# taz.de -- Die Zukunft der Männer: Darf er so? | |
> Das gesellschaftliche Bild von Männlichkeit schadet allen Geschlechtern. | |
> Was Männer tun können, um sich davon zu emanzipieren. | |
Bild: Harry Styles auf dem roten Teppich bei den Internationalen Filmfestspiele… | |
Bruder, die Frauen stehen nicht mehr auf männliche Männer“, sagt ein Typ | |
vor dem Späti zu mir. Ich bin mit meinen Friends unterwegs. Wir sind in | |
Berlin-Neukölln und es ist kurz nach 22 Uhr. Der Typ sitzt auf einer Bank, | |
ist vielleicht Mitte 20, trägt Bart und eine Bomberjacke. Aus seinem | |
Tonfall schließe ich, dass er mich zwar als Mann, aber nicht als | |
„männlichen“ Mann sieht. Er will Antworten von mir, warum „die Frauen“… | |
nicht mehr wollen. | |
Was [1][ein männlicher Mann für ihn] ist, kann ich mir ausmalen. | |
Traditionelle Erwartungen an Männlichkeit zeichnen sich unter anderem durch | |
körperliche Stärke, Dominanz, Selbstständigkeit, logisches Denken, einen | |
ausgeprägten Sexualtrieb und emotionale Kontrolle aus. Wir alle sind mit | |
diesen [2][traditionellen Erwartungen an Männlichkeit] aufgewachsen. Alle | |
tragen diese Rollenbilder und Verhaltensweisen in sich, leben sie aus, | |
wiederholen und verfestigen sie damit weiter. | |
Das passiert bereits im Kleinen – unter Brudis. Schon auf dem Schulhof | |
tragen Jungen ihre Gefühle vor allem in Form von Gerangel und Gewalt nach | |
außen. Sie profilieren sich untereinander anhand ihrer Genitalien oder | |
ihrem Sexleben. Andere Menschen werden abgewertet, etwa mit | |
Diskriminierungsformen wie Frauen-, Fett- oder Queerfeindlichkeit oder | |
Rassismus. So wird der eigene männliche Status gefestigt. Auch ich habe | |
mich schon so verhalten. Oft bleiben diese Machtkämpfe unerkannt oder | |
werden nicht benannt. | |
Wie dem Typen am Kiosk geht es vielen Männern: Wir haben das Gefühl, uns | |
wird etwas weggenommen – schließlich geht es hier um Macht, Identität und | |
Privilegien. Wie gefährlich das männliche Rollenbild auch für Männer selbst | |
ist, damit beschäftigen wir uns selten. | |
## Das Patriarchat ist schuld | |
Laut dem Männertherapeuten Björn Süfke wird Jungen bereits im Kindesalter | |
der Zugang zu Emotionen abtrainiert: Jungen dürfen nicht weinen und müssen | |
„stark“ sein. Nach dem traditionellen Rollenbild dürfen Männer keine Angst | |
haben, brauchen keine Hilfe und müssen möglichst risikobereit sein. | |
Die Folgen sind eine hohe Kriminalitätsrate und eine höhere | |
Wahrscheinlichkeit, eine Sucht zu entwickeln, weil Männer eher Drogenkonsum | |
riskieren. Unter anderem deswegen ist die Lebenserwartung bei Männern | |
niedriger. Wir Männer verkörpern den Aggressor – nicht nur für alle | |
anderen, auch für uns selbst. Dafür können wir nichts, alle wurden in das | |
Patriarchat hineingeboren. | |
Dennoch stehen Männer in der dominanten Position und sind verantwortlich, | |
das Rollenbild aufzuarbeiten. Aber was braucht eine solche Veränderung? Zum | |
einen den Ausbau der körperlichen und emotionalen Zuwendung, um | |
traditionelle [3][Männlichkeitsbilder aufzuarbeiten]. | |
Eine Verhaltenstherapie würde allen helfen. Aber auch sogenannte | |
Befindlichkeitsrunden im eigenen Umfeld trainieren das Sprechen über | |
Gefühle. Regelmäßiges Wiederholen stärkt den Zugang zu den eigenen | |
Empfindungen. Ein Freund und ich haben neulich darüber gesprochen, wie | |
ungewohnt sich das anfangs anfühlt und wie bereichernd es gleichzeitig ist. | |
## Schulfach für Emotionen | |
Ohne Reflexionsprozesse geht es nicht. Sie beginnen, wenn wir Situationen | |
und Dynamiken aktiv beobachten, dokumentieren und hinterfragen. Mir helfen | |
da ein kleines schwarzes Notizbuch oder auch die Notizen-App auf meinem | |
Handy. Wir müssen Menschen zuhören, die andere Lebensrealitäten haben und | |
uns mit ihren Perspektiven auseinandersetzen. So können wir nicht nur | |
besser mitfühlen, sondern auch viel über unsere eigene gesellschaftliche | |
Position lernen. | |
Auch auf der Systemebene müsste sich einiges ändern: Beispielsweise sollte | |
der Zugang zu Emotionen und Zuwendung bereits in der Schule vermittelt | |
werden. Zudem müsste die Gesellschaft das Konkurrenzdenken und das | |
Leistungsprinzip hinterfragen. | |
Ziel ist es, traditionelle Männlichkeit sowie die bestehende | |
Geschlechterideologie aufzuarbeiten und so eine tatsächliche | |
Gleichberechtigung aller Geschlechter zu gestalten. Denn ganz ehrlich, wer | |
hat bei alldem schon Lust, ein „männlicher Mann“ zu sein? | |
26 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Psychologe-ueber-Maennlichkeit/!5938867 | |
[2] /Ein-Vater-Tochter-Gespraech/!5962122 | |
[3] /Mick-Jaggers-Maennlichkeit/!5946361 | |
## AUTOREN | |
Paul Ninus Naujoks | |
## TAGS | |
Utopie | |
Männlichkeit | |
Geschlechtersterotype | |
Rassismus | |
Therapie | |
Sexismus | |
Toxische Männlichkeit | |
wochentaz | |
Podcast-Guide | |
Feminismus | |
Interview | |
Männergewalt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
MannSein-Event: Kuscheln, Eisbaden & Brusttrommeln | |
Auf Europas größtem Männer-Event tauschen sich in Berlin am Wochenende | |
Männer über das „Mannsein“ aus. Es wird gekuschelt, gekämpft und | |
eisgebadet. | |
Die Verständnisfrage: Gemeinsam zum stillen Örtchen | |
Warum gehen Frauen oft zusammen aufs Klo, fragt ein Leser. Eine angehende | |
Kinder- und Jugendpsychotherapeutin antwortet. | |
Neuer Podcast „Schwarz & Rubey“: Loslabern in Wiener Schmäh | |
Der neue Podcast „Schwarz & Rubey“ unterhält mit viel Gemächlichkeit und | |
Selbstironie. Er entschleunigt wunderbar – fast wie ein akustisches | |
Mandala. | |
Ein Vater-Tochter-Gespräch: Bin ich ein „Alter Weißer Mann“? | |
Viele fühlen sich von der Zuschreibung beleidigt. Wer oder was ist der | |
„Alte Weiße Mann“? Ulrich Gutmair hat seine Tochter Amalia Sterngast | |
befragt. | |
Psychologe über Männlichkeit: „Patriarchat frisch legitimiert“ | |
Statt progressiver Männlichkeit dominiert wieder Frauenhass. Wieso? Und was | |
kann man dagegen tun? Männerforscher Markus Theunert im Gespräch. | |
Plan International zu Männlichkeit: Ein gewaltiges Problem | |
Eine Befragung legt nahe, dass viele Männer Gewalt gegen Frauen gutheißen. | |
Dass das so ist, liegt auch an den Männern, die sich für die Guten halten. |