# taz.de -- Britisches Gericht kippt Deal: Ruanda ist kein sicherer Drittstaat | |
> Großbritannien darf keine Asylbewerber direkt nach Ruanda ausfliegen, | |
> entscheidet ein Gericht in London. Für Premier Sunak ist das ein Dämpfer. | |
Bild: „Stand Up To Racism“-Aktivisten im Dezember in London | |
BERLIN taz | Großbritanniens Vorhaben, [1][Asylsuchende ohne Anhörung nach | |
Ruanda zu schicken], statt ihre Anträge anzuhören, ist rechtswidrig. Dies | |
urteilte in zweiter Instanz ein Berufungsgericht in London am Donnerstag. | |
Damit ist eines der kontroversesten Vorhaben der regierenden Konservativen | |
vorläufig gestoppt. Aber die Gründe dafür sind sehr eng gefasst: nicht die | |
Verbringung von Flüchtlingen nach Ruanda an sich ist rechtswidrig, sondern | |
es wird lediglich Ruanda der Status als „sicheres Drittland“, in das man | |
Flüchtlinge bedenkenlos bringen darf, abgesprochen. Und dies auch nicht | |
wegen der Menschenrechtslage, wie es zahlreiche Kampagnengruppen geltend | |
gemacht hatten – sondern nur, weil keine Gewissheit bestehe, dass Ruanda | |
Asylsuchende nicht in ihr Herkunftsland weiterschicken werde. „Solange die | |
Defizite in (Ruandas) Asylverfahren nicht korrigiert sind, ist die | |
Verbringung von Asylsuchenden unrechtmäßig“, so das Gericht in der | |
[2][Zusammenfassung seines Urteils]. | |
Im April 2022 hatte die damalige britische Innenministerin Priti Patel | |
angesichts der rapiden Zunahme illegaler Bootsüberquerungen von | |
Schutzsuchenden aus Frankreich über den Ärmelkanal an die englische | |
Südküste mit Ruanda vereinbart, Ankömmlinge direkt ins Flugzeug nach Ruanda | |
setzen zu dürfen. Ihre Asylanträge sollten dann dort entgegengenommen und | |
nach ruandischem Recht behandelt werden. | |
Ruanda nimmt bereits routinemäßig Flüge des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR | |
aus Libyen mit afrikanischen Asylsuchenden auf. Für Großbritannien richtete | |
die ruandische Regierung ein ehemaliges Hotel als | |
Vorzeige-Aufnahmeeinrichtung her und ließ sich die ganze Aktion von London | |
mit 140 Millionen Pfund (165 Millionen Euro) bezahlen. | |
## Vernichtendes Urteil für Ruandas Flüchtlingspolitik | |
Aber kein einziger Flüchtling wurde bisher nach Ruanda gebracht. Der erste | |
geplante Abschiebeflug am 14. Juni 2022 wurde in letzter Minute [3][per | |
Eilantrag vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt]. Daraus | |
entwickelte sich das Gerichtsverfahren in London. | |
[4][In erster Instanz] gab ein Gericht in London im vergangenen Dezember | |
einerseits den zehn klagenden Asylsuchenden in ihren Einzelfällen recht – | |
erklärte aber andererseits den Flüchtlingsdeal mit Ruanda prinzipiell für | |
rechtens. Während die Regierung ihre Niederlage in den Einzelfällen | |
akzeptierte, zogen Flüchtlingsorganisationen gegen den Ruanda-Deal als | |
solchen in die nächste Instanz. | |
Mit der Feststellung, Ruandas Asylverfahren gewähre keinen ausreichenden | |
Schutz vor Abschiebung ins Herkunftsland, hielt die zweite Instanz jetzt | |
nur einen einzigen Klagepunkt aufrecht. Alle anderen Klagepunkte wurden | |
abgewiesen. Insbesondere sei die Ruanda-Politik an sich kein Bruch der | |
UN-Flüchtlingskonvention: Diese hindere prinzipiell keinen Staat daran, | |
Asylsuchende bei der Ankunft in andere sichere Länder zu bringen, statt | |
ihre Asylanträge aufzunehmen. Das Gericht verweist unter anderem auf das | |
Dublin-Verfahren innerhalb der EU, wonach Asylsuchende ins Land ihrer | |
ersten Ankunft innerhalb der EU abgeschoben werden dürfen. | |
Die Feststellung, es gebe für Flüchtlinge in Ruanda keinen sicheren Schutz | |
vor Abschiebung in ihr Herkunftsland, ist allerdings im Detail ziemlich | |
vernichtend. So werden die Erfahrungen des Flüchtlingsdeals zwischen Ruanda | |
und Israel aus dem Jahr 2013, wonach Israel ankommende Asylsuchende ohne | |
Verfahren nach Ruanda schickte und Ruanda dafür Geld bekam, sehr negativ | |
bewertet, etwa indem solche Flüchtlinge gegen ihren Willen weiter nach | |
Uganda gebracht wurden ([5][auch die taz berichtete]). Der bisherige Umgang | |
der ruandischen Justiz mit Asylsuchenden sei mangelhaft. Ruandas | |
Zusicherungen, in Zukunft werde alles besser laufen, seien nicht | |
ausreichend für eine Einstufung als „sicheres Drittland“, so der Tenor des | |
Urteils. | |
## Politisches Problem für den konservativen Premier | |
Für Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak stellt das Urteil einen | |
Dämpfer dar. Seit dem Beginn der illegalen Bootsüberquerungen aus | |
Frankreich im Jahr 2018 haben fast 100.000 Flüchtlinge auf diese Weise die | |
Insel erreicht – [6][45.755 allein im Jahr 2022], mit weiter steigender | |
Tendenz. | |
Der rechte Flügel der Konservativen sieht darin einen Nachweis von | |
Unfähigkeit ihrer eigenen Regierung und fragt sich, wieso die Leute nicht | |
nach Frankreich als sicheres Drittland zurückgebracht werden können – | |
Ruanda galt immer als Plan B, und nun geht nicht einmal das. | |
Auch die gesetzliche Grundlage, die es überhaupt erst ermöglichen würde, | |
eine Aufnahme von Bootsflüchtlingen zu verweigern, steht immer noch nicht. | |
Ein entsprechender Gesetzentwurf hängt derzeit im Oberhaus fest. | |
Anfang des Jahres hatte Sunak das Beenden der illegalen Bootsüberquerungen | |
als eine von fünf Versprechen genannt, die er in seiner verbleibenden | |
Regierungszeit bis zu den 2024 erwarteten Wahlen erfüllen werde. Das wird | |
nun immer unwahrscheinlicher. Für den Premier, der den massiven Rückstand | |
der Konservativen gegen die Labour-Opposition in Umfragen bisher nicht | |
nennenswert verkleinern konnte, dürfte es damit immer schwerer werden, | |
rechte Wähler bei der Stange zu halten. | |
29 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Asyldeal-von-Grossbritannien-und-Ruanda/!5846516 | |
[2] https://www.judiciary.uk/judgments/aaa-v-secretary-of-state-for-the-home-de… | |
[3] /Gestoppte-Abschiebung-nach-Ruanda/!5858193 | |
[4] /Asyldeal-von-Grossbritannien-und-Ruanda/!5903335 | |
[5] /Abschiebepraxis-in-Israel/!5269686 | |
[6] /Flucht-ueber-den-Aermelkanal/!5905883 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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