# taz.de -- Psychologe über Männlichkeit: „Patriarchat frisch legitimiert“ | |
> Statt progressiver Männlichkeit dominiert wieder Frauenhass. Wieso? Und | |
> was kann man dagegen tun? Männerforscher Markus Theunert im Gespräch. | |
Bild: Nötige Grundversorgnung: geschlechterreflektierte Jungenarbeit, Väterbi… | |
taz: Herr Theunert, Sie forschen seit Jahren zu progressiver Männlichkeit | |
und betreiben patriarchalkritische Männerarbeit. Jetzt zeigen Umfragen, | |
dass noch immer recht viele Männer ein eher traditionelles Männerbild haben | |
und [1][ein Drittel von ihnen es sogar akzeptabel findet, Frauen zu | |
schlagen]. Dabei dachten wir, jüngere Männer hätten diese archaische | |
Männlichkeitsnorm überwunden. | |
Markus Theunert: Die Annahme, dass sich das Männerbild ändert, sobald die | |
alten, konservativen Männer wegsterben, trifft leider nicht zu. Eine Studie | |
des Bundesfamilienministeriums hat schon 2017 gezeigt, dass überholte | |
Rollenvorstellungen nicht einfach herauswachsen, sondern weitergegeben | |
werden. Insofern überraschen mich die aktuellen Ergebnisse nicht. | |
Aber es gibt sie doch, die jungen, gendersensiblen Männer. | |
Durchaus und zum Glück. Aber es findet bei der Frage nach Männlichkeit wie | |
in so vielen Bereichen der Gesellschaft eine Polarisierung statt. | |
Vereinfacht lässt es sich so zusammenfassen: Ein Drittel der Männer ist | |
[2][antifeministisch-misogyn eingestellt], ein Drittel verharrt in passivem | |
Pragmatismus und ein Drittel ist in einer genderreflektierten | |
Vorwärtsbewegung. | |
Steigende Sensibilisierung und anhaltende hegemoniale Männlichkeit | |
existieren nebeneinander? | |
Wir sehen aktuell keine Wellenbewegung, sondern parallele Polarisierungen: | |
Natürlich gibt es immer mehr Männer, die achtsam sind, sich problematischen | |
Männlichkeitsstrukturen widersetzen und nachhaltiger leben. Gleichzeitig | |
gibt es aber auch immer mehr Männer, die jegliche Männlichkeitsreflexion | |
grundsätzlich boykottieren – und das nicht mehr verstecken. | |
Man erntet heute doch sofort einen Shitstorm, wenn man sich als misogyn | |
outet. | |
Im öffentlichen Raum vielleicht. Im Privaten scheint mir die Hemmschwelle | |
im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren zu sinken. | |
Geschlechterstereotype bis hin zu offener Frauenverachtung werden | |
zunehmend selbstbewusst vorgetragen. | |
Wieso? | |
Weil die Rechte das erfolgreich normalisiert hat. Der Boden dafür ist aber | |
auch fruchtbar: Die Anforderungen der Gesellschaft an Männer haben sich | |
nicht im Kern verändert, sondern bloß erweitert. Zu den bisherigen | |
Anforderungen – leistungsstarker Ernährer, der weiß, was er will und das | |
auch durchsetzen kann – kommen entgegengesetzte Anforderungen hinzu. Männer | |
sollen auch emotional kompetent und einfühlsam und als Vater liebevoll und | |
präsent sein. Das sind natürlich legitime Forderungen. Aber solange die | |
alten Imperative weiterwirken, sind diese konträren Anforderungen nicht | |
erfüllbar. | |
Und das lässt Männer offen frauenfeindlich agieren? | |
Das führt zu [3][Ohnmacht, Verlustangst, Überforderung, Stress]. Und | |
[4][Frauenhass ist für viele Männer die attraktivste Form], damit einen | |
Umgang zu finden. | |
Haben gendersensible Männer ihre Strategien nicht ausreichend kommuniziert? | |
Gendersensible Männer sind politisch ein Nischenphänomen. [5][Auch auf der | |
linksgrünen Seite] sehe ich viele Männer, die sich als feministische Allies | |
gefallen, sich aber vor der schmerzhaften Auseinandersetzung an der eigenen | |
patriarchalen Teilhabe drücken. | |
Welche Rolle spielen dabei die Frauen? | |
Es ist sicher nicht an mir, Frauen irgendein Fehlverhalten vorzuhalten. Das | |
Problem ist doch die Instrumentalisierung des Gleichstellungsansatzes durch | |
das patriarchal-kapitalistische System. Denn dabei bleibt der Mann der | |
Maßstab. Ohne fundamentale Männlichkeits- und Patriarchatskritik lassen | |
sich keine gerechten Geschlechterverhältnisse gestalten. | |
Es hat sich also nichts geändert? | |
Das Gleichstellungskonzept war der politisch machbare Kompromiss, um | |
überhaupt erst einmal voranzukommen. Und ich freue mich für jede Frau, der | |
es gelingt, in Männerbünde vorzudringen, eine Führungskraft zu sein. | |
Gesamtgesellschaftlich aber ist es kein Fortschritt, wenn Gleichstellung | |
letztlich meint, dass sich Frauen ähnlich ausbeuterisch verhalten wie | |
Männer. | |
Wir kommen wir aus diesem Dilemma heraus? | |
Indem wir, um es mit den Worten des französischen Soziologen Pierre | |
Bourdieu zu sagen, das „androzentrische Unbewusste“ ausleuchten. Wir müssen | |
radikaler werden und noch deutlicher sagen, dass der Planet nur eine | |
Überlebenschance hat, wenn wir das Patriarchat überwinden. Das liegt | |
keineswegs im Sterben. Im Gegenteil, es hat sich frisch legitimiert. | |
Ausbeutung als patriarchale Grundoperation ist aber wie eh und je | |
unhinterfragte Normalität. | |
Puh. | |
Ja, Fundamentalkritik ist anstrengend – und eine kollektive Aufgabe. | |
Gendersensible Männer und Organisationen wie das Bundesforum Männer, das | |
sich für ein progressives Männerbild einsetzt, werden häufig belächelt. | |
Belächeln ist schon ein Fortschritt gegenüber dem Ignorieren und dem | |
aggressiven Abwehren von Gleichstellungspolitik. Aber es stimmt, es gibt | |
noch zu wenige progressive Männer. | |
Und so kann sich der Sexismus [6][einer Band wie Rammstein] und die Szene | |
der Pick-Up Artists, die Männer lehren, Frauen aufzureißen, noch ungehemmt | |
ausbreiten? | |
Dieser Sexismus war nie weg. Wie auch? Dafür bräuchte es echte | |
Auseinandersetzung mit Männlichkeit, auch gesellschaftlich akzeptierte | |
Räume dafür. Wir stehen aber immer noch bei hilflosen Veränderungsappellen. | |
Die Welt ist schlecht. | |
Die Welt ist patriarchal organisiert. Und es gibt keine prominenten Role | |
Models, die ein progressives Männerbild vorleben. Das moderne links-grüne | |
Drittel, von dem ich vorhin sprach, erkennt immerhin die | |
Handlungsnotwendigkeit. Aber es fehlt an Breite, Mut und Grundsätzlichkeit. | |
Was raten Sie aufgeschlossenen Männern, die sich vielfach in einer | |
gendertoxischen Umwelt bewegen? | |
Auf jeden Fall das zu tun, was in ihrem eigenen Einflussbereich liegt. In | |
meinem neuen Buch „Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von | |
heute“ habe ich versucht, eine Positivskizze zu formulieren: So kann fair | |
und gern Mannsein gelingen. Also eine Verbindung von | |
Nachhaltigkeitsperspektive und Freude am Mannsein. Ein Angebot auch | |
jenseits der Forderung, aus dem Mannsein übergangslos rauswachsen zu | |
müssen, weil mit Männlichkeit vor allem negative Dinge verbunden sind. | |
Ist das eine neue Form männlicher Emanzipation? | |
Es ist ein neuer Versuch, der sich durch das Scheitern aller bisherigen | |
Versuche legitimiert, [7][kritische Männlichkeit in den Mainstream zu | |
bringen]. Wir haben diesen gesellschaftlichen Konsens: Wir wollen raus aus | |
zerstörerischen Männlichkeitsideologien, wir wollen gerechte | |
Geschlechterverhältnisse. Aber es gibt kein progressives Community-Gefühl | |
unter Männern und keine brauchbaren Angebote für Männer. Das zu entwickeln, | |
ist eine große politische Aufgabe. | |
Wie soll das gehen? | |
Indem wir auf einem feministischen Fundament Räume öffnen und fördern, in | |
denen Männer Verantwortung für ihre Emanzipation wahrnehmen können. Das | |
heißt: Geschlechterreflektierte Jungenarbeit, Väterbildung und | |
Männerberatung gehören flächendeckend in die Grundversorgung. Aber | |
männliche Emanzipation zu erwarten, ohne ein faires Angebot zu machen: Das | |
funktioniert offensichtlich nicht. Wir sollten das anerkennen und | |
überlegen, wie wir das besser machen können. | |
20 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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