# taz.de -- Debatte um Bundesjugendspiele: Neues vom Bundesschwanzvergleich | |
> Man muss nicht der FDP angehören, um Unsinn über die „Abschaffung“ der | |
> Bundesjugendspiele zu erzählen. Ein Mann zu sein reicht völlig aus. | |
Bild: Steht gern im Mittelpunkt: der Penis | |
Aus [1][dem miesen Abschneiden der deutschen Leichtathlet:innen bei der | |
WM] schloss am Dienstag Konstantin Kuhle, Vizechef der | |
FDP-Bundestagsfraktion, dass die „Abschaffung der Leistungsmessung bei den | |
Bundesjugendspielen falsch ist“, wie er auf Twitter analysierte. Später | |
sekundierte ihm dort der [2][FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner]: Die | |
Regeländerung bei den Bundesjugendspielen sei „symptomatisch“, „kein Seg… | |
liege „auf dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung“. | |
Twitter-User:innen gießen seitdem Häme über die beiden aus. Tenor: Wenn | |
dieses eintägige Schulevent Auswirkungen auf die Leistung des deutschen | |
Leichtathletikkaders hätte, müsste man es angesichts von null Medaillen | |
[3][dringend abschaffen]. | |
Das ist in der Tat lustig – aber Kuhle und Lindner sind nicht die Ersten, | |
die krude Thesen zu den Bundesjugendspielen aufgestellt haben, und man muss | |
kein FDP-Mitglied sein, um sie für die letzte Barriere gegen den Untergang | |
der Leistungsgesellschaft zu halten. | |
Es reicht: ein Penis. Wenn hier etwas symptomatisch sein soll, dann steht | |
die Debatte über die Bundesjugendspiele für eine Krise der Männlichkeit. | |
## Wütende Männer an Schreibtischen | |
Seit Ende Juni nämlich beklagen ausschließlich männliche Journalisten die | |
vermeintliche Abschaffung der Bundesjugendspiele, wie sie sie kannten. Den | |
Anfang machte Cicero, es folgten Welt, Zeit, FAZ, taz, Spiegel und Spiegel | |
Online, vor einer Woche griff der Deutschlandfunk das Thema noch einmal | |
auf. Alle Kommentare haben dieselbe Stoßrichtung, alle strotzen vor | |
Fehlern. Was sich wirklich ändert, war zugegebenermaßen nicht ganz leicht | |
zu verstehen, weil der Ausschuss, der die Bundesjugendspiele organisiert, | |
erst vor Kurzem eine Pressemitteilung zum Thema veröffentlicht hat. Zuvor | |
hieß es, ab diesem Schuljahr dürfe in den Klassenstufen 1 bis 4 Schwimmen | |
und Leichtathletik nur noch als Wettbewerb, nicht mehr als Wettkampf | |
durchgeführt werden. Beim Geräteturnen ändere sich nichts. | |
Mit einem Telefonanruf hätte sich herausfinden lassen, was das heißt. Am | |
Beispiel Weitspringen: Es wird nicht mehr in Zentimetern genau gemessen, | |
wie weit ein Kind springt, sondern in welche vorher festgelegte Zone. Nach | |
wie vor gibt es für die schlechtesten 30 Prozent eine Teilnahme-, für die | |
besten 20 Prozent eine Ehren- und für den Rest eine Siegerurkunde. | |
Manche Kommentatoren regten sich so auf, dass man annehmen muss, ihr | |
Selbstwert hinge an in Zentimetern Messbarem. Es gibt weitere Indizien, | |
dass der Blick auf die Bundesjugendspiele durch einen Testosteron-Nebel | |
getrübt werden kann. Nicht nur alte weiße Männer warnten vor einer | |
[4][Vorherrschaft der „Flauschokratie“]. In der Zeit machte Anant Agarwala, | |
geboren 1986, die „Kuschelpädagogen“ verantwortlich für die Neuregelung. | |
Das ist zwar Blödsinn, weil der Wettkampf in der ersten und zweiten Klasse | |
schon 2001 abgeschafft wurde. Das war die wenig flauschige Zeit zwischen | |
dem Ja der Grünen zum Einsatz der Bundeswehr im Kosovo und den | |
Hartz-IV-Reformen. | |
## Angst vor Identitätsverlust | |
Aber um Fakten geht es beim Thema Bundesjugendspiele nicht, sondern um | |
Gefühle, genauer um Angst – vor Identitätsverlust, wenn „männliche“ H�… | |
nichts mehr zählt und „weibliches“ Kuschelbedürfnis übernimmt. „Ein | |
Indianer kennt keinen Schmerz“ und „Heul doch“ könnten all diese Texte | |
überschrieben werden, die diejenigen verhöhnen, die unsportliche Kinder vor | |
Demütigung bewahren wollen, und die Kinder gleich mit. | |
Die Autoren beschwören den pädagogischen Nutzen öffentlicher Niederlagen | |
und befürchten, ihre eigene Brut hätte jetzt keine Möglichkeit mehr zu | |
vergleichen, wer den Längsten … pardon, am schnellsten rennen kann. Ähnlich | |
grotesk ist die von fast allen veröffentlichte Meinung, die | |
Bundesjugendspiele seien ausgleichende Gerechtigkeit für diejenigen, die in | |
allen anderen Fächern versagen. | |
Nach dem Motto „Nix in der Birne, aber in den Beinen“. Mit der Realität hat | |
das freilich nichts zu tun, [5][wie die Göttinger Sportprofessorin Ina | |
Hunger im taz-Interview] erklärte, und liegt auf dem Niveau einer deutschen | |
Adligen, die glaubte, „der Schwarze schnackselt halt gerne“, sei also dem | |
Geschlechtsverkehr besonders zugetan. | |
Hunger regt zudem an, darüber zu diskutieren, ob die seit 1979 in dieser | |
Form als Pflichtveranstaltung durchgeführten Bundesjugendspiele ihrem | |
Auftrag gerecht werden und einen modernen Sportunterricht reflektieren. | |
Später. Vorher müssen wir den Hilferuf der Männer hören und ihnen Mut | |
zusprechen: Ihr bleibt wichtig. Auch wenn ihr nicht mehr um Ehrenurkunden | |
und die Weltherrschaft kämpft. Kommt, wir kuscheln. Um die Wette. | |
30 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Bilanz-deutscher-Leichtathletik/!5953109 | |
[2] /Debatte-um-Industriestrompreis/!5953331 | |
[3] /Bundesjugendspiele-gehoeren-abgeschafft/!5931115 | |
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesjugendspiele-willkommen-in… | |
[5] /Sportprofessorin-ueber-Bundesjugendspiele/!5955401 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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nichts. |