| # taz.de -- Schiffsfund in der Trave: Wettlauf gegen die Zeit | |
| > In der Trave bei Lübeck wurde das 400 Jahre alte Wrack eines | |
| > Frachtschiffs gefunden. Jetzt muss man es schnell bergen, sonst fressen | |
| > es die Muscheln. | |
| Bild: Mal schauen, was drin war: Archäologin Paula Kucharczyk untersucht eines… | |
| Lübeck taz | Bei gutem Wind sind die sechs Seeleute von der schwedischen | |
| Insel Gotland über die Ostsee gesegelt. Sie haben 170 Fässer Branntkalk | |
| geladen, der in Lübeck dringend als Mörtel für die Backsteingotik-Häuser | |
| gebraucht wird. Kurz vor dem Ziel, auf der Trave mit ihren Kurven und | |
| Untiefen, dringt aus dem Laderaum plötzlich Rauch. | |
| Eines der Branntkalkfässer hat sich entzündet. Der Kapitän gibt Anweisung | |
| zum Löschen, da steigt von unten schon Wasser. Innerhalb weniger Minuten | |
| sinkt das 20 Meter lange Schiff in voller Fahrt, die Besatzung kann sich im | |
| letzten Moment ans Ufer retten. | |
| So könnte ein Handelsschiff sein Ende gefunden haben, das im 17. | |
| Jahrhundert Baustoffe für die frühere Hansemetropole Lübeck lieferte. 400 | |
| Jahre lang lag es in elf Metern Tiefe vergraben unter Sediment. Anfang der | |
| 2020er-Jahre schürfte dann ein Bagger die Fahrrinne frei und verteilte die | |
| Hälfte der Fässer. | |
| Kurz darauf entdeckte das Wasser- und Schifffahrtsamt bei Routinescans des | |
| Flussbettes eine Unebenheit in der Form eines Schiffes. Taucher brachten | |
| eine Sensation ans Licht: Ein gut erhaltenes historisches Frachtschiff mit | |
| Ladung. Das ist im südlichen Ostseeraum bisher einmalig und könnte | |
| wertvolle Erkenntnisse liefern über den Seehandel in der Ostsee, mit dem | |
| Lübeck schon immer eng verbunden war. | |
| Die Bürgerschaft beschloss, das Schiff für geschätzte 2,5 Millionen Euro | |
| bergen zu lassen. Die Stadt beauftragte eine Firma für | |
| Unterwasser-Archäologie und stellte als Projektleiter den | |
| Unterwasser-Archäologen Felix Rösch ein. Sie installierten über dem Wrack | |
| ein Tauchschiff mit einem Dokumentationscontainer. | |
| Zuerst befestigten die sechs Taucher an jeder Planke, jeder Scherbe und | |
| jedem Fass mit einem Unterwasser-Akkuschrauber eine Marke, wie sie auch | |
| Kühe im Ohr haben, und eine weitere mit der gleichen Nummer an der | |
| Fundstelle, um zu dokumentieren, woher der Fund stammte. Sie scannten das | |
| Gebiet mit Unterwasserkameras. Als dann am fünften Juni das erste Fass aus | |
| dem Wasser geholt wurde, waren Medienvertreter aus dem ganzen Land dabei. | |
| Mit einer Art großem Staubsauger entfernen die Taucher seitdem Schlamm von | |
| den Fundstücken, befestigen sie mit einem Kran und heben sie Planke für | |
| Planke und Fass für Fass. Inzwischen schaffen sie zwanzig Fässer am Tag. | |
| Einige weiter oben gelegene Fässer bestehen nur noch aus dem Branntkalk, | |
| der beim Kontakt mit dem Wasser fest geworden ist, einige der Holzteile | |
| sind durchlöchert wie ein Insektenhotel. | |
| Der Grund: Als das Schiff 2020 freigelegt wurde, hat die Schiffsbohrmuschel | |
| Teredo navalis darin ein Festmahl veranstaltet. Eigentlich ein | |
| Salzwassertier, hat sie sich in den letzten Jahren auch in der Ostsee | |
| ausgebreitet und zersetzt Holzwracks in nur fünf bis zehn Jahren komplett. | |
| Deshalb ist die Bergung des Schiffs auch ein Wettlauf gegen die Zeit. | |
| Inzwischen hat man schon das Mittelschiff, das Deck und drei Anker aus dem | |
| Wasser geholt. Darunter liegen gut erhaltene Fässer und Alltagsgegenstände, | |
| zum Beispiel Kuhhörner von einem Rind, das als Proviant an Bord war, oder | |
| Teile einer Glasflasche mit der Prägung „LONDN“, die wahrscheinlich eine | |
| Spirituose aus der englischen Hauptstadt enthielt. | |
| ## Gegencheck im Archiv | |
| Diese Funde sind besonders spannend, weil sie vom damaligen Alltag erzählen | |
| und Hinweise darauf geben, wann das Schiff untergegangen sein könnte. Auch | |
| im Archiv der Stadt [1][Lübeck] muss es Einträge über den Unfall geben, | |
| aber noch wurden die Akten dazu nicht gefunden. | |
| Die geborgenen Wrackteile bringen die [2][Archäologen] in eine Halle am | |
| Stadtrand. Dort liegen die Fässer feucht eingepackt in weiße Folie auf | |
| Europaletten. Das Holz muss nass gehalten werden, deswegen liegen die | |
| Schiffsteile in fünf mal zehn Meter großen Wasserbecken aus gelber Plane. | |
| Weil es Süßwasser ist, sind die Schiffsbohrmuscheln abgestorben und treiben | |
| wie Sojasprossen auf dem Boden. | |
| Mit Hilfe der Dendrochronologie haben Felix Rösch und seine Kollegen | |
| außerdem herausgefunden, dass das Holz aus schwedischer und norddeutscher | |
| Eiche, Kiefer und Buche besteht. „Es ist gut möglich, dass das Schiff hier | |
| gebaut wurde“, sagt Rösch. „Lübeck war nach den Niederlanden der größte | |
| Schiffsbauer im Ostseeraum.“ | |
| In einer Ecke der Halle sind große Lichtschirme aufgebaut. Hier nimmt eine | |
| Fotografin mit einem Strukturlichtscanner ein Fass von allen Seiten auf. | |
| Für eine 3-D-Dokumentation werden alle Wrackteile einzeln getrocknet und | |
| aufgenommen. Was danach mit ihnen passiert, weiß noch niemand. | |
| Wahrscheinlich werden sie in einem [3][Museum] gezeigt. Dass aber alle 170 | |
| Fässer ausgestellt werden, ist unwahrscheinlich. „Wenn wir den Kalk jetzt | |
| trocknen ließen, würde er zerbröseln“, sagt [4][Felix Rösch] halb im Erns… | |
| „Dann hätten wir einen sehr guten Baustoff“. Da trifft es sich gut, dass | |
| Lübeck gerade seine historischen Kirchen restauriert. | |
| 6 Oct 2023 | |
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| [2] /Archaeologie/!t5015357 | |
| [3] /Museum/!t5009440 | |
| [4] https://www.luebeck.de/de/stadtleben/kultur/archaeologie-und-denkmalpflege/… | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Grabitz | |
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