# taz.de -- DHM-Ausstellung „Homosexualität_en“: Unter den Linden, in der … | |
> Das Deutsche Historische Museum widmet sich der Geschichte der | |
> Homosexualitäten: eine opulente Materialschau. | |
Bild: Irisch-Aktuelles fehlt in der DHM-Ausstellung. | |
Viele Jahre wurde an diesem Projekt gewerkelt. Die Idee selbst ist schon | |
sehr älteren Datums, nun ist sie realisiert – mit starker finanzieller wie | |
ideeller Hilfe der Kulturstiftung der Länder und der Bundeskulturstiftung. | |
Im Deutschen Historischen Museum, das, ob zu Recht oder nicht, als Haus der | |
bundesdeutschen Repräsentationen anerkannt ist, ist nun die erste | |
Ausstellung zu Schwulem, Lesbischem, Transischem und Transidentem eröffnet | |
worden, der Titel lautet „Homosexualität_en“. | |
Der Anspruch verweist auf die These der Kuratoren Detlef Weitz und Klaus | |
Müller sowie der Kuratorinnen Birgit Bosold, Dorothée Brill, Sarah | |
Bornhorst und Noemi Molitor, dass es eben nicht nur eine Art des Schwul- | |
oder Lesbischseins gibt, sondern so viele wie Menschen, die sexuell | |
gleichgeschlechtlich begehren. Das war ein feiner Plan, der aber dem DHM | |
zunächst nahegebracht werden musste. Denn woher sollte das Material kommen? | |
Alexander Koch, Chef des Hauses am Boulevard Unter den Linden, räumte offen | |
ein, dass seine Institution über entsprechende Vorzeigestücke nicht | |
verfügt. | |
So – und deshalb – begann die Kooperation mit jenem Museum, das weltweit | |
für Berlin als weltoffene, queere Metropole Reklame macht: Was das DHM | |
nicht zu bieten hatte, steuerte das Schwule Museum* bei. Herausgekommen ist | |
nun eine zweiteilige, ausgesprochen prunkvoll inszenierte Schau eben zum | |
Thema: die Geschichte der Homosexualitäten im DHM, die künstlerischen | |
Installationen inklusive utopisch anmutender Ausblicke ins queere Leben von | |
morgen im Schwulen Museum* an der Lützowstraße. | |
Was die Schau nobel und absolut sehenswert macht, ist freilich sie als | |
Ereignis selbst. Auf 1.100 Quadratmetern über zwei Etagen werden in zehn | |
Abschnitten 715 Exponate von 93 LeihgeberInnen präsentiert, 20 Medien- und | |
Hörstationen mit Clips ergänzen das Schauangebot. Das kommt einer Flut von | |
Möglichkeiten gleich. Was das Problem aber war und wahrscheinlich bleibt, | |
ist, dass das DHM eine Ausstellung in seinem Haus präsentiert, deren | |
grundsätzlicher Inhalt – die Wahrnehmungsfähigkeit des Homosexuellen im | |
musealen Mainstream – bislang ignoriert wurde. | |
Birgit Bosold vom Schwulen Museum*, Leiterin des Projekts, wies kühl auf | |
der Pressekonferenz im Zeughauskino darauf hin, dass in der ebenfalls im | |
DHM angesiedelten Ausstellung „Alltags Einheit“ über das Leben in der DDR | |
nach der DDR vollkommen die Debatte über den Paragrafen 175 ausgespart | |
bleibe. Der Naziparagraf war nämlich in der DDR vor der Wende abgeschafft | |
worden, in der Bundesrepublik jedoch nicht. Wäre es nach den Bonner | |
Unterhändlern des Einigungsvertrags gegangen, hätte die kriminalisierende | |
Strafbestimmung in den fünf neuen Ländern wieder eingeführt werden sollen. | |
Was Bosold sagen wollte: Heterosexuelle Ausstellungsmacher übersehen | |
notorisch die politischen und kulturellen Debatten in den queeren Szenen. | |
## Der Stiftungspräsident exotisiert | |
Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, sprach denn | |
DHM-Stiftungspräsident Koch von einer „Nische“, der man sich nun widme. | |
Hätte er dieses gewiss freundlich gemeinte Wort auf Jüdisches oder | |
Deutschtürkisches zur Geltung gebracht, wäre der exotisierende Charakter | |
der Vokabel auf Anhieb bemerkt worden. | |
Aber okay, das ist wenigstens ehrlich. Für Koch – und nicht nur für ihn – | |
ist schwules, lesbisches oder transisches Material nichts, was einfach zur | |
deutschen Geschichte gehört und nun, um dem Mangel aus Ignoranz abzuhelfen, | |
besser ins Licht gehört. Wie leicht hätte er sagen können, politisch | |
korrekt, homosexuel_le Geschichte ist unsere Geschichte. Hat er aber nicht | |
– wobei zu ergänzen bleibt, dass die Frauen von der Kulturstiftung der | |
Länder wie der Bundeskulturstiftung in ihren Ansprachen diese Weise von | |
Distanzierung vom Thema selbst nicht lieferten. | |
Aber was zeigt nun diese Ausstellung im Kern? Was hat sie zu bieten für ein | |
Publikum, das nicht aus Eingeweihten bestehen wird – jedenfalls nicht im | |
DHM –, sondern aus Schulklassen aus allen Ecken der Republik und Europas? | |
Mit „Zielsetzung: Thema in die Mitte der Gesellschaft tragen“ ist ja wohl | |
der Plan umrissen, wenn man schon mal Unter den Linden zeigen kann, was man | |
zu präsentieren hat. Notieren darf man jetzt schon: Die Unterteilung in | |
zehn Kapitel – betitelt etwa mit „Das erste Mal“, „Das zweite Geschlech… | |
„Im rosa Winkel“ – mag einleuchten. Immer dann aber, wenn echte Menschen, | |
also nicht vermittelt über politische Flugblätter, ins Spiel kommen, etwa | |
in dem von Klaus Müller kuratierten Gedenkraum zur NS-Zeit, wird es nahbar, | |
ernst und berührungsfähig. | |
## Wo bleibt die Zuspitzung? | |
Weniger einleuchtend hingegen ist die Darlegung der Geschichte der | |
Schwulen- und Lesbenbewegung, beginnend in den Siebzigern: Man sieht Flyer, | |
Broschüren, Fotografien – aber undeutlich bleibt, weshalb die sehr | |
kleinteilige Historie dieser Bewegungen heutzutage für ein | |
Mainstreampublikum interessant sein muss. | |
Doch es fehlen Zuspitzungen zu Themen, die die (mehrheitlich | |
heterosexuelle) Republik bewegen. Der Frage von Heterosexuellen etwa, wenn | |
sie indifferent Queeres sehen: Muss ich, um ein guter Mensch zu sein, auch | |
so werden? Weshalb wird der Diskursfuror um Aufklärung wie momentan (nicht | |
nur) in Baden-Württemberg zum Schulcurriculum nicht aufgegriffen – und ihre | |
biologistischen Vorgeschichte? | |
Wo sieht man die Erosionen des Bildes der Fünfzigerjahrefamilie mit dem | |
Blick auf neue Familien, die das Homosexuelle integrieren? Woran liegt es, | |
dass es kaum Zeugnisse zu sehen gibt, die sich dem eisigen Kampf im | |
Bundestag um zivilrechtliche Anerkennung homosexueller Paare widmen? Warum | |
also ist mehr Nischenhaftiges präsent, als dem Interesse des Mainstreams | |
guttun könnte? | |
## Und die Provinz? | |
Schließlich verblüfft, dass man sich die Annäherung an den gewöhnlichen | |
Homosexuellen in der Provinz nicht zu trauen scheint. Gab es in | |
Kleinstädten keine schwulen oder lesbischen oder transischen Menschen, die | |
schon in den frühen Siebzigern mutig waren, sich nicht zu verstecken, und | |
ihre Nischen zum Überleben suchten? Provinz ist offenbar ein Nichtort – | |
Berlin und sein Nollendorfviertel scheinen alles zu sein, was an | |
historischer Wahrnehmung gelten darf. | |
Dennoch: Man muss diese Ausstellung gesehen haben. Sie verkörpert eine | |
Momentaufnahme vom Bewusstsein, es in der einst so verhassten bürgerlichen | |
Gesellschaft diskursiv zu einem Bein in der Tür gebracht zu haben. Die | |
Popversion zu dieser Schau muss erst noch, familien- und | |
schulklassentauglich, erdacht werden. Die müsste dann konsequenter dem | |
Lebensmotto des New Yorker Künstlers Ru Paul folgen, das im DHM auf einer | |
Tafel zu sehen ist: „We were born naked. The rest is drag.“ | |
27 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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