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# taz.de -- Kritik am Buch über kritische Männlichkeit: Doch nicht so woke
> Das Buch „Oh Boy: Männlichkeit*en heute“ thematisiert einen sexuellen
> Übergriff. Nun wehrt sich die Betroffene gegen die literarische
> Verwertung.
Bild: Nagelläck an Männern: Symbol reflektierter Maskulinität oder Vorgaukel…
Was wünschen sich Betroffene von sexualisierter Gewalt oder
Machtmissbrauch? In der Regel Verbündete, die ihnen glauben und sich an
ihre Seite stellen. Geht es um prominente mutmaßliche Täter, kann das für
Fans bedeuten: [1][keine Tickets für Rammstein-Konzerte] zu kaufen oder
[2][Filme von Til Schweiger] zu ignorieren. Viel wichtiger wäre es, dass
diejenigen in Machtpositionen Verantwortung übernehmen: also dass Konzerte
oder Filme gar nicht mehr stattfinden.
Etwas Ähnliches ist jetzt im Fall des [3][Buches „Oh Boy:
Männlichkeit*en heute“] passiert. Vor wenigen Tagen hat das
Literaturhaus Rostock eine Lesung auf der Kulturwoche zu dem Sammelband
abgesagt. Die Absage begründet das Literaturhaus mit der Solidarität
gegenüber Betroffenen sexualisierter Gewalt. Was war passiert?
Vergangenen Monat ist das Buch über gegenwärtige Männlichkeit im Kanon
Verlag erschienen. Der Klappentext verspricht „18 mutige Selbstbefragungen
von prägenden Autor*innen unserer Zeit“. Ganz vorne mit dabei:
Mitherausgeber Valentin Moritz, „ein Mann, der sich die eigene
Übergriffigkeit eingesteht“. In seinem Kapitel schreibt der Autor, dass er
einer Person gegenüber sexuell übergriffig geworden sei, Namen und konkrete
Orte nennt er dabei nicht. Jetzt möchte er „Konsequenzen tragen und die
Verantwortung übernehmen“. Moritz möchte ein Vorbild sein.
Aber ist er das? Wohl nicht, denn die Betroffene des Übergriffs, die sich
trotz allem in der Erzählung wiedererkannt hat, möchte nicht, dass Moritz
den Übergriff literarisch verarbeitet. Sie erzählt der taz, dass sie ihm
noch in der Planungsphase des Textes geschrieben habe: „Du kannst keinen
Profit aus deiner Täterschaft machen und mich zusätzlich auch noch
belasten.“ Es ginge ihr dabei nicht nur um den finanziellen Vorteil,
sondern auch um die Anerkennung, die er sich durch die Täterschaft
erschreiben möchte.
## Das Bedürfnis der Betroffenen hintangestellt
Moritz informierte laut Statement des Verlags den Verlag über den Wunsch
der Betroffenen. Doch sie übergingen mit der Veröffentlichung seines Textes
diesen Wunsch. Daraufhin machte die Betroffene ihrer Wut öffentlich Luft
und [4][rief bei Instagram zum Boykott auf]. Auf Nachfrage der taz
argumentierte Moritz, dass es sich um einen literarischen Text handele, in
dem die Privatsphäre „möglicher Betroffener durchgehend gewahrt bleibt“.
Die Betroffene schüttelt derweil über sein Handeln nur den Kopf. „Wie kann
er denn Vorbild sein, wenn er sich nicht mit der Kritik auseinandersetzt?“
Denn Moritz stelle „sein Anliegen, dass er als Vorbild dasteht, über mein
Anliegen, den Übergriff nicht zu thematisieren“.
Die zweite Herausgeber*in, Donat Blum, sprang Moritz derweil zur Seite:
Anstatt sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, verteidigte Blum bei
Instagram dessen Verhalten.
## Warum nicht von Anfang an kritisch auseinandersetzen?
Auch Jahre nach dem Aufkommen von #MeToo und einer weitgehenden
Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und
kritischer Männlichkeit scheint ein Mann, der sich über den Wunsch einer
Betroffenen hinwegsetzt, noch immer der beste Kassenschlager zu sein.
Letztlich reproduzieren die Herausgeber*innen des Buchs genau die
Männlichkeit, mit der sie sich doch eigentlich kritisch auseinandersetzen
wollen.
Wäre dem Verlag und den Herausgeber*innen wirklich etwas an
Aufklärungsarbeit gelegen, hätten sie sich von Anfang an mit den Wünschen
und Forderungen der Betroffenen auseinandersetzen müssen. Denn für eine
gerechtere Gesellschaft sorgen wir erst, wenn wir ihnen zur Seite stehen
und sie nicht mundtot machen.
Die Absage des Literaturhauses Rostock zeigt nun Wirkungen. Die [5][meisten
Mitautor*innen distanzieren sich von Moritz] – jedoch nicht alle.
Buchpreis-Gewinner*in Kim de l’Horizon etwa schweigt, Stand Sonntag. Der
Verlag und der Autor haben sich öffentlich geäußert und [6][versuchen sich
zu entschuldigen.] Moritz kündigt an, sich aus allen geplanten Lesungen
zurückzuziehen. Als Konsequenz stoppt der Verlag die Auslieferung des
Buches und will in allen Nachauflagen Moritz’ Kapitel rausnehmen.
Ärgerlich, dass er für diese Erkenntnis erst die öffentliche Kritik
brauchte, denn der Schaden bei der Betroffenen ist bereits angerichtet.
20 Aug 2023
## LINKS
[1] /Rammstein-Konzert-trotz-MeToo-Vorwuerfen/!5939587
[2] /Til-Schweiger/!t5020189
[3] /Oh-Boy-Anthologie-ueber-Maennlichkeit/!5944189
[4] https://www.instagram.com/p/CwCbTQLs9kg/
[5] https://www.instagram.com/p/CwGKr6fIIjF/?img_index=1
[6] https://www.instagram.com/p/CwF7zBLtfsg/
## AUTOREN
Shoko Bethke
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Männlichkeit
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