |
| DB Schenker erklärte vergangene Woche, nach einer internen Überprüfung | |
| „haben wir festgestellt, dass drei Sendungen ohne unser Wissen und ohne die | |
| vertraglich vorgeschriebene Zustimmung durch DB Schenker an Unternehmen der | |
| Mazur-Gruppe weitervergeben wurden“. Drei Transportunternehmen seien daher | |
| von Aufträgen durch DB Schenker ausgeschlossen worden. | |
| Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen hiesige Firmen seit Januar für | |
| den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten sorgen – | |
| und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Verstöße können | |
| beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gemeldet werden. | |
| Das Bafa teilte der taz auf Anfrage mit, dass von Januar bis Anfang August | |
| gerade einmal 14 Beschwerden eingegangen seien. Herumgesprochen hat sich | |
| die Möglichkeit offenbar noch nicht. Ob auch Unternehmen der | |
| Mazur-Lieferketten darunter waren, wollte das Bafa nicht sagen. | |
| Das Bafa kann allerdings auch selbständig tätig werden, wenn es von | |
| möglichen Verstößen gegen das Lieferkettengesetz erfährt. Das will es im | |
| Fall Mazur nun auch tun. Rückhalt hat es dafür von Bundesarbeitsminister | |
| Hubertus Heil (SPD). Der äußerte sich vergangene Woche auf dem | |
| Verdi-Bundeskongress über den Hungerstreik in Gräfenhausen, sprach von | |
| einer „beschissenen Situation“ und erklärte: „Wir werden da nicht tatenl… | |
| zusehen.“ Und in der Tat: Am Montag war die Bafa vor Ort und kopierte die | |
| Fahrzeugpapiere, Frachtscheine etc. | |
| Heil appellierte an die deutschen Großunternehmen, die Auftraggeber von | |
| Mazur sind, ihre Verantwortung im Rahmen des | |
| Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes, wie es korrekt heißt, wahrzunehmen. | |
| „Die Frage von Menschenrechten ist keine Frage von Freiwilligkeit.“ Das | |
| Bafa werde diese Unternehmen daher einer Sonderprüfung unterziehen. Darüber | |
| hinaus habe er mit der polnischen Arbeitsministerin Kontakt aufgenommen, um | |
| sich mit ihr bezüglich des Streiks auszutauschen. Eine Anfrage der taz an | |
| das polnische Arbeitsministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
| Der Rastplatz Gräfenhausen-West ist eigentlich für weitere Lastwagen | |
| gesperrt – die blauen Trucks der streikenden Fahrer belegen fast den | |
| gesamten Rastplatz. Ein paar Fahrzeuge anderer Speditionen parken hier | |
| dennoch. Von einem weißen Lkw zieht der Geruch von Bratkartoffeln herüber. | |
| Auf einem kleinen Platz zwischen Führerhaus und Ladefläche steht ein | |
| Gaskocher mit Bratpfanne, das Essen ist fast fertig. Woher der Fahrer | |
| kommt? „Aus der Ukraine.“ Ob er wisse, dass die Fahrer in den blauen Lkw | |
| ein paar Meter weiter im Streik seien? „Ja, das habe ich auf Facebook | |
| gelesen“, sagt er auf Englisch. Agmaz sei ein schlechtes Unternehmen, der | |
| Streik richtig, schließlich bekämen die Fahrer kein Geld. | |
| Ob sein Arbeitgeber besser sei? Ja, sagt er, macht mit seiner Hand aber | |
| gleichzeitig eine Geste, die nach „mehr oder weniger“ aussieht, und lacht | |
| etwas verlegen. Auch wenn er weder seinen noch den Namen seines | |
| Arbeitgebers nennt, ist es ihm offenbar nicht geheuer, offen mit der Presse | |
| zu sprechen. Er verabschiedet sich freundlich und dreht sich um, bevor | |
| seine Kartoffeln anbrennen. | |
| Gerhard Trabert und sein Team sind fertig mit den Untersuchungen. | |
| Anschließend geht es nach Gräfenhausen-Ost, auch dort sind ein paar Männer | |
| im Hungerstreik. Die werden direkt im Lastwagen untersucht, sitzen auf | |
| einer Matratze, während das medizinische Team ihre Werte prüft. Am Ende | |
| fasst Arzt Sebastian Schink zusammen: Die Männer hätten Kopfschmerzen, | |
| einen niedrigen Blutdruck und seien geschwächt, aber stabil. „Zum Glück ist | |
| niemand dabei, der ins Krankenhaus muss.“ | |
| Zwei Tage später sieht die Situation anders aus. Die Männer brechen den | |
| Hungerstreik ab – sie haben es gesundheitlich einfach nicht ausgehalten. | |
| 25 Sep 2023 | |
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| [1] /Lkw-Fahrer-Streik-in-Graefenhausen/!5958415 | |
| [2] /Lkw-Fahrer-Streik-in-Graefenhausen/!5930891 | |
| [3] /EU-Lieferkettengesetz/!5934620 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Treblin | |
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