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# taz.de -- Ein Vater-Tochter-Gespräch: Bin ich ein „Alter Weißer Mann“?
> Viele fühlen sich von der Zuschreibung beleidigt. Wer oder was ist der
> „Alte Weiße Mann“? Ulrich Gutmair hat seine Tochter Amalia Sterngast
> befragt.
Bild: Donald Trump – der „alte weiße Mann“ aller „alten weißen Männe…
Wann in den USA zuerst von „Alten Weißen Männern“ die Rede war, lässt si…
nicht bis ins Detail nachvollziehen. Sicher ist aber, dass die Chiffre
Anfang der 1990er Jahre in progressiven Kreisen zu zirkulieren begann. Der
Altphilologe Bernard MacGregor Walker Knox griff sie im Jahr 1992 auf und
befasste sich in einer Vorlesung mit „The Oldest Dead White European
Males“. In seinen Überlegungen zu den „ältesten toten weißen europäisch…
Männern“ ging es ihm darum, den Kanon von Philosophie und Literatur um
Personen zu erweitern, die keine weißen europäischen Männer waren. Damals
war Walker Knox, 1914 geboren, selbst ein alter weißer Mann. [1][In
Deutschland] wurde „Alter Weißer Mann“ erst in den vergangenen zehn Jahren
[2][zum Kampfbegriff] und schließlich [3][zum Klischee].
taz-Redakteur Ulrich Gutmair sprach am Küchentisch mit seiner Tochter
Amalia Sterngast darüber, was es mit den „Alten Weißen Männern“ auf sich
hat, welche Bedeutung der Begriff für junge Frauen hat und wie junge Männer
auf ihn reagieren.
Ulrich Gutmair: Es wird seit geraumer Zeit oft und gern über „Alte Weiße
Männer“ geredet. Was verstehst du darunter und wann ist dir der Begriff zum
ersten Mal begegnet?
Amalia Sterngast: Ich weiß nicht, wann er mir zum ersten Mal begegnet ist.
Aber er hat große Bedeutung für mich. Denn sie regieren unsere Welt, die
„Alten Weißen Männer“.
Fandest du es merkwürdig, als ich dich fragte, ob du mit mir über „Alte
Weiße Männer“ sprechen würdest?
Überraschend war das nicht. Es ist ja nicht abwegig, dass du, aus deiner
Generation, mich, als Vertreterin meiner Generation, danach fragst.
Du und deine Freundinnen, seid ihr euch darin einig, dass „Alte Weiße
Männer“ politisch und gesellschaftlich eine besonders problematische Rolle
spielen?
Ja, die „Alten Weißen Männer“ sind schon ein Feindbild. Wenn es ein Probl…
in der Gesellschaft gibt, dann sind meist „Alte Weiße Männer“ die Ursache.
Weil es meist „Alte Weiße Männer“ sind, die Macht und Einfluss haben?
Ja. Aber es kommt dabei schon darauf an, auf welchen gesellschaftlichen
Kontext man sich bezieht. Wenn es um Sexismus geht oder Rassismus, dann
sind „Alte Weiße Männer“ sehr oft die Problemfälle.
Was ist problematischer an ihnen, dass sie alt sind oder weiß? Oder ist die
Kombination toxisch?
Es ist die Kombination, richtig. An sich macht ihr Alter oder ihre
Hautfarbe die Menschen per se nicht problematisch. Der „Alte Weiße Mann“
ist eine Metapher. Man muss nicht weiß, männlich und alt sein, um ein
„Alter Weißer Mann“ zu sein. Es ist eine Metapher für Menschen, die ein
bestimmtes Weltbild haben, das sehr konservativ ist und die alten
patriarchalischen Machtstrukturen erhalten möchte, wo Männer über Frauen
stehen und Weiße mehr wert sind als andere Menschen.
Es geht also nicht um die „Alten Deutschen Männer“?
Warum deutsch?
Der „Alte Weiße Mann“ ist ein relativ neuer Begriff, aus den USA
importiert, wo es eine ganz andere Geschichte zwischen „weißen“ Menschen
und Menschen aus Afrika gibt, die als Sklaven verkauft wurden. Diese
Geschichte wirkt bis heute nach. Als ich Teenager war, hätte man in der
deutschen Einwanderungsgesellschaft, die lange nicht anerkannt hat, dass
sie eine ist, vielleicht eher gesagt, dass es die „Alten Deutschen Männer“
sind, die mit der neuen Realität nicht zurechtkommen.
Verstehe. Aber der „Alte Weiße Mann“ verweist auf etwas Universelleres.
Hat dieser globalere Blick damit zu tun, dass ihr so viel über TV-Serien,
soziale Medien und Internet aus der Welt mitbekommt?
Wir sind mit Social Media aufgewachsen, das macht uns weltbewusster. Das
macht schon einen großen Unterschied. Es gab früher viel weniger
Möglichkeiten, mitzukriegen, was andere „Alte Weiße Männer“ in der Welt …
von sich geben.
Ich verstehe, dass euch das so erscheint. Aber wenn ich als junger Mensch
in den 1980ern die Zeitung aufgeschlagen habe, wurden dort größtenteils
auch die Ansichten von „Alten Weißen Männern“ wiedergegeben.
Ja, aber es ist was anderes, einen Zeitungsartikel zu lesen, der dich über
die Position von jemandem informieren soll, als einen direkten Tweet von
einem Trump zu lesen.
Tritt euch der „Alte Weiße Mann“ auch in eurem Alltag gegenüber?
Ja, aber auch im Alltag ist es eine Metapher für Leute, die dieses Mindset,
diese Einstellung repräsentieren.
Wo begegnet man denen? Zu Hause, in der Schule, im Supermarkt?
Man begegnet ihnen im Geist von Mitmenschen, die auch in unserem Alter sein
können, die wie „Alte Weiße Männer“ denken, die also das Denken der „A…
Weißen Männer“ wiedergeben. Man trifft sie in Institutionen, überall dort,
wo Hierarchie herrscht.
Nehmen wir die Schule als Beispiel. Benimmt sich da hin und wieder auch die
jüngere, nicht-weiße Lehrerin wie ein „Alter Weißer Mann“?
Sie ist vielleicht nicht in der Position, dasselbe zu tun oder die selbe
Macht auszuüben, aber ja: Sie kann die selben Ideen vertreten.
Hast du das schon erlebt?
Das gibt es, aber vereinzelt, es ist sehr selten. Das sind etwa Menschen,
die das nicht komplett verkörpern, aber weil sie aus einer älteren
Generation kommen oder politisch eher konservativ sind, so sprechen wie
„Alte Weiße Männer“. Das kann auch eine Lehrerin sein, die sagt: „Die
Mädchen sollen sich nicht so freizügig anziehen, sonst können sich die
Jungs nicht gut konzentrieren.“ Das kann auch von Leuten kommen, die
ansonsten nicht Ansichten von „Alten Weißen Männern“ vertreten. Wobei
Sexismus im Schulunterricht auch von klassischer Seite vorkommt. Zum
Beispiel, wenn ein älterer männlicher Sportlehrer einen Kommentar wie
diesen abgibt: „Schlag die Mädchen mal nicht so doll ab mit dem Ball.“ Oder
wenn eigene Regeln für die Mädchen entworfen werden. Oder in Kommentaren
von Mitschülern: „Ach ja, ihr müsst keine normalen Liegestützen machen, ihr
müsst nur Frauenliegestütze machen.“ Sexismus begegnet mir im Alltag. Aber
ich würde den „Alten Weißen Mann“ trotzdem als Metapher begreifen.
Ich habe kürzlich eine Reportage aus Brasilien gesehen. Als Präsident
Bolsonaro abgewählt wurde, [4][gab es einen Sturm auf Regierungsgebäude].
Die Bolsonaro-Unterstützer hatten ein Camp aufgebaut und das Fernsehteam
hat dort Interviews gemacht. Alle Leute, die interviewt wurden, waren
nicht-weiße Frauen, die für Bolsonaro kämpften. Bolsonaro selbst ist ein
Musterbeispiel für einen „Alten Weißen Mann“. Seine Unterstützerinnen, d…
man in der Reportage sehen konnte, waren aber von außen betrachtet das
Gegenteil dessen, was man sich unter einem „Alten Weißen Mann“ vorstellt.
Das zeigt sehr gut, dass du kein alter weißer Mann sein musst, um ein
„Alter Weißer Mann“ zu sein.
Wenn man den „Alten Weißen Mann“ als Metapher begreift, hat man eine
Vorstellung von problematischen Strukturen und Denkweisen, die nicht an die
Existenz einer Person gebunden sind. Wenn man den „Alten Weißen Mann“ nicht
als Metapher begreift, sondern sich darunter eine reale Person vorstellt,
dann hat das für mich einen leicht verschwörungstheoretischen Touch: Man
hat die eine konkrete Figur gefunden, die Ursache für alles Schlechte in
der Welt ist.
Ja, das stimmt, aber es gibt Paradebeispiele für den „Alten Weißen Mann“,
so ein Trump oder ein [5][Elon Musk]. Es gibt diese Paradebeispiele, die
das auch optisch und den Tatsachen entsprechend verkörpern, sie sind
wirklich alte weiße Männer. Aber man kann es nicht darauf begrenzen, weil
sie nur repräsentativ sind. Leute müssen erst in Führungspositionen
gelangen, um ihren „Alten Weißen Mann“ ausleben zu können. Sie werden dab…
unterstützt, und diese Unterstützer sind insofern auch „Alte Weiße Männer…
als sie deren Ideen verkörpern und verbreiten.
Wenn euch reale alte weiße Männer gegenübertreten, sind die verdächtiger
als andere? Sagen wir mal, ihr habt einen neuen Lehrer. Der ist 55,
deutsch, christlich, ein Repräsentant der Mehrheitsgesellschaft. Ist bei
euch dann erst mal die Annahme: Der ist wahrscheinlich auch ein „Alter
Weißer Mann“?
Man hat immer eine bestimmte Voreingenommenheit, wenn man Menschen zum
ersten Mal begegnet. Man zieht Schlüsse aus dem Äußeren, ob man will oder
nicht. Aber ich glaube, auch bei diesem Beispiel würde ich nicht unbedingt
mehr als bei anderen die Erwartung haben: Das könnte ein „Alter Weißer
Mann“ sein. Ob er einer ist, wird sich erst zeigen durch das, was er sagt.
Aber es ist gut möglich, dass ich mir in diesem Fall schneller ein Bild
machen würde.
Das heißt, der „Alte Weiße Mann“ ist eine Metapher, aber nicht nur: Das
Bild deckt sich statistisch oft mit der Wirklichkeit?
Das deckt sich sehr oft. Von irgendwo her muss es ja kommen: Es ist nun mal
eine Tatsache, dass alte weiße Männer die privilegierteste
Bevölkerungsgruppe sind. Warum sollte sich das nicht zeigen? Es erfordert
Anstrengung, sich in andere Leute hineinzuversetzen. Daher sind solche
privilegierten Männer auch anfälliger für so ein Denken, weil sie nicht mit
Problemen konfrontiert werden, die sie dazu zwingen würden, offener zu
denken. Es hat seine Gründe, dass alte weiße Männer diese Ideen oft auch
verkörpern.
Ich bin relativ alt und weiß, repräsentiere ich für dich den „Alten Weißen
Mann“?
Nee.
Nee?
Also bei manchen Diskussionen denke ich schon: Okay?
Nenn ein Beispiel.
Mansplaining. Wenn Männer einem dozierend die Welt erklären. Wir hatten
eine Diskussion, da hast du bestritten, dass Mansplaining ein größeres
Gewicht hat als Womansplaning. Genauer, du hast die Frage gestellt, ob es
nicht auch viele Frauen gibt, die das machen. Da dachte ich mir schon: Na
ja. Aber generell sehe ich dich nicht als „Alten Weißen Mann“.
Das beruhigt mich. Ich betrachte mich noch als einigermaßen lernfähig. Wenn
mir fünf Mal von intelligenten Menschen gesagt wird, dass ich zu
Mansplaining neige, denke ich irgendwann darüber nach, ob was dran ist und
es angebracht wäre, öfter mal die Klappe zu halten. Wenn du mit deinen
Freundinnen sprichst, wie sieht es bei denen aus? Haben die familiär mit
„Alten Weißen Männern“ zu tun?
Mein Umfeld ist schon sehr progressiv, und das kommt ja auch von
irgendwoher, das hat was mit Erziehung zu tun. Bei anderen Jungen, denen
ich begegne, zeichnet sich die Meinung der Familie auch im Verhalten der
Kinder ab. Da sieht man schnell: Okay, die Familie ist sehr konservativ.
Aber ich bin auch in einer Bubble. Ich gebe mich nicht mit Leuten ab, die
sich verhalten wie „Alte Weiße Männer“. Es kann sein, dass meine
Freundinnen und Freunde „Alte Weiße Männer“ als Väter haben, aber ich w�…
sagen, das ist eher nicht der Fall.
Du hast vorhin gesagt, dass Männer nicht so stark gezwungen sind, über ihre
eigenen Privilegien nachzudenken.
Auch wenn eine Frau den „Alten Weißen Mann“ verkörpern kann, macht es doch
einen Unterschied, immer noch, ob eine Frau oder ein Mann sich wie einer
verhält, weil statistisch gesehen Männer weiterhin deutlich öfter in
Machtpositionen sind. Mansplaining ist ein gesellschaftliches Phänomen,
wenn es Frauen tun, sind das tendenziell eher Einzelfälle. Das gilt auch
für Sexismus und Gewalt. Es ist problematisch, zu sagen, auch Männer werden
vergewaltigt, wenn man damit verschleiern will, dass Vergewaltigung von
Frauen ein großes gesellschaftliches Problem ist und die Vergewaltigung von
Männern eher einzelne Kriminalfälle.
Aber gibt es Punkte, wo du denkst, mein Vater ist schon old fashioned? Was
ja kein Wunder wäre, da ich deutlich älter bin als du?
Du bist wirklich ein sehr schlechtes Beispiel dafür.
Warum?
Du lebst halt wie ein Teenager: Du kriegst noch mehr von der linken, jungen
Kulturszene mit als ich.
Teenager finde ich übertrieben, aber tendenziell ist was dran: Wenn man
Kulturjournalismus macht, sollte man sich dafür interessieren, was so los
ist in der Welt.
In ideologischen Fragen bist du jedenfalls kein typisches Exemplar des
„Alten Weißen Mannes“.
Auf welchem Gebiet dann doch?
Bei technischen Fragen!
Ich vermute, du meinst bestimmte Apps, die ich nicht verstehe. Bei Tiktok
etwa ist das angeblich absichtlich so gemacht, dass junge Menschen die App
intuitiv bedienen können, während ältere Leute sie gar nicht verstehen
sollen. Aber kommen wir zurück zum „Alten Weißen Mann“. Die Kolleginnen
dachten, dass es gut wäre, die Geschichte eines selbstkritischen alten
weißen Mannes im Blatt zu haben, der sich überlegt, wie es sich anfühlt,
mit dem Bild des „Alten Weißen Mannes“ konfrontiert zu werden, und fragten
mich. Ich hatte aber erstens keine Lust, das als tendenziell
selbstbeweihräuchernde Ich-Geschichte aufzuschreiben, und fühle mich
zweitens als „Alter Weißer Mann“ meist nicht angesprochen. Ich dachte, es
wäre interessanter, dich zu fragen.
Vielleicht geht es ja nicht darum, dass du dich mit dem „Alten Weißen Mann“
identifizierst, sondern eher darum, wie es ist, unabhängig davon, wie du
eingestellt bist, mit diesem Bild konfrontiert zu werden. Also etwa, ob man
sich dann berechtigt oder unberechtigterweise beschuldigt fühlt oder im
Arbeitsleben sozusagen dismissed wird als alter weißer Mann. Es geht ja
auch in die umgekehrte Richtung.
In bestimmten Branchen hat man derzeit als junge Frau, die vielleicht aus
einer Einwandererfamilie stammt oder einer sexuellen Minderheit angehört,
womöglich die besseren Karten als ein alter weißer Mann. Unternehmen und
Behörden haben verstanden, dass sie schon aus Eigennutz versuchen sollten,
Erfahrungen zu integrieren, die Leute aus der Mehrheitsgesellschaft nicht
haben. Außerdem ist es wichtiger geworden, die Gesellschaft in ihrer
Vielfalt zu repräsentieren. Da kann es vorkommen, dass altdeutsche
Cis-Männer nicht mehr automatisch damit rechnen können, das Rennen zu
machen. Sie können sich dann ein bisschen besser vorstellen, wie es ist,
wenn man nicht mit Privilegien ausgestattet ist. Ich finde es völlig
richtig, dass Diversität heute ein wichtiges Kriterium am Arbeitsplatz ist.
Ja, aber ich glaube auch, dass es genau deswegen jetzt so viele reaktionäre
Bewegungen gibt, weil die meisten nicht so selbstlos reagieren und sagen:
Ich war mein ganzes Leben in einer privilegierten Position, ich stelle
jetzt mal meine eigenen Wünsche hintenan, damit es gesellschaftlichen
Fortschritt gibt und eine weniger privilegierte Person drankommt. Es ist
eine menschliche und reflexartige Reaktion, zu denken: „Moment, nur weil
ich keiner Minderheit angehöre, stehe ich vielleicht nicht ganz oben in der
Bewerberliste. Ich werde ungerecht behandelt und ich will, dass alles
wieder so ist wie zuvor.“ Deswegen macht es auch Sinn, dass je
fortgeschrittener die Gesellschaft ist, desto stärker die reaktionären
Gegenbewegungen sind. Das merkt man gerade überall auf der Welt:
Rechtskonservative oder auch radikale Kräfte werden überall stärker, und
man merkt, dass es nach einer mehr oder weniger langen stabilen Lage in
vielen demokratischen Ländern jetzt wieder in die andere Richtung geht.
Du meinst, der Rechtsruck ist ein Effekt davon, dass alles immer besser
wird?
Es kommt darauf an, was am Ende im Übergewicht ist. Im Moment sieht es
nicht so gut aus. Aber es kommt natürlich auch immer darauf an, was genau
man sich anschaut: Welche Dimension nehme ich den Blick? Welche Parteien
auf politischer Ebene stärker werden oder was im gesellschaftlichen Rahmen
doch ständig progressiver wird? Aber im Grunde genommen, denke ich, gehört
das auch ein bisschen dazu: Menschen sind egoistisch, und es wird immer
Beschwerden geben.
Diese Dialektik zeigt sich auch im Politischen. Die AfD ist für ein
traditionelles Familienbild – je nach Flügel wie in den 1950ern oder in den
1930ern – und macht ständig Propaganda gegen queere Menschen und andere,
die nicht in dieses Bild passen – und ihre Vorsitzende lebt mit einer Frau
zusammen.
Das ist ein gutes Beispiel für die Metapher des „Alten Weißen Mannes“. In
vielerlei Hinsicht stimmt Alice Weidel nicht mit dem Bild des „Alten Weißen
Mannes“ überein, aber sie verkörpert komplett die Ideen des „Alten Weißen
Mannes“. Sie ist ein „Alter Weißer Mann“ hinter einer Fassade.
Wir sind uns in den meisten Fragen einig, scheint mir.
Ich kann natürlich auch radikaler werden. Du hattest mich vorhin gefragt,
wo mir „Alte Weiße Männer“ im Alltag begegnen. Zum Beispiel dieses
Marketing, dass alle pinken Produkte für Frauen grundsätzlich teurer sind.
Das sind Resultate von Entscheidungen von „Alten Weißen Männern“. Gleiches
gilt bei Hygieneartikeln für Frauen. Dass Binden und Tampons überhaupt Geld
kosten, ist eine Frechheit! Wer hat sich das ausgedacht? Ein „Alter Weißer
Mann“!
Der Kapitalismus ist also auch ein „Alter Weißer Mann“.
Könnte man sagen. Die zweite Alltagserfahrung, die ich mache, ist, dass das
Denken des „Alten Weißen Mannes“ mir in den Köpfen von Gleichaltrigen
begegnet.
Wenn der „Alte Weiße Mann“ keine Metapher für ein bestimmtes Denken wäre,
sondern eine reale Gruppe von Personen beschriebe, würde sich das
Alte-Weiße-Männer-Problem von selbst lösen. Wenn aber aus einer
Achtzehnjährigen der „Alte Weiße Mann“ sprechen kann, dann besteht wenig
Hoffnung, dass wir ihn loswerden?
Das ist das Problem. Dadurch, dass ich in meiner Bubble bin, wo ich denke,
jeder hat eine ähnliche politische Meinung wie ich, oder zumindest eine,
die nicht problematisch ist, bin ich manchmal wirklich schockiert, wenn
Leute abstruse Sachen sagen. Junge Männer in meinem Alter, die sich vom
Feminismus angegriffen fühlen. Das begegnet mir sehr oft.
Das könnte damit zu tun haben, dass junge Männer diesbezüglich
empfindlicher sind, weil sie sich nicht so stabil fühlen, unsicher sind,
was es heißt, ein Mann zu sein, und deswegen leichter aus dem Konzept zu
bringen sind? Ihnen flößt das möglicherweise Angst ein: Die Frauen sagen
laut und deutlich, wir wollen unsere Rechte haben, dasselbe Geld verdienen.
Ja, das kann natürlich mit reinspielen. Aber ich sehe da schon Kandidaten,
wo ich weiß, bei ihnen wird sich das nicht ändern, sondern es wird eher
schlimmer werden. Also bei vielen jungen Männern denke ich mir, jetzt
müsste eigentlich richtig educatet werden, sonst ist es zu spät. Je älter
du wirst, desto mehr verfestigen sich deine Ideale, deine Ideen und dein
Weltbild, und desto weniger offen wirst du für neue Sachen. In der Pubertät
ist das was anderes, aber mit 18 ist das keine Entschuldigung mehr. Ich
glaube aber auch, das hat ein bisschen damit zu tun, dass sie das Gefühl
haben, sie müssten sich rechtfertigen und verteidigen: Ich als junger Mann
muss mich jetzt rechtfertigen für die Leute meines Geschlechts, die
schlimme Sachen machen. Dann heißt es: „Alle Männer? Aber ich doch nicht.“
Das Problem ist, dass sie jede Kritik an männlichem Verhalten auf sich
selbst beziehen.
Das ist schon verständlich, wenn sie sich verunsichert fühlen. Man könnte
ja sagen, das ist der erste Schritt zur Selbsthinterfragung. Was anderes
ist, wenn man sich auf einer ideologischen Ebene gegen Feminismus
positioniert.
Das stimmt, aber oft wird Feminismus als Kampfbegriff und Feindbild
benutzt. Dann heißt es, Feministinnen sind einfach Männerhasser. Weiter
verbreitet ist aber die Haltung: „Ja, es gibt zwar ein Problem mit Männern,
aber das ist weit weg, es interessiert mich nicht, weil ich ja nicht so
bin, und ich will nichts davon hören, es wird zu viel darüber geredet, und
ich habe keine Lust mehr darauf, Männer haben genauso Probleme und werden
genauso benachteiligt.“ Manchmal finde ich es schwer, zu differenzieren
zwischen antifeministischen Kommentaren und Vorwürfen von Männern an die
Gesellschaft, die ernst zu nehmen sind. Was wir etwa oft diskutiert haben,
wie Körperbilder von Social Media beeinflusst werden, welche Ansprüche von
der Gesellschaft formuliert werden, wie eine Frau auszusehen hat. Oft
argumentierten Männer, sie müssten doch genauso einem Idealbild
entsprechen.
Das ist erst mal nicht falsch.
Ja. Ich denke oft, sie haben an dieser Stelle recht, aber insgesamt ist der
Druck auf Frauen doch viel höher, dem Idealbild entsprechen zu müssen.
Das stimmt vermutlich. Aber Männer stellen womöglich fest, dass sie selbst
unter den Anforderungen des patriarchalischen Männerbilds leiden. Wenn sie
dem traditionellen Bild nicht entsprechen können oder wollen, haben sie ein
ähnliches Problem wie Frauen. Allerdings fällt es Männern leichter, sich
von diesen Bildern zu distanzieren. Denn wenn sie das tun, zeigen sie, wie
individuell, kreativ und entscheidungsstark sie sind – was ebenfalls als
besonders männlich gilt.
Ja, aber wenn man Männern erklärt, dass es für Frauen doch ein größeres
Problem ist, dann kriegt man oft die abstruse Antwort: „Wieso, der
Feminismus ist doch für Gleichberechtigung? Dann hat so ein Vergleich doch
gar keinen Sinn!“
Magst du eine Prognose wagen? Wird der gesellschaftliche Fortschritt
weitergehen oder besteht die Gefahr, dass es einen reaktionären Rückfall
gibt?
Es kann sich in beide Richtungen entwickeln, aber es wird vermutlich nicht
das eine oder das andere eintreten. Es ist eine wellenförmige Dynamik, die
auch von äußeren Einflüssen abhängig ist, etwa von Kriegen oder dem
Klimawandel.
11 Oct 2023
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