# taz.de -- Junge Autorin Elodie Arpa über Freiheit: Wie Milch auf der Tischpl… | |
> Die Essayreihe „übermorgen“ widmet sich Begriffen und Moden der | |
> Gegenwart. Elodie Arpas „Freiheit“ fällt dabei gleichermaßen zu kurz und | |
> zu lang aus. | |
Bild: Lässt sich in Einkaufstüten tragen, die „verdinglichte Freiheit“ … | |
Der sympathische Verlag Kremayr & Scheriau aus Wien hat im vergangenen Jahr | |
eine kleine Reihe ins Leben gerufen: „übermorgen“ enthält Essays zu | |
Begriffen, Moden und Launen der Gegenwart. [1][Psychiaterin Heidi Kastner] | |
hat knackig über „Dummheit“ nachgedacht, aus [2][Marlene Engelhorns] | |
Gedanken zu „Geld“ ist eine ganze Vortragsreihe über Verhältnisse rund ums | |
Erben geworden. Dem flächigsten, weitgehendsten Prinzip widmet sich jetzt | |
ein knapper Text, Elodie Arpa schreibt darin über „Freiheit“. Es ist, so | |
viel vorneweg, ein Buch, das gleichzeitig zu lang und zu kurz ist. | |
Zu kurz, weil Freiheit immer ein schillernder Gegenbegriff zum nicht minder | |
schillernden Prinzip von Herrschaft war. Da fand Epikur in der | |
Sklavenhaltergesellschaft der Antike, dass man unter diesen Zwängen mit | |
Selbstgenügsamkeit und Hinwendung zur Lust Freiheit finden könnte. Der | |
ständisch gebundenen Unfreiheit des Mittelalters widersprach ein | |
naturrechtlicher Freiheitsbegriff, der christlich eingeengt wurde. | |
Der Aufbruch des Industriezeitalters ließ ständische und stehende Bande | |
verdampfen, förderte einen Individualitätsbegriff, klammerte Menschen aber | |
ans Joch der Maschine. Als Karl Marx den absoluten Geist von Hegel | |
kleingekocht und ihn zum Selbstbewusstsein des Menschen gemacht hatte, | |
stand die Erkenntnis im Raum, dass der Mensch nicht nur im negativen Sinn | |
frei von Natur sei, sondern auch im positiven: Er ist frei, sich selbst zu | |
realisieren. | |
Im [3][Zeitalter der Singularitäten], aus dem heraus Arpa auf die Dinge | |
schaut, sind wir angehalten zu glauben, dass sich dieses Realisieren vor | |
allem in Kaufentscheidungen zeigt. Der Konsument löst den Bürger als | |
politischen Souverän ab, schon bei der Androhung von Einschränkung und | |
Verbot wird er schnell gnatzig, pocht auf „verdinglichte Freiheit“. Die | |
beanspruchen gar nicht seltene Sozialfiguren des libertären Autoritarismus, | |
attestieren [4][Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrer fabelhaften | |
Untersuchung] über „Gekränkte Freiheit“, als unbedingten Wert nämlich, �… | |
sie nicht in sozialen Beziehungen mit anderen abgleichen oder gar | |
einschränken wollen. Sie begreifen sie als ihr alleiniges Recht, über das | |
nur sie verfügen.“ | |
## Muss man dann beim Telekolleg rauskommen? | |
Zu lang ist Elodie Arpas Essay, wenn man fragt, was er zu all dem beiträgt. | |
Nämlich nicht sehr viel. Auch das niedrigere Abstraktionsniveau eines | |
Essays gegenüber wissenschaftlich grundierten Studien bedeutet nicht | |
automatisch, dass man beim Telekolleg rauskommen muss. | |
Dort landet Arpa leider häufiger. Nach etwas unsicherer Begriffsklärung, | |
Freiheit diene „als Projektionsfläche für unsere größten Wünsche, tiefst… | |
Sehnsüchte und dringendsten Erwartungen“, stehe ungeschützt, werde ständig | |
ausgehöhlt und missbräuchlich verwendet, pendelt sie sich ein auf Freiheit | |
als „eine Idee, ein Grundrecht und ein subjektives Empfinden“. | |
Das leuchtet der Aufsatz dann allerdings nicht aus. Ihm mangelt es | |
überhaupt an Struktur. Sprachlich spannt er die Amplitude weit auf zwischen | |
elaborierten Termini („subjektives Empfinden“), kuriosen Einsprengseln, mit | |
denen Arpa noch etwas kommentieren möchte (Kant etwa, der „typisch Kant!“ | |
etwas komplizierter schrieb) und sprachlichen Unfällen wie „das macht | |
Sinn“. | |
Auch ein Liter Milch, der sich über einer Tischplatte ergießt, kann | |
interessant sein: Man muss einfach der zufälligen Wegführung folgen. Dabei | |
stellt sich heraus, dass die 1999 in Brüssel geborene Autorin den Begriff | |
von Freiheit daran überprüft, wie er sich zu Dingen verhält, die sie | |
hineinwirft. Da sind mittelgroße Barrieren, die den Fluss einengen – sie | |
referiert von [5][Philipp Lepenies’ Untersuchung zu „Verbot und Verzicht“] | |
und schwenkt über zu Alltagskultur gewordenem Neoliberalismus, gegen den | |
Politik nicht anstinken möchte. | |
Da ist die Erkenntnis, dass es einen Unterschied zwischen rechtlicher und | |
tatsächlich in Anspruch nehmbarer Freiheit gibt: Frauen sind längst nicht | |
im gleichen Maße sicher, können nicht von körperlicher Unversehrtheit | |
ausgehen. Oder, andere Klaviatur und ziemlicher Brocken: Essenzielle | |
Lebensbereiche wie Arbeit, Wohnen, Gesundheit sind von harscher | |
Ungleichheit durchzogen. Einige kleinere Brösel: „Selbsternannte | |
Intellektuelle“, zum Beispiel, sammelt Elodie Arpa unter dem Begriff „alte | |
weiße Männer“ und widmet ihnen viel Raum. | |
## Apodiktische Sätze | |
Und es gibt grundsätzliche Dinge, die der Essay noch einmal klären will: | |
„Wir leben im Patriarchat, in einer kolonialistisch-rassistisch geprägten, | |
klassistischen und ableistischen Gesellschaft, in der Heteronormativität | |
gepriesen und jede Abweichung vom ‚Ideal‘ mit Diskriminierung gestraft | |
wird. Das zu wissen, zu verstehen und abzulehnen ist die Basis von | |
Freiheit.“ Die Apodiktik solcher Sätze strahlt eine ganz eigenen | |
K-Gruppen-Charme aus. Sie könnten, als Ganzes oder in ihren schwergängigen | |
Teilen, Ausgang für eigene, jeweils längere Essays sein. Vielleicht sogar | |
erfrischend, empörend oder elegant daherkommen. Bei Elodie Arpa wirken sie | |
wie Trümmer. | |
3 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lennart Laberenz | |
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