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# taz.de -- Zu wenig Barrierefreiheit in der Bahn: Samt Rollstuhl des Zuges ver…
> Ein Rolli-Fahrer wird am Hamburger Hauptbahnhof aus dem Zug gezwungen.
> Begleitet von der Polizei. Der Grund: Er wollte nur eine Station
> weiterfahren.
Bild: Viele Barrieren: Betriebsamer Hamburger Hauptbahnhof
Wenn [1][Kay Macquarrie] von seinem jüngsten Erlebnis am Hamburger
Hauptbahnhof berichtet, möchte man es kaum glauben. Am Mittwoch wurde er
gezwungen, einen ICE zu verlassen. Mit seinem Rollstuhl. Unter Begleitung
der Bundespolizei. Eigentlich wollte er einfach nur eine Station später
umsteigen, am Bahnhof Dammtor. Doch die Zugbegleiterin hatte andere Pläne,
rief die Ordnungshüter, erteilte dem 47-Jährigen schließlich ein Hausverbot
und zwang ihn somit auf den Bahnsteig.
So erzählt es Macquarrie der taz. Von dem Vorfall hatte er bereits auf dem
[2][Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) berichtet]. Die Bundespolizei
bestätigte, dass es einen entsprechenden Einsatz gab.
Eine Sprecherin der Bahn erklärte zu dem Vorfall: „Unsere Recherche hat
ergeben, dass der Hublift des betreffenden ICE leider defekt war. Wir
bedauern diesen Umstand sehr und bitten dafür um Entschuldigung.“
Allgemein hieß es von der Deutschen Bahn (DB), man arbeite kontinuierlich
an dem Ziel, das Reisen mit der Bahn für alle möglich zu machen. Und: Im
Hamburger Hauptbahnhof fänden sich umfangreiche Möglichkeiten zur
„Realisierung kurzfristiger Umstiegshilfe. Da wir als DB die Belange aller
Reisenden im Blick haben, bietet sich der Umstieg dort an, da er sich
reibungslos realisieren lässt.“
[3][Macquarries Erlebnis ist ein Beispiel für Barrieren und Behinderungen],
die für RollstuhlfahrerInnen unterwegs leider zum Alltag gehören. [4][Immer
wieder hört man von eskalierenden Situationen], wenn Menschen bei der
Mobilität mehr auf Hilfe angewiesen sind als andere – vor allem, wenn sie
wie Macquarrie auf ihr Recht bestehen, selbstbestimmt zu reisen. Menschen
mit Behinderung bemängeln schlecht informierte ZugbegleiterInnen,
aggressive Mitreisende, anfällige Hublifte, defekte Aufzüge und unflexible
Dienstzeiten des Mobilitätsservices.
Oft sind es Details, die den Unterschied machen. In Macquarries Fall dreht
sich alles um Probleme mit dem eingebauten Hublift des neuesten Zugmodells
ICE 4. Am Mittwoch will er von Köln nach Kiel und beginnt seine Reise gegen
Mittag, wie er der taz erzählt. In Hannover muss er umsteigen. Knapp eine
Stunde wartet er eigens, um den ICE 788 zu nehmen – einen Zug eben jenes
ICE-Typs 4, der einen Hublift an Bord integriert hat. Er plane das extra
so, sagt Macquarrie, damit er nicht wie bei anderen Zugmodellen auf
MitarbeiterInnen des Mobilitätsservice angewiesen ist, die mit einem extra
Hublift am Bahnsteig auf ihn warten müssen. Für das größere Maß an
Selbstbestimmung nehme er auch eine längere Reisedauer in Kauf.
Schon in Hannover aber macht der integrierte Lift Probleme.
RollstuhlfahrerInnen kennen das. Der Lift ist kompliziert zu bedienen und
störungsanfällig. Die Zugbegleiterin habe darauf bestanden, für Macquarrie
den Mobilitätsservice zu organisieren. Er solle am Hamburger Hauptbahnhof
umsteigen und habe dem zunächst auch zugestimmt, erzählt er. Doch dann
verspätet sich der Zug. Ein Umstieg am Bahnhof Dammtor wäre für ihn
wesentlich komfortabler: Dort müsste er den Bahnsteig nicht wechseln,
vermeidet anfällige Aufzüge und weite Strecken. Die Zugbegleiterin aber
habe auf dem Ausstieg am Hauptbahnhof bestanden – und ruft kurzerhand die
Bundespolizei.
Warum er nicht sofort gemacht hat, was die Zugbegleiterin wollte? „Das ist
eine Frage der Selbstbestimmung. Ich habe ein gültiges Ticket, ich verhalte
mich in keiner Weise so, dass ich eine Gefahr darstelle und man entscheidet
über meinen Kopf hinweg“, sagt Macquarrie. Da mache er nicht mit.
Macquarrie ist ein erfahrener Reisender und beruflich viel unterwegs. Als
Projektmanager in der Medienbranche hat er regelmäßig Termine in
unterschiedlichen Städten in ganz Europa. London, Frankfurt, Lulea,
Belgrad, Berlin, Riga. Über die Hindernisse, die ihm dabei mit seinem
Rollstuhl begegnen, [5][berichtet er online], [6][schreibt Petitionen] und
setzt sich unter anderem [7][für barrierefreie Bordtoiletten auf Flügen
ein]. Die Deutsche Bahn schätzt seine Expertise: Macquarrie vertritt den
Sozialverband Deutschland in einem [8][beratenden Gremium der Deutschen
Bahn, das zur Verbesserung der Barrierefreiheit] beitragen soll.
Wie er von A nach B kommt, weiß Macquarrie selbst am besten. Dass die
Polizei ihn aus dem Zug begleiten muss, war für ihn indes neu. 20 Minuten
habe die Diskussion wohl gedauert, sagt er, weil er nicht habe einsehen
wollen, wieso er nicht eine Station weiter bis Dammtor fahren könne.
Macquarries Rollstuhl ist nicht schwer und wird manuell bedient, mit Hilfe
eines Mitreisenden, der sich auch am Mittwoch schon gefunden hatte, kann er
die Stufen des ICE ganz ohne den integrierten Lift überwinden. Er hat das
oft so gemacht, sagt er. Doch am Ende macht die Zugbegleiterin ihr
Hausrecht geltend, der Bundespolizei bleibt kaum Spielraum.
Die eigens gerufene Verstärkung allerdings war nicht mehr nötig. Macquarrie
gab schließlich nach und nutzte den externen Hublift am Hauptbahnhof. Nach
einigem Hin- und Her am Infoschalter – und Beschimpfungen durch andere
Zuggäste, die ihm die Verspätung anlasteten – erreichte Macquarrie
schließlich gegen 20.30 Uhr per Regionalbahn sein Ziel in Kiel.
Der Bundespolizei macht er keinen Vorwurf: „Sie hatten keine Wahl und
mussten das Hausrecht durchsetzen.“ Auch für die Zugbegleiterin zeigt er im
Gespräch mit der taz Verständnis. Nicht sie persönlich wolle er
kritisieren, sondern den allgemeinen Rückstand der Deutschen Bahn bei der
Barrierefreiheit.
Ihn stört beispielsweise, dass RollifahrerInnen immer noch angehalten sind,
ihre Reisen mindestens 24 Stunden vorher ankündigen zu müssen, sobald der
externe Hublift ins Spiel kommt. [9][Dass defekte Toiletten] und Aufzüge
die Reisen verhindern. Dass er nicht gemeinsam mit seinen KollegInnen
reisen kann, weil Rolli-Plätze in der Bahn grundsätzlich nur in der 2.
Klasse angesiedelt sind und die KollegInnen auf Geschäftsreisen die 1.
Klasse nutzen. [10][Oder, dass es die Bahn in Deutschland zu lange
verschlafen hat, Züge ohne Stufen anzuschaffen] – anders als es etwa in
Spanien der Fall ist. Macquarries kann eine lange Liste aufzählen.
Frank Cordes überrascht die Schilderung Macquarries nicht. Er und seine
Frau, Karin Cordes-Zabel, unternehmen das ganze Jahr über Bahnreisen durch
Europa. In einem Podcast und den sozialen Medien berichten die beiden unter
den Spitznamen „[11][Frankyman]“ und „[12][Zauberbärin]“ von Freud und…
auf Rollstuhl-Reisen mit der Deutschen Bahn.
[13][Auch Cordes kann aus dem Stand mehrere Situationen aufzählen, in denen
ZugbegleiterInnen unnötigerweise die Polizei riefen]. Er selbst habe eine
solche Begegnung erst vor ein paar Wochen erlebt, als eine Zugbegleiterin
den integrierten Lift nicht habe bedienen können – und dann die
Bundespolizei rief, weil das Ehepaar sich nicht hatte abspeisen lassen.
Offiziell angemeldet sei die Fahrt gewesen, so Cordes, und dennoch nicht
zustande gekommen. „Es sind Situationen, in denen Rollstuhlfahrer schon
vorsichtig sein müssen, wie sie sich verhalten“, sagt er. „Die Mitarbeiter
stehen unter Druck und können auch schon mal aggressiv werden.“
Auch ohne Polizeieinsatz hakt es oft genug, wenn das Ehepaar Cordes
unterwegs ist. Beispielsweise beim Mobilitätsservice: Die beiden wohnen in
Bremerhaven, am nördlichen Ende der Bundesrepblik. Wenn sie mit der Bahn
nach Hause wollen, kann es daher spät werden. Allerdings: Zu spät darf es
nicht werden. Denn am Bremer Hauptbahnhof, wo das Ehepaar umsteigen muss,
nehmen die Helferinnen für den Lift nach 23.30 Uhr keine Aufträge mehr an.
Anders als Macquarrie hat Karin Cordes-Zabel einen E-Rolli, der zu schwer
ist, um ihn mal per Hand irgendwo hochzuhieven. „Wir müssen teilweise
stundenlang quer durch Deutschland fahren, weil ein Zug eine Minute nach
Feierabend des Mobilitätsservice ankommt“, sagt Cordes.
Er hat dabei mittlerweile einen guten Draht zur Deutschen Bahn. Sie nehmen
seine Beschwerden ernst, Cordes wird zu Gesprächen eingeladen, um
Verbesserungsvorschläge zu machen. „Da geht dann schon mal schnell eine
Anweisung an alle raus“, sagt Cordes.
Und im Fall von Macquarrie? Der kündigte eine Beschwerde an. Noch in diesem
Jahr tage auch das bahneigene Gremium zur Barrierefreiheit. „Da werde ich
den Vorfall aus Hamburg auf jeden Fall ansprechen“, sagt er Macquarrie.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Text nachträglich um eine
Stellungnahme der Deutschen Bahn ergänzt.
2 Sep 2023
## LINKS
[1] /Bahnfahrten-im-Rollstuhl/!5651027
[2] https://twitter.com/kaymacquarrie/status/1696941219820016110?s=20
[3] https://barrierefreiebahn.de
[4] /Bahn-nicht-barrierefrei/!5870324
[5] https://twitter.com/kaymacquarrie?lang=de
[6] https://www.change.org/p/deutsche-bahn-ag-bahnfahren-einfach-machen-f%C3%BC…
[7] http://www.rechtaufklo.de
[8] https://kobinet-nachrichten.org/2019/09/04/kay-macquarrie-im-beirat-der-deu…
[9] /Weniger-Barrierefreiheit-im-Nahverkehr/!5836475
[10] /Barrierefreiheit-bei-der-Bahn/!5879300
[11] https://twitter.com/DerFrankyman
[12] https://twitter.com/ZauberBaerin
[13] https://twitter.com/DerFrankyman/status/1697156710031409556?s=20
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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