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# taz.de -- Lenin-Statue in Berlin: Bloß nicht den Kopf verlieren
> Nach der Wiedervereinigung wurde in Berlin die Lenin-Statue abmontiert.
> 24 Jahre lag der tonnenschwere Kopf am Stadtrand – und wurde fast
> vergessen.
Bild: Da war es geschehen: Nach dem Abriss des Lenindenkmals in Berlin-Friedric…
Berlin taz | Wer das [1][Proviantmagazin der Zitadelle in Berlin-Spandau]
besucht, kann ihn nur schwer übersehen: Auf der rechten Seite liegend, so
als ob er schlafen würde, liegt der steinerne Kopf Lenins zwischen fertigen
und unfertigen Statuen und Symbolen des Deutschen Kaiserreichs, der
Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der DDR. Doch wie kommt
Wladimir Iljitsch Lenin, dessen Todestag sich 2024 zum 100. Mal jährt,
überhaupt in den Westen? Und was hätte er dazu gesagt, dass sein Kopf nun
beim „Klassenfeind“ liegt?
Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, wurden in vielen Ländern
des ehemaligen Warschauer Paktes aus Protest die letzten verbliebenen
Statuen des Gründers der Sowjetunion [2][entfernt]. Fast vergessen ist,
dass in Berlin einst die größte Lenin-Statue der DDR stand. Wer am heutigen
Platz der Vereinten Nationen nach Spuren sucht, findet keine Hinweise mehr
darauf, dass dort, wo heute ein unscheinbarer Brunnen aus Granitblöcken
steht und der Großstadtverkehr über eine vielbefahrene Kreuzung
vorbeirauscht, bis kurz nach der Wiedervereinigung eine 19 Meter hohe
Statue des Sowjetführers das Stadtbild dominierte.
Am 19. April 1970, zu Lenins 100. Geburtstag, wird die Statue und die
dahinterliegenden Wohnhäuser feierlich durch Staatschef Walter Ulbricht
[3][eingeweiht]. 200.000 Berliner:innen sowie Gäste aus der DDR und dem
sozialistischen Ausland sind anwesend.
Es ist nicht die einzige Statue Lenins, die anlässlich des wichtigen
Jubiläums in der DDR enthüllt wird, aber es ist eine Enthüllung mit
Prestigecharakter – nicht nur, weil Lenin die ideologische Ausrichtung des
Landes, den Marxismus-Leninismus, repräsentiert, sondern auch weil die
Statue ein Symbol für die deutsch-sowjetische Freundschaft ist.
## Mit sozialistischem Pathos
Das Standbild ist der krönende Abschluss eines größeren städtebaulichen
Konzepts, das 1965 mit dem Bau des Fernsehturms begonnen hat und sich in
den folgenden Jahren vom Alexanderplatz über die Fischerinsel bis hinein
nach Friedrichshain erstreckt.
Im Archiv des Filmmuseums Potsdam lagern mehrere Amateurfilme über diese
architektonische Neugestaltung Ost-Berlins durch das Wohnungsbaukombinat
Berlin – damals das größte der DDR. Neben bis vor Kurzem unbekannten
Aufnahmen, die die Arbeiten am Kopf der Lenin-Statue und den Bildhauer
Nikolai Wassiljewitsch Tomski bei der Begutachtung der Statue zeigen,
dokumentieren Filme der Amateurfilmgruppe des Wohnungsbaukombinats die
verschiedenen Phasen der Bauarbeiten.
Einer davon ist der 16-mm-Film „[4][Leninplatz und der sozialistische
Wettbewerb]“ von 1970. In Schwarz-Weiß-Bildern und mit sozialistischem
Pathos präsentiert er die Arbeiten am Prestigeprojekt Leninplatz. Er zeigt
die Grundsteinlegung durch Ulbricht am 7. November 1968, deutsche und
sowjetische Bauarbeiterbrigaden, die zusammen gegen Wind und Wetter um den
Titel „Kollektiv der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ ringen, und
Arbeiter:innen aus anderen Betrieben, die, ermutigt durch die
Strahlkraft des Bauvorhabens, den Kolleg:innen in Berlin aus allen
Teilen der Republik zu Hilfe eilen.
## Good Bye, Lenin!
Sogar junge Pionier:innen und freiwillige Helfer:innen aus Berlin und
sozialistischen Bruderstaaten helfen mit ihrem Subbotnik, ihrem
„freiwilligen“ Arbeitseinsatz, dass die Statue pünktlich fertig wird. Die
Zeitung Neues Deutschland berichtet neun Tage vor der Einweihung in einem
großen Artikel von den nächtlichen Bauarbeiten und das Staatsfernsehen
bringt mit seiner Dokumentation „Kennen Sie Kurt B …?„ ein Porträt über
Kurt Bromberg, den Chefbrigadier der Bauarbeiter am Leninplatz.
Nach der Fertigstellung dominiert die Statue aus dunklem Sandstein lange
das Stadtbild Ost-Berlins und wird in den folgenden Jahren zu einer
Pilgerstätte für die zahlreichen politischen Gruppen in der DDR, die
anlässlich des Geburtstags Lenins jedes Jahr Blumen zu seinen Füßen
niederlegen. Im Jahr ihrer Einweihung ziert das Bild der Statue sogar eine
70-Pfennig-Briefmarke der DDR.
Trotz dieses Ruhmes beginnt mit dem Ende der DDR auch das Ende der Statue.
In dem Film „[5][Good Bye, Lenin!]“ von 2003 schwebt die halbe Lenin-Statue
virtuell durch Berlin, doch tatsächlich sind ihre Stunden bereits viel
früher, kurz nach der Wiedervereinigung, gezählt.
## Ein Relikt aus vergangener Ära
Am Morgen des 8. November 1991, die DDR ist seit etwas mehr als einem Jahr
Geschichte und die Lenin-Statue wird zunehmend als Relikt einer vergangenen
Ära betrachtet, thront der 19 Meter hohe Lenin ein letztes Mal auf seinem
26 Meter breiten Sockel aus rotem Granit.
Wenige Wochen zuvor hat die Bezirksverordnetenversammlung
Berlin-Friedrichshain mit 40 zu 33 Stimmen dem Antrag von CDU und SPD
zugestimmt, das Denkmal zu demontieren und den Leninplatz umzubenennen. Und
das, obwohl die Statue seit 1979 auf der Denkmalliste der DDR und seit 1990
auf der Gesamtberliner Denkmalliste steht und viele Bürger:innen und
Fachleute sich für den Erhalt der Statue ausgesprochen haben.
Anders als für seinen Genossen Ernst Thälmann, der bis heute im
benachbarten Bezirk Prenzlauer Berg an der Greifswalder Straße seine
geballte Faust gen Himmel strecken darf, ist damit das Schicksal des
Friedrichshainer Lenins besiegelt. Die Statue wird in 129 Teile zerteilt
und auch die zahlreichen Protestaktionen können nicht verhindern, dass am
13. November der 3,5 Tonnen schwere Kopf des Sowjetführers in einer fast
schon demonstrativen Aktion abmontiert wird.
## Bewahren, aber irgendwie auch vergessen
Wie schon der echte Lenin wird der Berliner Lenin im Anschluss ins Exil
geschickt, von der Mitte der Stadt an den südöstlichen Rand, wo der Kopf,
die restlichen Teile der Statue und damit ein Kapitel ostdeutscher
Geschichte im Köpenicker Forst vergraben werden, um in Vergessenheit zu
geraten.
Doch Lenin ist nicht vergessen. Im Jahr 1996 macht sich die Hauptfigur in
Rick Minnichs Kurzfilm „[6][The Book of Lenin]“ auf die Suche nach den
letzten verbliebenen Lenin-Statuen im ehemaligen Ostblock, darunter auch
den Berliner Lenin, dessen Existenz auf viele wie eine Art Mythos wirkt.
Nach einiger Suche finden er und seine Mitstreiter:innen den Standort
des Kopfes und graben ihn mit einfachen Schaufeln und Spitzhacken aus.
Es dauert noch fast zehn Jahre, bis der Kopf Lenins eine neue Heimat
findet. Erst im Jahr 2015 wird er [7][geborgen und auf eine weitere, letzte
Reise geschickt]. Ein Lastwagen bringt ihn von seinem Versteck durch den
Stadtverkehr vom Köpenicker Forst ans andere, westliche Ende der Stadt,
nach Spandau.
Dort liegt er nun in der kulturhistorischen Dauerausstellung „Enthüllt.
Berlin und seine Denkmäler“, neben Männern in germanischen Rüstungen,
ehemaligen preußischen Generälen und Kaisern sowie den überlebensgroßen
Pferden von Josef Thorak, die für Hitlers Reichskanzlei gedacht waren –
kurz, neben all den Statuen und Objekten, die die ideologische Ausrichtung
vergangener Regime verkörpern und aus historischer Sicht zwar bewahrt, aber
irgendwie auch vergessen werden sollten.
## Radikales Vergessenwollen
Der schnelle Abriss der Lenin-Statue kurz nach der Wiedervereinigung ist
ein symbolischer Akt, der das Ende einer politischen, ideologischen und
historischen Ära markiert. Zugleich steht das Vergraben und Abschieben der
Statue für ein radikales Vergessen und Nicht-auseinandersetzen-Wollen mit
der eigenen deutsch-deutschen Vergangenheit.
Dass der Kopf in Spandau immer noch schlafend auf der Seite liegt, so wie
sie ihn gefunden haben, und der Rest von Lenin noch im Wald schlummert,
zeigt aber auch, dass man die Geister der Vergangenheit nicht zu sehr
beschwören will. Gefallene Denkmäler wieder aufzurichten, ginge vielleicht
doch zu weit.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Kopf Lenins am Ende im
Westen gelandet ist und nun zu den zentralen und vor allem bekanntesten
Stücken in Spandau gehört – auf der Website der Zitadelle kann er sogar als
[8][3-D-Modell] bewundert werden.
24 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.zitadelle-berlin.de/zitadelle-info/gelandeplan/proviantmagazin/
[2] https://www.dw.com/de/litauen-st%C3%BCrzt-letzte-sowjetische-denkm%C3%A4ler…
[3] https://www.rbb-online.de/berlin-schicksalsjahre/themen/1970/sozialistische…
[4] https://brandenburg.museum-digital.de/object/3134
[5] https://www.youtube.com/watch?v=bznjeEx98uM
[6] https://thebookoflenins.vhx.tv/
[7] /Ausgebuddeltes-Denkmal-in-Berlin/!5229071
[8] https://sketchfab.com/3d-models/kopf-des-lenin-denkmals-9003d1201c584a1cb45…
## AUTOREN
Dennis Basaldella
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