# taz.de -- Kampf für behindertengerechte Flüge: Die Grenzen über den Wolken | |
> Kay Macquarrie sitzt oft im Flieger - und im Rollstuhl. Ein | |
> Toilettenbesuch über den Wolken ist für ihn oft unmöglich, deshalb kämpft | |
> er für behindertengerechte Inlandsflüge. | |
Bild: Wer als Rollstuhlfahrer im Flugzeug mal muss, hat oft verloren. | |
Es regnet etwas, als Kay Macquarrie zu dem Café kommt. An der Straße sind | |
ein paar Trittstufen vor der Eingangstür. Von der Holzterrasse führt eine | |
Metalltreppe in die Räume. Der Boden ist nass, die Stühle sind | |
zusammengerückt. Macquarrie würde trotzdem gerne draußen sitzen. Er fragt | |
die Kellnerin, ob sie die Markise ausfahren könne. Sie ist skeptisch. "Ach | |
was, das machen wir schnell", sagt ein junger Mann, der an Macquarries | |
Rollstuhl tritt, die Griffe anpackt und ihn Stufe für Stufe die Treppe | |
hochzieht. Was er möchte, erreicht Macquarrie gewöhnlich. Auch wenn er | |
dafür manche Hilfe in Anspruch nimmt. | |
"Die ersten vier, fünf Jahre beschäftigt einen das stark, dann geht einem | |
das in Fleisch und Blut über", sagt Macquarrie. Er ist 33, trägt | |
Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhe. In den Augenwinkeln zeichnen sich | |
kleine Lachfalten ab. Seit zehn Jahren sitzt er im Rollstuhl. "Ich merke | |
das im Alltag gar nicht", sagt er. Es ist eine Idee, für die er jetzt | |
kämpfe, so wie viele Menschen sich für Dinge engagieren. Bei ihm sei das | |
Thema eben rollstuhlspezifisch. | |
Es ist eine sehr private Entscheidung, um die es geht. Wenn Macquarrie ein | |
Flugzeug besteigt, muss er sich festlegen. Möchte er in den kommenden | |
Stunden die Toilette benutzen oder nicht? Und ist das der Fall, möchte er | |
dafür auf die Reise verzichten? "Ja, natürlich muss ich aufs Klo", sagt er | |
dann zu den drei Stewards. "Dann steht irgendwann der Pilot vor einem und | |
stellt dich vor die Wahl." | |
Auf Langstreckenflügen bieten die meisten Fluggesellschaften Bordrollstühle | |
an, mit denen es möglich ist, die Gänge und auch die Toilette zu nutzen. | |
Eine EU-Verordnung, die am 26. Juli vergangenen Jahres in Kraft getreten | |
ist, soll diese Möglichkeit auch auf innereuropäischen Kurz- und | |
Mittelstreckenflügen sicherstellen. Achtundvierzig Stunden vor Flugantritt | |
sollen Bordrollstühle bestellt werden können, es wird Hilfe beim Borden | |
angeboten. Und um "erforderlichenfalls auf die Toilette zu gelangen". Wie | |
genau diese Hilfe aussieht, ist nicht beschrieben. Denn in kleineren | |
Maschinen sind die Kabinen oft zu eng, um einen Rollstuhl aufzunehmen. Dann | |
bleibt der Person nur übrig, auszuhalten - oder wieder auszusteigen. | |
Macquarrie reist oft. Der Kieler Webdesigner hat Multimediaproductions | |
studiert, ein Fach, das zur Hälfte von Austauschstudenten belegt wurde. Er | |
hatte Dozenten aus Amerika und Australien, hat Freunde gewonnen aus | |
Pakistan, Indien und China. Die besucht er ab und zu, genauso wie Verwandte | |
seiner Frau in den USA. Er bleibt in Kontakt, auch über das Internet. Im | |
"Web 2.0", in seinem Blog, hat er vor zwei Jahren auch begonnen, seine | |
E-Mails und den Briefwechsel mit Fluggesellschaften zu veröffentlichen, | |
Anträge auf Bordrollstühle, Beschwerden und Berichte. | |
"Die Flugreisen führen mir die Behinderung erst vor Augen", sagt | |
Macquarrie. Er lehnt mit einem Arm auf dem Tisch und fährt ein wenig hin | |
und her beim Sprechen. Warum er im Rollstuhl sitzt, sagt er nur Menschen, | |
die er gut kennt. Die Frage sei ihm zu privat, zu direkt, um sie einer | |
Fremden zu beantworten. "Es gibt keinen Nachteil, der sich daraus ergibt", | |
sagt er und meint seine Behinderung. In seinem Wohnort Kiel kenne er sich | |
aus. Die Clubs und Restaurants ohne Treppen, die für ihn zugänglich sind. | |
Die Wege, die Verkehrsmittel. Seine Arbeitsstelle ist für ihn erreichbar. | |
Immer eine Ebene tiefer zu sein als die Umwelt, "daran gewöhnt man sich". | |
Im letzten Jahr hat er sich zwischen zwei Projekten freigenommen. Schrieb | |
Politikern, Fluggesellschaften, Medienvertretern - rund 300 E-Mails in zwei | |
Wochen. Er reichte eine Petition beim Bundestag ein. Für geräumige | |
Toilettenkabinen, in die ein Rollstuhl passt und für Bordrollstühle in | |
jeder Maschine. Für die Umsetzung der Verordnung. Bis zum 19. Dezember | |
haben sie 571 Menschen online unterzeichnet, jetzt wird sie parlamentarisch | |
geprüft. Am liebsten spricht Macquarrie von "Gestaltungsräumen", die er | |
hat, die ihm durch das Internet zur Verfügung stehen. | |
Das Bloggen macht ihm Spaß. Denn Medien interessieren ihn schon lange, mit | |
der Petition wollte er Öffentlichkeit erreichen. Er war in | |
Lokalredaktionen, hat Interviews gegeben und Fotos gemacht. Und selbst | |
einen Artikel im Internet veröffentlicht. | |
Wenn seine Frau Ashley dabei ist, könne er auch die Situationen im Flugzeug | |
mit Humor nehmen. Denn festgeschnallt auf dem Transportrollstuhl, fühle er | |
sich "wie ein Paket der deutschen Bundespost, wie ein Stück Material" auf | |
dem Weg in den Flieger. Auf die Toilette verzichten zu müssen, "das ist ein | |
Gefühl sehr starker Ohnmacht. Das arbeitet schon in einem nach". | |
"Es ist natürlich für Behinderte nicht alles einfach", sagt Jan Bärwalde, | |
Pressesprecher der Lufthansa. Dennoch sei die Unterstützung beim | |
Toilettengang "eine Frage der Zumutung für die Crew". "Die EU-Verordnung | |
erfüllen wir in vollem Umfang", nur eben auf Kurzstreckenflügen nicht. Die | |
seien aber auch nicht länger als eine Stunde - im Durchschnitt. Als | |
Entgegenkommen nennt Bärwalde neben einem Betreuungsdienst das Preboarding. | |
"Der Rollstuhlfahrer ist der Erste an Bord", sagt Sabine Tekil, | |
Sachbearbeiterin im Arbeitsstab der Behindertenbeauftragten der | |
Bundesregierung. Etwa eine Stunde vor Abflug sei er im Sicherheitsbereich, | |
habe dann aber keinen Zugang mehr zu Behindertentoiletten: "Das ist ein | |
echtes Problem." | |
Auf Langstreckenflügen seien die Toiletten der Lufthansa aber | |
behindertengerecht, betont Bärwalde: "Natürlich kann man die Tür schließen, | |
klar." Wie die Kabinen "im Einzelfall" gestaltet sind, kann er aber nicht | |
sagen: "Da kommen die Flugzeughersteller dazu." | |
"Ein Bekannter von mir verkneift es sich auch auf langen Flügen", sagt | |
Macquarrie: "Der trinkt dann gar nichts mehr." - "Für mich ist das kein | |
Service, das ist ein Grundrecht." | |
"Die Klogeschichte ist symptomatisch", sagt er. Die Infrastruktur, die | |
baulichen Voraussetzungen führten zur Diskriminierung von Behinderten. Denn | |
wo ein Rollstuhlfahrer nicht fahren kann, kommen Menschen auch nicht mit | |
ihm in Berührung. "Es bleibt ein Die und Wir." Das Internet empfindet er | |
dagegen als "virtuelles Zusammenrücken". Und als eine "Chance für den | |
Demokratiebegriff". | |
Macquarrie wuchs im schleswig-holsteinischen Klanxbüll auf, einem kleinen | |
Ort mit ein paar Häusern und einer Bahnschranke. Sein Vater war bei der | |
Bundeswehr, die Familie zog mit ihm ein paar Mal um, bis er nach Kiel zog - | |
in eine größere Stadt. Er hätte gerne Jüdische Studien in Heidelberg | |
studiert, doch die Unterrichtsräume waren dort im ersten Stock. Ohne | |
Fahrstuhl. Jetzt digitalisiert der Webdesigner Museen, damit man Kultur von | |
jedem Ort der Welt aus anschauen kann. Auch wenn sich die Objekte "in einem | |
kleinen Museum befinden, zu dem man nicht hin kommt." | |
In den USA, sagt Macquarrie, erlebe er eine ganz andere Situation als in | |
Deutschland. Der Umgang mit Gehbehinderten sei selbstverständlicher. "In | |
Amerika führt eine Rampe zu jeder kleinen Gaststätte", sagt er. Vielleicht | |
möchte er dort hingehen - in zwei oder drei Jahren. "Es gibt in Amerika | |
auch Flugzeuge, die ich mit meinem Rollstuhl besteigen kann." | |
"Wir können den Fluggesellschaften da nichts vorschreiben", sagt Tekil vom | |
Behindertenamt. Nur auf der Basis von freiwilligen Zielvereinbarungen könne | |
darüber gesprochen werden und die Resonanz auf die Anfragen sei "nicht | |
besonders üppig". | |
"Zehn Prozent Behinderte weltweit repräsentieren keinesfalls | |
Gehbehinderte", sagt Lufthansasprecher Bärwalde, es handele sich um eine | |
sehr kleine Gruppe von Betroffenen. Aber: "Wir geben denen doch Mobilität | |
zurück." | |
"Es gibt keine Sanktionen, keine Instanz", sagt Macquarries. Die Stimme ist | |
ruhig, er hat seine Hände ineinander gelegt. Er wünscht sich klare Gesetze | |
und einen Bußgeldkatalog. Und eigentlich ist er mit dem Prinzip | |
unzufrieden: "In Deutschland bekommt man als Behinderter immer eine | |
Extrawurst." So wie mit der Busfahrkarte. Er muss nicht selbst zahlen, | |
bekommt Vergünstigungen. In vielen Dingen. Und hat dennoch nicht alle | |
Möglichkeiten. "Ich glaube, dass diese Form von Privilegien falsch ist", | |
sagt er. | |
Wenn Macquarrie neue Menschen trifft und sie ihn kennenlernen, wird er | |
immer wieder besonders behandelt. "Die legen das nach zwei, drei Tagen ab", | |
sagt er. Immer Aufmerksamkeit zu bekommen von Fremden, in der | |
Öffentlichkeit, immer herauszustechen - am Anfang war das unangenehm. Aber | |
nur in den ersten fünf Jahren. Danach ist das normal, sagt Macquarrie. Und | |
lächelt. | |
9 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Kristina Ludwig | |
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Bahn für alle | |
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