# taz.de -- Historikerin über Archäologinnen-Leben: „Die Quellenlage ist of… | |
> Doris Gutsmiedl-Schümann hat für eine Ausstellung in Hannover die | |
> Lebenswege früher Archäologinnen erforscht. Deren Karrieren sind kaum | |
> dokumentiert. | |
Bild: Prähistorie im Nahbereich: Mitarbeiter des Archäologischen Landesamts S… | |
taz: Frau Gutsmiedl-Schümann, wer waren hierzulande die ersten | |
Archäologinnen? | |
Doris Gutsmiedl-Schümann: Das waren Frauen, die im späten 18. und frühen | |
19. Jahrhundert die Mittelmeerländer bereist und Beschreibungen der antiken | |
Überreste verfasst haben. Und zwar nicht nur in Reisetagebüchern, sondern | |
auch in Berichten, die publiziert wurden. Hier wären die Dichterin Elisa | |
von der Recke (1754–1833) und Friederike Brun (1765–1835) zu nennen, die | |
vor allem durch diese Beschreibungen bekannt wurden. | |
Diese Frauen haben nicht gegraben? | |
Sie haben vor allem beschrieben – wobei bei einer so visuellen Wissenschaft | |
wie der Archäologie Beschreibungen sehr wichtig sind. Damals gab es noch | |
keine Bildbände, und auch große museale Sammlungen fehlten vielerorts. Da | |
spielte die Weitergabe durch Worte eine wichtige Rolle. | |
Ab wann gab es hierzulande das Studienfach Archäologie? | |
Ab Ende des 19. Jahrhunderts. Zunächst wurde nur Klassische Archäologie, | |
also die Antike gelehrt. Die prähistorische Archäologie wurde erst in den | |
1920er-Jahren zum Studienfach. | |
Seit wann konnten Frauen es studieren? | |
Von den ersten archäologisch arbeitenden Frauen bis zu den ersten | |
studierten Archäologinnen vergingen über 100 Jahre. Die ersten | |
Archäologie-Studentinnen wurden zwischen 1899 und 1909 zugelassen – je nach | |
Region. Ab 1909 konnten sich Frauen an allen deutschen Unis immatrikulieren | |
und mussten nirgends mehr beim Professor oder der Fakultät einen Antrag auf | |
Gasthörerschaft stellen. Elvira Fölzer (1868–1937) war 1906 die erste Frau, | |
die ein Archäologie-Studium abschloss, an der Uni Bonn. | |
Wie gut sind Archäologinnen-Karrieren erforscht? | |
Unser Projekt, aus dem die Ausstellung erwuchs, sucht erstmals in dieser | |
Breite nach archäologisch arbeitenden Frauen im deutschsprachigen Raum seit | |
dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Bis dato gab es lediglich | |
einzelne Bücher oder Initiativen, die sich mit Archäologinnen befassten. | |
Wie viele Archäologinnen haben Sie gefunden? | |
Die Namensliste wächst stetig. Bis jetzt umfasst sie über 400 Frauen – | |
wobei wir von einigen nicht mehr als Namen, Lebensdaten und Schlaglichter | |
auf ihre Leistung finden werden, weil die Quellenlage oft dürftig ist. Es | |
ist aber deutlich, dass Frauen von Anfang an in allen Teilbereichen | |
entscheidend an der archäologischen Arbeit beteiligt waren. Das reicht von | |
der Ausgrabung über die Museumsarbeit bis zu wissenschaftlichen | |
Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit. | |
Wie verliefen die Berufswege dieser Frauen? | |
Bei Weitem nicht so gradlinig wie die zeitgenössischer Männer. Auch dann | |
nicht, wenn die Frauen aus einem ähnlichen gesellschaftlichen Umfeld kamen | |
oder einen vergleichbaren Studienabschluss hatten. Um die Steine, die ihnen | |
in den Weg gelegt wurden, konkret zu erfassen, reicht die Quellenlage | |
jedoch nicht aus. | |
Warum sind die Quellen so lückenhaft? | |
In der Tat gerieten Archäologinnen, die zu Lebzeiten oft zitiert wurden und | |
der Fachwelt bekannt waren, nach ihrem Tod weit schneller in Vergessenheit | |
als ihre männlichen Kollegen. Das liegt wohl daran, dass Frauen viel später | |
als Männer eigene Professuren und Lehrstühle bekamen und daher weniger | |
Studierende und akademischen Nachwuchs hatten, der die Erinnerung an sie | |
wachhielt. | |
Was nun Ihre Ausstellung tut. Welche Frauen zeigen Sie? | |
Wir präsentieren neun Lebensläufe, die exemplarisch für eine Gruppe von | |
Frauen stehen. Den Anfang macht Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797–1857), | |
die als erste Archäologin Deutschlands gilt, weil sie sowohl Sammlerin als | |
auch an Ausgrabungen beteiligt war. Zudem hat sie auf Italienreisen | |
Denkmäler identifiziert und beschrieben. Interessant ist auch Julie Schlemm | |
(1850–1944). Sie war, wie alle Archäologinnen des 19. Jahrhunderts, | |
Autodidaktin und hat 1908 das erste Wörterbuch zur Vorgeschichte erstellt. | |
Es ist eine umfassende Publikation mit über 2000 selbst gezeichneten | |
Abbildungen. Sie wollte damit anderen, die – wie sie – damals noch keinen | |
Zugang zur universitären Bildung hatten, den Zugang zur Archäologie | |
erleichtern. | |
War die Vor- und Frühgeschichte generell leichter zugänglich, da nicht mit | |
Reisen verbunden? | |
In der Tat stand die Prähistorie breiteren Gesellschaftsschichten offen. | |
Denn um sich mit der klassischen Antike zu befassen, musste man sich Reisen | |
in die Mittelmeerländer leisten können und aus wohlhabender Familie kommen. | |
Die prähistorisch arbeitenden Frauen, die sich mit der einheimischen Vor- | |
und Frühgeschichte befassten, stammten zwar auch aus gebildeten Familien. | |
Da sie aber vor Ort arbeiten konnten, brauchten sie nicht derart wohlhabend | |
zu sein. | |
Wobei die Vorgeschichte im 20. Jahrhundert vom NS-Regime genutzt wurde, um | |
die menschheits-alte Herkunft der Germanen zu belegen. Haben sich auch | |
Frauen beteiligt? | |
Der NS-Staat hat die prähistorische Archäologe stark gefördert und neue | |
Professuren geschaffen, sodass auch deutlich mehr Frauen studierten. Wobei | |
einige auf Abstand zur NS-Ideologie blieben, während andere nicht nur | |
mitmachten, sondern deutlich gefärbte Artikel im Sinne de NS-Ideologie | |
verfassten. | |
Wer zum Beispiel? | |
Liebetraut Rothert (1909–2005) ging anfangs mit der NS-Ideologie mit, zog | |
sich später aber auf die ideologisch neutralere Bodendenkmalpflege zurück | |
– und das wohl nicht nur aus familiären Gründen. Eine Frau, die bis zum | |
Ende mit der NS-Ideologie mitging, haben wir nicht für die Ausstellung | |
ausgewählt. | |
Warum nicht? | |
Bei einer Archäologin, die während der gesamten NS-Zeit ihre Forschung und | |
archäologische Arbeit im Sinne der damaligen Ideologie betrieben hat, wäre | |
es offensichtlich, warum sie bis 1945 gute Arbeitsbedingungen vorfand, aber | |
nach 1945 nicht mehr in der Archäologie tätig sein konnte. Beispiele dafür | |
nennen wir in Vorträgen und Führungen. In der Ausstellung wollten wir | |
ambivalentere Biografien zeigen. | |
Wie beliebt ist die Archäologie heute unter Studentinnen? | |
Wir haben meist etwas über 50 Prozent Frauen unter den | |
StudienanfängerInnen. Frauen schrecken also keineswegs mit Blick auf die | |
Familienplanung vor dem Fach zurück. Denn nicht jede archäologische | |
Tätigkeit erfordert Reisen – gerade, wenn man sich mit Prähistorie befasst | |
und in der heimischen Denkmalpflege oder einem Museum arbeitet. | |
Wie viele Frauen brechen das Studium ab? | |
Deutlich mehr als Männer – wobei die Statistik nicht zwischen | |
StudienabbrecherInnen und denen unterscheidet, die in ein anderes Fach | |
wechseln. Der Frauenanteil sinkt von Qualifikationsstufe zu | |
Qualifikationsstufe. Diesen Effekt haben wir bei Archäologiestudentinnen | |
während des Studiums, und er setzt sich während der Doktorarbeit und in der | |
Arbeitswelt fort. | |
Wie ist das zu erklären? | |
Ein Aspekt ist vermutlich die Familienphase. Ein weiterer, dass bis vor | |
Kurzem unklar war, ob man als ArchäologIn eine Stelle finden würde. Das hat | |
sich geändert. In der prähistorischen Archäologie stehen wir derzeit einen | |
massiven Fachkräftemangel gegenüber. | |
17 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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Schleswig-Holstein | |
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