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# taz.de -- Bundesjugendspiele gehören abgeschafft: Ein traumatisches Ereignis
> Seit 1979 müssen Kinder zeigen, wie gut oder schlecht sie rennen, werfen
> und springen können. Dass das jetzt etwas lockerer werden soll, hilft
> nichts.
Bild: Irgendjemand ist immer der oder die Langsamste
Die Bundesjugendspiele, diese Event gewordene [1][Demütigung aller,] deren
Körper nicht für Leichtathletik, Geräteturnen und Schwimmen geboren wurden,
sollen – nein, nicht abgeschafft, sondern ab dem kommenden Jahr etwas
anders werden. Dann treten Grundschulkinder nicht mehr zum „Wettkampf“
gegeneinander an, [2][sondern nur noch zum „Wettbewerb“]. Ab der 5. Klasse
können die Schulen dann zwischen den zwei Formen wählen.
Der Wettbewerb sei seit 2001 für Erst- und Zweitklässler:innen
vorgeschrieben, viele Schulen hätten sich nur nicht daran gehalten, erklärt
eine Mitarbeiterin der Deutschen Sportjugend im Olympischen Sportbund, der
dem Ausschuss für die Bundesjugendspiele angehört.
Den Unterschied erklärt die Mitarbeiterin so: Beim Wettbewerb wird nicht
das einzelne Ergebnis gemessen, sondern – am Beispiel Weitsprung – in
welchem vorher fest gelegten Bereich ein Kind gelandet ist. Das wird dann
aber auch in Punkte umgerechnet.
Am Grundsatz ändert sich damit wenig, denn es geht weiter darum
herauszufinden, wie „gut“ ein Kind ist. Daran wäre wenig auszusetzen, wenn
das nicht damit einhergehen würde, dass einigen schwarz auf weiß
bescheinigt würde, wie „schlecht“ sie sind.
## Schwarze Pädagogik
Sie gehören zu den letzten 30 Prozent, die schlechter als alle anderen
Kinder ihrer Altersgruppe abschneiden und deshalb nur eine Teilnahmeurkunde
bekommen, während die anderen eine Sieger- oder Ehrenurkunde mit nach Hause
nehmen. Letztere ziert auch heute noch die Unterschrift des
Bundespräsidenten, und das seit 1979, als die Schulen verpflichtet wurden,
jährlich Bundesjugendspiele durchzuführen.
Wetten, ich bin nicht die einzige, die gedacht hat, diese Sonderform
schwarzer Pädagogik, [3][von den Nazis als Reichsjugendwettkämpfe
erfunden], sei längst abgeschafft? War sie nicht schon in derselben
Mottenkiste verschwunden wie die Bundeswehrsoldaten, die in den 80er-Jahren
nach Ende ihrer Dienstzeit Sportlehrer wurden und ihre Schüler:innen mit
den Methoden drillten, die sie in der Kaserne gelernt hatten?
Aber nein, Kinder und Jugendliche werden dem nach wie vor ausgesetzt,
dieser Tage an Schulen im ganzen Land. Solche Kinder, wie ich eins war (als
hätten Sie nicht längst geraten, warum ich mich so echauffiere) und all
ihre Mitschüler:innen erleben dann, wie sie gerade einmal in Zone 1 der
Sandkiste landen, beim Rennen nach Greta, Hanna und Martha ins Ziel kommen
und ihnen der Ball aus der Hand plumpst – hinterm Rücken.
Um nicht an weitere Traumata zu rühren – den Begriff halte ich hier
ausnahmsweise für nicht übertrieben – erspare ich Ihnen Ausführungen zu
Reck, Pferd und Barren. Ich sage nur zwei Worte: Sack, nass.
## Höher! Schneller! Weiter!
Als das jüngere meiner Kinder jetzt da durch musste (zum Glück ohne so zu
leiden wie ich damals), habe ich das nicht gewusst, weil die Schulen die
Bundesjugendspiele heutzutage beschönigend „Sportfest“ nennen. Immerhin
stand auch Gummistiefelweitwurf und Sackhüpfen auf der Tagesordnung. Nur
werden da keine Ergebnisse eingetragen, sie kaschieren bloß den
Gesamtcharakter der Veranstaltung.
Dabei gewinnen [4][bei den Randsportarten] nicht selten die Kinder, die
sonst immer als Letztes ins Ziel kommen, weil sie sich langsamer und
bedächtiger bewegen und nicht vor lauter Ehrgeiz und Bewegungsdrang im
Hüpfsack über ihre eigenen Füße stolpern. Nur Letzteres gilt als
„sportlich“. Ob jemand gerne auf einen Baum klettert, im Wasser planscht,
sich zu Musik bewegt, alleine oder mit anderen: Das spielt keine Rolle, wir
sind hier schließlich im Kapitalismus. Höher! Schneller! Weiter!
Ganz schlaue Leute wenden ein, die Bundesjugendspiele seien gut für
diejenigen, die in allen anderen Fächern mit schlechten Noten gedemütigt
werden. Als würde die [5][Unterschrift des Bundespräsidenten] diese
Verletzungen ausradieren! Und als wären Zahlen und Vergleiche in
irgendeiner Weise geeignet, Menschen für etwas zu begeistern.
24 Jun 2023
## LINKS
[1] /Kolumne-Heult-doch/!5717241
[2] https://www.bundesjugendspiele.de/aktuelles/
[3] https://www.deutschlandfunk.de/sportabzeichen-und-heldentod-100.html
[4] /Randsportart-fuer-Zauberer/!5457657
[5] /Deutsch-polnisches-Schulbuch/!5933450
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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Kolumne Der rote Faden
Bundespräsident
Heult doch!
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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