| # taz.de -- Asylabkommen mit Georgien: Roter Teppich für Faeser | |
| > Die „Rückführungsoffensive“ der Koalition startet. Die Innenministerin | |
| > hat ein Migrationsabkommen mit Georgien geschlossen. Weitere sollen | |
| > folgen. | |
| Bild: Bundesinnenministerin Nancy Faeser und ihr georgischer Kolleger Vakhtang … | |
| Tiflis taz | Es ist ein langer roter Teppich, der Nancy Faeser am | |
| Dienstagvormittag vor dem georgischen Innenministerium in Tiflis ausgerollt | |
| wird. Die Sonne strahlt, von der Ehrengarde wird die deutsche | |
| Bundesinnenministerin empfangen, mit Bajonett und rot-schwarzer Uniform. | |
| Schon nachts zuvor hatten die Gastgeber eigens den Fernsehturm, der über | |
| der Stadt auf dem Mtazminda-Berg thront, schwarz-rot-gold angestrahlt. | |
| Gleich daneben hatte der georgische Innenminister Vakhtang Gomelauri Faeser | |
| zu einem stundenlangen Dinner geladen. | |
| Am Dienstag nun bedankt sich Gomelauri im Ministerium für die „sehr große“ | |
| Unterstützung Deutschlands – besonders in Sachen | |
| EU-Beitrittskandidatenstatus, der gerade erst verkündet wurde. Und Faeser | |
| gibt einen Dank für die „wunderbare Gastfreundschaft“ zurück. Dann greifen | |
| beide zum Stift und unterzeichnen erstmals ein Migrationsabkommen, sechs | |
| Seiten stark. | |
| Der Besuch aus Deutschland wird hoch gehängt in Georgien. Aber ebenso hoch | |
| hängt ihn Faeser. Denn das Abkommen ist eine Premiere zwischen beiden | |
| Ländern. Der Deal: Georgien nimmt ausreisepflichtige Landsleute zurück und | |
| erhält im Gegenzug erleichterte Arbeitsmarktzugänge. Es ist ein Abkommen, | |
| das nach dem Willen der Ampel ein Muster für weitere Länder werden soll – | |
| und ein Durchbruch, um angesichts der [1][Klagen in den Kommunen über hohe | |
| Geflüchtetenzahlen] endlich Handfestes vorzulegen. | |
| Kanzler Olaf Scholz hatte hier zuletzt den Ton vorgegeben. Man wolle | |
| [2][„endlich im großen Stil abschieben“], erklärte der Sozialdemokrat. | |
| Schon im Koalitionsvertrag hatte die Ampel eine „Rückführungsoffensive“ | |
| angekündigt. Weil Herkunftsstaaten aber regelmäßig ihre ausreisepflichtigen | |
| Bürger*innen nicht zurücknehmen oder die Prozesse verzögern, setzt die | |
| Koalition nun auf die Migrationsabkommen. | |
| ## Mit dabei: Sonderbevollmächtigter Stamp | |
| Schon im Februar ernannte die Ampel [3][den FDP-Mann Joachim Stamp als | |
| Sonderbevollmächtigen], um diese Abkommen zu schließen. Bereits im Frühjahr | |
| reiste er nach Tiflis, nun ist er wieder dabei. Schon vor Stamps Antritt, | |
| im Dezember 2022, hatte Deutschland ein Migrationsabkommen mit Indien | |
| vereinbart. Nun folgt mit Georgien das nächste Land. | |
| Im Innenministerium in Tiflis betont Faeser wiederholt, dass das Abkommen | |
| „auf Augenhöhe“ geschlossen worden sei. Es sei ein „bedeutsamer Schritt�… | |
| um „irreguläre Migration dauerhaft zu reduzieren“. Auch Georgiens | |
| Innenminister Gomelauri spricht von einer Partnerschaft. Seine Landsleute | |
| beruhigt er: Es sei mitnichten so, dass nun alle Deutschland verlassen | |
| müssten. „Im Gegenteil. Mehr Türen werden geöffnet.“ Arbeitsvisa würden | |
| leichter erteilt, Prozesse beschleunigt. Im Anschluss trifft Faeser auch | |
| noch Premierminister Irakli Garibashvili, der das Abkommen ebenfalls lobt. | |
| Tatsächlich verpflichtet das Papier nun Georgien noch einmal, abgelehnte | |
| Asylsuchende zurückzunehmen – und seine Landsleute mit einer | |
| Informationskampagne über die geringen Asylchancen in Deutschland | |
| informieren. Neben Arbeit suchen viele Georgier*innen in Deutschland | |
| vor allem medizinische Behandlungen. Trotz aller Modernisierung in den | |
| vergangenen Jahren bleibt die Krankenhausversorgung in Georgien bescheiden | |
| und teuer. | |
| Im Gegenzug erleichtert Deutschland nun die Arbeitsaufnahmen für | |
| Georgier*innen, die in Europa oft prekär in der Pflege [4][oder im | |
| Transportwesen arbeiten]. Auch die Hürden für Einreisen von | |
| Saison-Arbeitskräften oder für Forschende und Studierende werden gesenkt. | |
| Umsetzen soll all das eine bilaterale Expertengruppe. Hart gepokert hatte | |
| Georgien nicht: Dort fürchtete man offenbar bei zu freien Ausreiseregeln | |
| einen Braindrain der eigenen Fachkräfte. Zudem wollte man nicht an der | |
| Visa-Liberalisierung rütteln: [5][Seit 2017 dürfen Georgier*innen ohne | |
| Visum 90 Tage pro Jahr] in den Schengenraum reisen. | |
| ## Rund 9.000 Georgier*innen haben 2023 ein Asylgesuch gestellt | |
| Ob das Abkommen aber tatsächlich ein Durchbruch wird, ist fraglich. Denn | |
| die Zahlen für Georgien sind überschaubar. Insgesamt 325.000 Asylanträge | |
| wurden seit Jahresbeginn in Deutschland gestellt, 8.993 davon kamen von | |
| Georgier*innen – was immerhin Platz 6 ausmacht. Weit vorn liegen | |
| Syrer*innen mit 97.000 Anträgen, Türk*innen mit 56.000 und | |
| Afghan*innen mit 50.000. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
| wurden die georgischen Anträge zuletzt fast komplett abgelehnt, die | |
| Schutzquote liegt bei 0,3 Prozent. Das ist europaweit sehr niedrig: In | |
| Frankreich liegt die Quote bei 5 Prozent, in Italien gar bei 41 Prozent. | |
| Schon am Freitag hatte auch der Bundesrat Georgien und Moldau [6][als | |
| sichere Herkunftsstaaten eingestuft], nach dem Kabinett und dem Bundestag. | |
| Asylverfahren werden damit stark beschleunigt und können nun als | |
| „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. | |
| Schon zuvor aber wurden Asylverfahren aus Georgien sehr schnell bearbeitet: | |
| Der Schnitt lag bei knapp 3 Monaten. Und auch die Abschiebungen klappten, | |
| anders als anderswo, recht problemlos. 1.179 gab es seit Jahresbeginn und | |
| 1.163 sogenannte freiwillige Ausreisen. Das jetzige Abkommen ist deshalb | |
| vor allem ein Symbol Faesers: Es soll nun ernst werden mit der | |
| Rückführungsoffensive und dem Wandel von unkontrollierter zu kontrollierter | |
| Zuwanderung. | |
| ## Auch aus der Ampel gibt es Kritik | |
| Doch selbst aus der Ampel gibt es Kritik. Denn die Entwicklung in Georgien | |
| ist zweischneidig. Einerseits bejubelten gerade erst Tausende auf dem | |
| Freiheitsplatz in Tiflis den [7][EU-Kandidatenstatus]. „Eine europäische | |
| Stadt“, künden dort große Letter. Überall in Tiflis sieht man EU-Fahnen, | |
| eine selten gewordene europäische Euphorie ist spürbar. Andererseits | |
| orientierte sich die Regierungspartei Georgischer Traum von Premierminister | |
| Garibaschwili zuletzt auch Richtung Russland, plante ähnlich repressive | |
| Gesetze – was zu Protesten führte. Die Regionen Abchasien und Südossetien | |
| sind bereits heute abtrünnig und von Russland als unabhängig anerkannt. | |
| Und vor allem die LSBTIQ*-Community hat im Land einen schweren Stand, wird | |
| nicht nur von der erzkonservativen orthodoxen Kirche angefeindet. Immer | |
| wieder kommt es zu Angriffen auf Pride-Festivals. Auch die Opposition sowie | |
| Kultur- und Medienschaffende beklagen Anfeindungen. Und der frühere | |
| Präsident und heutige Oppositionelle Michail Saakaschwili sitzt weiter in | |
| Haft, seit 2021 schon. Fotos seines abgemagerten Zustands sorgten zuletzt | |
| für Empörung. | |
| Pro Asyl und Amnesty International hatten deshalb bereits gegen die | |
| Einstufung Georgiens als sicheren Herkunftsstaat protestiert: Es brauche | |
| weiter individuelle Überprüfungen der Asylanträge. Wiebke Judith, | |
| Sprecherin von Pro Asyl, kritisiert auch das Migrationsabkommen. Dieses | |
| fuße auf einer „verfassungsmäßig nicht tragbaren“ Einstufung, es gebe | |
| „rechtsstaatliche Rückschritte“. „Der georgischen Regierung kann nicht e… | |
| solcher Blankoschein ausgestellt werden“, so Judith zur taz. | |
| Und auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), | |
| lehnte eine Einstufung Georgiens ab: Für geoutete LSBTIQ* sei ein offenes | |
| Leben im Land nicht möglich. Die georgische Regierung gewähre hier keinen | |
| Schutz, sondern beteilige sich noch an der „Hetze“, erklärte er. | |
| Tatsächlich hatte etwa Belgien erst im April 2023 Georgien wieder von | |
| seiner Liste sicherer Herkunftsstaaten gestrichen. | |
| Faeser und Stamp sagen, sie hätten in Tiflis die Lage der LSBTIQ*-Community | |
| in den Verhandlungen zum Migrationsabkommen angesprochen, auch mit Blick | |
| auf einen EU-Beitritt Georgiens. Sonst aber verweist Faeser auf die | |
| Schutzquote von 0,3 Prozent für Georgier*innen: Ihnen drohe „in aller Regel | |
| keine politische Verfolgung“. Zudem seien Asylanträge generell ja weiter | |
| möglich. Und auch Georgiens Innenminister Gomelauri betont, dass es | |
| natürlich „wichtig ist, Grundrechte nicht zu verletzen“. Sonst habe man bei | |
| der EU „keine Chance“. | |
| ## Weitere Abkommen geplan | |
| Für die Ampel ist das Georgien-Abkommen indes nur ein Baustein. In Kürze | |
| soll auch ein Migrationsabkommen mit Moldau folgen, das ebenfalls | |
| EU-Beitrittskandidat ist. [8][Stamp verhandelt auch noch mit] Usbekistan, | |
| Kirgistan, Marokko, Kenia und Kolumbien. Dass auch mit dem Irak – mit | |
| immerhin 26.000 Ausreisepflichtigen – bereits eine Absichtserklärung für | |
| ein Abkommen geschlossen wurde, will Faeser nicht kommentieren – solche | |
| Gespräche seien vertraulich. Offenbar will man sich hier nichts | |
| kaputtmachen. | |
| Zudem verhandelt Faeser weiter die [9][europäische Asylreform GEAS] in | |
| Brüssel, seit Montag tagt hier wieder der Trialog. Damit sollen Lager an | |
| der EU-Außengrenze und ein fester Verteilschlüssel über die Mitgliedstaaten | |
| geschaffen werden. Auch ordnete Faeser zuletzt stationäre Grenzkontrollen | |
| zu Tschechien und Polen an. Und die Ampel verschärfte Ausreiseregeln, | |
| verlängerte etwa den Abschiebegewahrsam von 10 auf 28 Tage. | |
| In Tiflis gibt sich Faeser zuversichtlich, verlässt lächelnd das | |
| Innenministerium. Es werde Zeit brauchen, bis das Abkommen mit Georgien | |
| Wirkung zeige, sagt sie. Aber am Ende werde man Kommunen und Gerichte „sehr | |
| stark entlasten“. Es klingt wie eine Beschwörung. | |
| 19 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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