# taz.de -- Ausgebuddeltes Denkmal in Berlin: Hello, Lenin! | |
> Fast ein Vierteljahrhundert war er unter dem Waldboden vergraben. Am | |
> Donnerstag ist der Kopf der Lenin-Statue nun auferstanden. | |
Bild: Am 10. September 2015 wird Lenins Kopf ausgegraben und geborgen. | |
Endlich, Lenin liegt. Eine Viertelstunde lang haben die Arbeiter den | |
Teleskoparm des überdimensionalen Gabelstaplers ausgerichtet, um den | |
steinernen Kopf des Revolutionärs von der Ladefläche des Lkw zu heben, dann | |
spannen sich die Gurte, und der 4-Tonnen-Brocken schwebt langsam zu Boden. | |
Leise ächzen die Euro-Paletten, als das Haupt auf sie niedersinkt. | |
An die hundert Journalisten, Fotografen, Kameraleute haben sich am | |
Donnerstag im Halbkreis um Wladimir Iljitsch Uljanow aufgebaut, fast | |
ehrfurchtsvoll halten sie Abstand, während Gerhard Hanke, Kulturstadtrat | |
des Berliner Bezirks Spandau, stolz wie ein Großwildjäger daneben posiert. | |
Nein, dass der, der da liegt, ein großer Mann gewesen sei, das wolle er | |
nicht sagen, verkündet er, aber eine große Figur, das sei er auf jeden | |
Fall. Man weiß nicht recht, ob Hanke das im übertragenen oder im Wortsinn | |
meint, jedenfalls reicht Lenins später Ruhm, um auch auf ihn, den | |
CDU-Bezirkspolitiker, ein wenig Licht zu werfen. | |
Dass der Koloss fast ein Vierteljahrhundert unter Waldboden zugebracht hat, | |
sieht man ihm nicht an. Im linken Nasenloch, das jetzt, wo der Kopf auf der | |
Seite liegt, nach oben zeigt, klebt noch etwas Sand, und ein Stück der | |
Ohrmuschel fehlt. Der Rest aber ist völlig intakt, die Nase, der markante | |
Kinnbart, der sich den Fotografen entgegenstreckt. „Den haben wir nicht | |
gereinigt“, sagt ein Mann von der Bergungsfirma, da sind wir bloß einmal | |
mit dem Besen drüber.“ 25 Jahre, für ukrainischen Granit ein Wimpernschlag. | |
Die Sonne strahlt über Lenins neuem Zuhause. Ein irgendwie ganz | |
unberlinerisches Idyll ist die Spandauer Zitadelle, eine Renaissancefestung | |
an der Havel, umgeben von seerosenbewachsenen Wassergräben, mit gewaltigen | |
Mauern aus Feldsteinen und roten Ziegeln. Hier ist Lenin ab dem kommenden | |
Frühjahr Teil einer Dauerausstellung, die „verschwundene“ Berliner | |
Denkmäler präsentiert – von den Preußenkönigen bis zur Wende. | |
## Der Köpenicker Forst | |
Der Kontrast zum ursprünglichen Standort des großen Russen könnte kaum | |
größer sein: Von 1970 bis 1991 stand er im Ostberliner Bezirk | |
Friedrichshain auf einem nach ihm benannten Platz, 19 Meter hoch, im Rücken | |
ein Gebirge aus Plattenbauten. Der Lenin vom Leninplatz war das | |
monumentalste aller Ostberliner Monumente, er sollte dem Begründer der | |
UdSSR einen unverrückbaren Ort in der Hauptstadt der DDR geben und die | |
deutsch-sowjetischen Bande stärken: „Freund des deutschen Volkes“ hieß das | |
von Nikolai Tomski geschaffene Denkmal ganz offiziell. Eingeweiht wurde es | |
am 19. April 1970, kurz vor Lenins 100. Geburtstag, durch Walter Ulbricht, | |
vor rund 200.000 Menschen. | |
Dass Lenins „Wiederauferstehung“, wie Stadtrat Hanke es formuliert, im Jahr | |
2015 von einem gewaltigen medialen Interesse begleitet wird, ist auch ein | |
Nachhall des Aufruhrs, den die Schleifung des Denkmals im Herbst 91 mit | |
sich brachte. Vor allem der CDU im schwarz-roten Senat unter Eberhard | |
Diepgen war der kommunistische Gigant ein Ärgernis, sie betrieb erfolgreich | |
seine Streichung von der Denkmalliste und setzte den Abbruch gegen | |
erbitterte Proteste von Teilen der Bevölkerung durch. In den Tagen um den | |
9. November, genau zwei Jahre nach dem Mauerfall, begann die Zerlegung in | |
mehr als hundert Segmente, wobei sich mehrere Firmen fast die Zähne daran | |
ausbissen. | |
Dass man Lenin nicht zu Kies schredderte, sondern bei Nacht und Nebel in | |
einer ehemaligen Sandgrube im Köpenicker Forst vergrub, war ein beredtes | |
Zeichen für die Ratlosigkeit, wie das Land, das da zusammenwachsen sollte, | |
mit seiner jüngsten Geschichte umgehen sollte – ein Kapitel, das wohl immer | |
noch nicht abgeschlossen ist, auch wenn heute niemand mehr einen haushohen | |
Helden der Arbeiterklasse aufstellen würde. Dem ehemaligen Leninplatz, | |
heute „Platz der Vereinten Nationen“, ist jedenfalls jegliches Pathos | |
abhandengekommen. Das später errichtete Brunnen-Ensemble aus Natursteinen | |
passt ästhetisch eher auf den Vorplatz einer Kreissparkasse. | |
## Die Zauneidechsen | |
Auch der heutige rot-schwarze Senat hat offensichtlich noch Probleme mit | |
der nicht ganz vergangenen Vergangenheit. Es hat lange gedauert, bis Andrea | |
Theißen, Leiterin des Spandauer Kulturamts und der künftigen | |
Denkmal-Ausstellung, die Genehmigung zur Grabung bekam. Erst hieß es, der | |
genaue Ort sei nicht bekannt – was nicht stimmte –, dann galt es, die | |
Zauneidechsen-Population auf dem Lenin-Hügel zu schützen. Alles in allem | |
kostete die Bergung 72.000 Euro, sagt Theißen am Donnerstag. Sie nimmt es | |
inzwischen mit Humor, dass Lenin das gesamte Interesse an ihrem | |
Museumskonzept auf sich zieht. „Ein bisschen befremdlich ist es schon“, | |
sagt sie, „aber es ist eben das symbolträchtigste Stück, wenn es uns darum | |
geht, den Umgang mit politischen Denkmälern zu zeigen.“ | |
Für die 28 Skulpturen der „Siegesallee“, die Wilhelm II. um das Jahr 1900 | |
im Großen Tiergarten aufstellen ließ, interessiert sich am Donnerstag kaum | |
jemand. Sie stehen in Planen gehüllt hinter einem Bauzaun und warten auf | |
die Fertigstellung der Ausstellungsräume. Das Skulpturenensemble, das | |
märkische Herrscher verschiedener Epochen darstellt und von den Berlinern | |
seinerzeit als „die Puppen“ verspottet wurde, bildet den größten Teil der | |
Sammlung. | |
Hinzu kommen Gefallenen-Mahnmale der Weimarer Republik, ein „Zehnkämpfer“ | |
von Arno Breker, der nach 1945 lange die Alexander Baracks der britischen | |
Alliierten in Spandau zierte, und die nach der Wende entfernten Stelen des | |
1986 enthüllten Thälmann-Denkmals in Prenzlauer Berg. Im Gegensatz zu Lenin | |
reckt Thälmann heute noch, graffitibeschmiert, die Faust in die Höhe. Die | |
Stelen mussten weichen, weil auf ihnen nicht nur Zitate des einstigen | |
KPD-Vorsitzenden, sondern auch Erich Honeckers prangten. | |
Im Frühjahr wird es so weit sein: Dann eröffnet die Ausstellung „Enthüllt. | |
Berlin und seine Denkmäler“ auf der Spandauer Zitadelle, und wer Lenin | |
damals eine Träne nachgeweint hat, kann ihm nun so nah sein wie nie zuvor: | |
Das barrierefreie Konzept richtet sich auch an Blinde und Sehbehinderte, | |
und wer will, darf Lenin beherzt in den Kinnbart fassen. | |
10 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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