| # taz.de -- Sportpädagogin über Sportunterricht: „Jede Stunde Zombieball is… | |
| > Ina Hunger leitet an der Bremer Uni den Wiederaufbau der Sportpädagogik: | |
| > Studierende lernen dort, warum Leistungsorientierung mehr schadet als | |
| > nützt. | |
| Bild: Schulsport soll Bewegungsfreude wecken. Oft gelingt das nicht. Das hat au… | |
| taz: Frau Hunger, Sie bauen die Bremer sportwissenschaftlichen | |
| Lehramtsstudiengänge wieder neu auf. Was wird diese auszeichnen? | |
| Ina Hunger: Wir richten unsere Studiengänge konsequent auf die | |
| Herausforderungen des Sportunterrichts der jeweiligen Schulformen aus. Wir | |
| fokussieren konsequent auf die Heterogenität der Schülerschaft und die | |
| Besonderheiten der jeweiligen Altersgruppen. Wir gehen also nicht von einer | |
| erdachten idealen Schülerschaft aus. | |
| taz: Das machen die anderen Sport-Standorte nicht? | |
| Hunger: Ich denke, die meisten bemühen sich darum. Aber oft verharren | |
| Standorte in alten Spurrillen. Wir haben in Bremen die Chance, ganz neu | |
| aufzuschlagen und müssen nicht gegen ein „Das haben wir schon immer so | |
| gemacht“ anarbeiten. | |
| taz: Und dann? | |
| Hunger: In der Ausbildung nehmen wir die Bandbreite der Bewegungs- und | |
| Sportkultur und die unterschiedlichen Sinnperspektiven von Sport in den | |
| Blick. Dazu gehört, dass wir auch infrage stellen, ob Schulsport immer in | |
| Hallen und auf Sportplätzen stattfinden muss. | |
| taz: Welche Sinnperspektiven meinen Sie? | |
| Hunger: Die Leistungsverbesserung, an der sich der traditionelle Schulsport | |
| orientiert, ist nur ein Grund unter vielen, sich sportlich zu betätigen. | |
| Dabei gibt es ganz viele Gründe, warum Menschen sich bewegen wollen. Manche | |
| treiben aus gesundheitlichen Gründen Sport, andere suchen das Risiko, das | |
| Körpererleben oder das Gemeinschaftserlebnis. Der Auftrag von Schulsport | |
| ist, den Schülern und Schülerinnen all diese Sinnrichtungen erfahrbar zu | |
| machen, damit sie dann für sich entscheiden können, was für sie passt. | |
| Idealerweise können sie das dann auch reflektieren. Zum Beispiel: „Warum | |
| entspannt mich dieser Sport so?“ Oder: „Wie kann ich besser trainieren?“ | |
| Sportunterricht ist als Bildungsfach genau so gedacht: Nicht nur machen, | |
| sondern auch verstehen. | |
| taz: In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert das leistungsorientierte | |
| Bild vom Sportunterricht, wie die [1][Debatte um die Bundesjugendspiele] | |
| gezeigt hat oder [2][Anfang des Jahres um Kriegstüchtigkeit]. | |
| Hunger: Ja, das nehme ich auch so wahr. Der Sportunterricht ist mitunter | |
| noch eindimensional. Das liegt daran, dass viele Lehrkräfte in der | |
| Vergangenheit aus dem Leistungssport kamen und diese Perspektive stark | |
| gemacht haben. Zum anderen haben viele Schüler und Schülerinnen selbst | |
| dieses Bild von Sport und fordern die Leistungsorientierung auch ein. | |
| taz: In vielen Sportstudiengängen müssen Studierende eine sportliche | |
| Eignungsprüfung bestehen. Gibt es das in Bremen auch? | |
| Hunger: Nein, weil wir eine diverse Studierendenschaft wollten und auch | |
| bekommen haben. So eine traditionelle Eignungsprüfung hat immer eine | |
| Signalwirkung. Da geht es oft um Kugelstoßen, Sprint und so weiter. Da | |
| winken einige junge Leute schon ab, weil das nicht ihrem Sportverständnis | |
| entspricht. | |
| taz: Was bedeutet diverse Studierendenschaft? | |
| Hunger: Das sind nicht mehr nur die, die für eine Sportart brennen und ihr | |
| Hobby zum Beruf machen wollen. Viele begeistern sich für Bewegung in allen | |
| möglichen Formen und wollen genau diese Begeisterung an Heranwachsende | |
| weitergeben. | |
| taz: Hatten Sie mehr Bewerber:innen als Plätze? | |
| Hunger: Wir haben für Grundschule 30 Plätze und noch einmal 30 für die | |
| weiterführende – darauf haben sich etwa zehn Mal so viele beworben. Das ist | |
| deutlich mehr als an anderen Standorten. Aber das hat natürlich auch damit | |
| zu tun, dass hier ein Studiengang reaktiviert wurde. | |
| taz: … der 2006 gestrichen worden war: Haben Leute darauf gewartet, wieder | |
| in Bremen Sport studieren zu können? | |
| Hunger: Ja, das glaube ich schon. | |
| taz: Welche Sportlehrer:innen werden die Uni verlassen? | |
| Hunger: Grundschullehrer:innen, die wissen, welche Bedeutung Bewegung | |
| hat und Bewegungsangebote machen können, die Kinder in ihrer Entwicklung | |
| fördern und ihnen eine Gegenwartsbefriedigung bei Sport und Bewegung | |
| vermitteln. | |
| taz: Warum ist das wichtig? | |
| Hunger: Wenn es im Grundschulalter zu einem gestörten Verhältnis zu Sport | |
| kommt, wenden sich manche Kinder davon ab, manche sogar für immer. Und oft | |
| sind es die, die von ihren Familien ohnehin nicht in puncto Bewegung | |
| gefördert werden. Es gilt immer auch die kindliche Bewegungsfreude zu | |
| erhalten. | |
| taz: Und worum geht es bei den Jugendlichen? | |
| Hunger: In den weiterführenden Schulen geht es darum, dass Schüler:innen | |
| kennenlernen, was Sport alles an Möglichkeiten vorhält. | |
| taz: Also kein Zirkeltraining mehr oder Völkerball. | |
| Hunger: Es geht vor allem darum, die Bewegungszeit optimal im Sinne der | |
| Förderung der Schüler:innen zu nutzen. Jede Stunde Zombieball oder | |
| langes Anstehen in Riegenaufstellung sind da sicher nicht das Richtige. Bei | |
| den Jüngeren sind Bewegungslandschaften, wo man balancieren oder | |
| runterspringen, an Seilen schwingen kann, ein vielseitiges Angebot. | |
| taz: Machen da nicht alle das, was sie schon können? | |
| Hunger: Nein, Stichwort Binnendifferenzierung. Man bietet Kindern | |
| unterschiedliche Niveaus, sich herauszufordern. Ein Kind geht rückwärts | |
| über den schmalen Balken und springt dann runter, das andere krabbelt erst | |
| einmal drüber, um mit dem Gerät vertraut zu werden. Sie merken dann oft | |
| selbst, dass sie mehr können, als sie sich zunächst zugetraut haben. Und | |
| wenn nicht, gibt ihnen die Lehrkraft Anregungen. | |
| taz: Und wie geht man auf die Bedürfnisse der älteren Kinder und | |
| Jugendlichen ein? | |
| Hunger: Bei Pubertierenden lässt der Bewegungsdrang oft nach. Viele | |
| exponieren ihren Körper nicht mehr so gerne oder versuchen, ihn zu | |
| optimieren. Auch da hat der Sportunterricht seinen Auftrag. Er kann für | |
| manche Anregung sein, in den Vereinssport zu gehen, um dort seine Leistung | |
| zu verbessern. Er kann Körperoptimierung zum Thema machen und reflektieren. | |
| Er kann neue Bewegungsformen vermitteln oder manche motivieren, für sich | |
| allein im Park zu laufen und so weiter. Und darum geht es doch am Ende: das | |
| Leben der Heranwachsenden durch Bewegung sinnvoll zu bereichern. | |
| 30 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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