# taz.de -- Ausstellung über die Wendezeit: Datsche gerettet, Arbeit verloren | |
> Mit „Helden im Wilden Osten“ würdigt die Böll-Stiftung die Umbruchzeit | |
> der neunziger Jahre in der Ex-DDR. | |
Bild: Hurra, es gibt Rabatte: Laden zu Wendezeiten. | |
„Seine Waschkraft macht ihn so ergiebig“, verkündet ein Werbeplakat auf | |
einer heruntergekommenen Häuserfassade. Direkt über der Waschmittel-Lyrik | |
prangt eine riesige, aber bereits sichtbar verblichene | |
DDR-Durchhalteparole: „Der Sieg des Sozialismus ist der Triumph des | |
Friedens“. | |
Das kleine Schwarzweißfoto aus den neunziger Jahren fasst perfekt die | |
Brüche der Nachwendezeit zusammen, als die Botschaften des Kapitalismus die | |
des DDR-Sozialismus zu übertönen begannen. | |
„Viel Geld zu gewinnen!“, „Schöner Wohnen“ hieß es plötzlich dort, w… | |
eben Warenknappheit und Mangelwirtschaft geherrscht hatten. Die | |
Fotozeugnisse, die solche kleinen Alltagsszenen bezeugen, sind Teil einer | |
kleinen Wanderausstellung, mit der die Böll-Stiftung dem „Wilden Osten“ der | |
neunziger Jahre nachspürt. | |
Aufgeteilt in sechs Themenkomplexe nähert sich die von der Agentur | |
„zeitläufer“ konzipierte Schau zwölf ProtagonistInnen der damaligen Zeit | |
und wirft die Frage auf, wie vorbildhaft deren Handeln war. | |
## Wilde Zeiten | |
„Helden im wilden Osten“ – mit diesem platten Titel hat sich die | |
Ausstellung keinen Gefallen getan. Denn diejenigen, die selbst dabei waren | |
in den „wilden“ Zeiten und in kurzen Tondokumenten zu Wort kommen, weisen | |
das Heldentum entschieden zurück. Ulrike Poppe vom Zentralen Runden Tisch | |
in Berlin etwa sagt, sie habe sich eben engagiert – eigentlich normal für | |
eine Demokratie. | |
Und Klaus-Jürgen Warnick, Länderbeauftragter des Deutschen Mieterbunds in | |
Brandenburg, der in den Neunzigern Proteste gegen die massenhafte | |
Rückübertragung von Grundstücken in Kleinmachnow organisierte, sagt | |
schlicht: „Ich verstehe diejenigen nicht, die anders handeln, als ich es | |
getan habe.“ | |
Eine Grafik zeigt, dass damals fast 60 Prozent der Grundstücke in der | |
Berliner Randgemeinde von Rückübertragungsansprüchen belegt waren. Warnick | |
und seine Mitstreiter organisierten Proteste vor dem Bundeskanzleramt und | |
retteten am Ende rund Hunderttausend Ex-DDR-Bürgern die Datsche, das Haus | |
oder die Wohnung. Währenddessen wurden allein in Ostberlin mehr als 100 | |
leerstehende Häuser besetzt. | |
Einer der Hausbesetzer, Arne Seidel, erinnert sich an das Gefühl der | |
Unbesiegbarkeit: „Die Stasi und die SED waren weg, die Polizei machtlos. | |
Wir hatten vor nichts mehr Schiss.“ | |
Die Selbstzeugnisse sind ebenso originell wie aufschlussreich. Vieles hatte | |
man so noch nicht gehört, etwa von den Banküberfällen, die eine Zeitlang | |
ostdeutsche Banken erschütterten. Wenn ein ehemaliger Bergarbeiter von | |
seinem Hungerstreik-Protest gegen die Werksschließung erzählt etwa und der | |
darauf folgenden Arbeitslosigkeit. Oder eine Journalistin aus Dresden davon | |
berichtet, wie sie beim Blick in die Stasiakten erfuhr, dass der eigene | |
Ehemann sie bespitzelt und in den Knast gebracht hatte. | |
Der konzeptuelle Überbau um die individuellen Geschichten herum ist | |
allerdings etwas dünn. Die „Helden“ stehen für sechs Themenfelder: Arbeit, | |
Politik, Kriminalität, Konsum, Eigentum, Beziehungen. Die | |
zusammengetragenen Fakten dazu passen auf drei Themenwürfel, die sich die | |
BesucherInnen selbst zusammensetzen sollen. Grafiken zur Entwicklung der | |
Arbeitslosigkeit oder zu rechtsextremistischen Straftaten, Fotos, | |
Abbildungen von Originaldokumenten werden flankiert von kurzen, | |
schulbuchhaften Erklärpassagen: „Westdeutsche Produkte füllen die | |
Verkaufsregale. Die Kundinnen und Kunden müssen sich mit dem neuen Angebot | |
erst vertraut machen.“ | |
„Schon ein bisschen tendenziös“, sagt ein Besucher laut und etwas | |
verärgert. Der Duktus der Texte erinnere ihn fatal an ein Schulbuch aus den | |
fünfziger Jahren, in dem es geheißen habe: „Schnell lernte der Neger, mit | |
Münzen und Papiergeld umzugehen.“ | |
Ob tendenziös oder einfach nur zu schlicht: Geschichte machen wird diese | |
Ausstellung sicher nicht. Die „Helden“ wider Willen aber in ihren Worten | |
von der Zeit des Umbruchs erzählen zu hören lohnt den Besuch. | |
14 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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