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# taz.de -- Medien-Affäre Fabian Wolff: Fundiert spekuliert
> Der Publizist Fabian Wolff hat gestanden, kein Jude zu sein. Nun wird
> über Fehler der Medien im Umgang mit diesem Fall diskutiert.
Bild: Wäre gern Jude gewesen: Fabian Wolff
Wer die Debatte um den Publizisten Fabian Wolff verstehen möchte, muss
bereit sein, sehr viel Text zu lesen. Denn wie das so mit Debatten im
Feuilleton ist, kurz hält sich kaum jemand. Ausgangspunkt ist [1][Wolffs
Essay „Nur in Deutschland“], das er im Mai 2021 bei Zeit Online
veröffentlichte. Auf 40.000 Zeichen beklagt er, dass es „Teil der deutschen
Seele“ sei, „Israel zu lieben“, und es hierzulande nicht viel brauche, um
des Antisemitismus beschuldigt zu werden, dazu solidarisiert er sich mit
der Israel-Boykott-Bewegung BDS. Seine Sprecherposition macht Wolff schon
im zweiten Absatz klar, wenn er schreibt: „Ich bin Jude in Deutschland.“
Spätestens jetzt, zwei Jahre und 70.000 Zeichen später, ist klar: Fabian
Wolff ist kein Jude. Auch das kann man bei Zeit Online nachlesen, in seinem
jüngsten, sehr langen [2][Essay „Mein Leben als Sohn“]. Darin schreibt
Wolff: „Ich werde nicht aus der Position eines Juden in Deutschland
sprechen, weil ich das nicht kann und weil ich das nicht bin.“ Sein Glaube,
Jude zu sein, beruhe auf einer Art Missverständnis. Einer Aussage seiner
Mutter, als er 18 Jahre alt gewesen ist. Eine Entschuldigung findet in den
70.000 Zeichen keinen Platz.
Während das Essay von 2021 eine Welle an Lobhudelei einerseits und Hass
andererseits in sozialen und klassischen Medien hervorgerufen hat, muss man
nun von einem Tsunami sprechen. Die Vorwürfe und Beurteilungen sind
deutlich schärfer. Auch wenn es heute noch einige gibt, die Wolffs Essay
als mutiges Meinungsstück feiern, dominiert doch die Haltung: Dieser Text
hätte so niemals erscheinen dürfen.
Zwei Tage nach Erscheinen von Wolffs Essay schreibt [3][Philipp Peyman
Engel in der Jüdischen Allgemeinen]: „In Journalistenkreisen war nicht die
Frage, wann Fabian Wolffs Kostümjudentum auffliegen würde, sondern nur, wer
es zuerst publik macht.“ Weiter schreibt Engel von einer „ausführlichen
Recherche“, die schon 2021 einigen Journalist_innen zugespielt wurde, die
zeigt, dass Wolff sich seine Biografie ausgedacht habe. Auch bei Twitter
ist immer wieder von dieser Recherche, diesem „Dossier“ die Rede. Zudem
wird von Journalist_innen und anderen Interessierten auf Ungereimtheiten in
Wolffs Essay hingewiesen.
## Hinweise auf Unstimmigkeiten in der Biografie
Ein häufiger Vorwurf lautet: Fabian Wolff habe sein erfundenes Jüdischsein
genutzt, um aus dieser Sprecherposition heraus Stimmung gegen Israel und
gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland zu machen. Zeit Online habe hierbei
als Dienstleister für seine Lügen und politischen Thesen hergehalten.
Vergleiche mit dem notorischen Fälscher des Spiegels Claas Relotius, der
2018 für einen der größten Skandale der deutschen Medienbranche gesorgt
hatte, werden gezogen. Schließlich haben deutsche Medien, wie Spiegel.de,
Süddeutsche Zeitung, die Jüdische Allgemeine oder Zeit Online jahrelange
gerne Wolffs Texte veröffentlicht. Wie sollten diese Medienhäuser nun mit
seinen Texten umgehen?
Einen neuen Höhepunkt erreichte die Debatte mit einem Text der Autorin
[4][Mirna Funk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).] „Fabian Wolff
hat über Jahre den Juden performt, den sich jeder Deutsche wünscht“,
schreibt sie. Und führt danach weiter aus: „Die echten Juden nerven
nämlich, weil sie sich weigern, jüdische Karikaturen für die Deutschen zu
sein. Weil sie sich weigern, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu
ziehen.“
Es ist nicht diese Analyse, die für Wirbel sorgt, sondern ein anderer
Aspekt. Funk zitiert aus dem besagten Dossier, das auch schon in der
Jüdischen Allgemeinen erwähnt wird und auch der taz vorliegt. Es bestehe
aus „zwei langen E-Mails mit Dokumenten, Screenshots, Audiodateien und
allen notwendigen Informationen zu Fabian Wolffs Familienhistorie“ von
Wolffs Ex-Freundin Helen R. Sie und Wolff sollen von Dezember 2016 bis Juni
2017 ein Paar gewesen sein, ihr seien seitdem immer wieder Widersprüche in
Wolffs Biografie aufgefallen. Sie habe auch mit anderen darüber gesprochen,
unter anderem einem Redakteur der Zeit. Funk, so schreibt sie, habe die
Informationen im September 2021 an „Wortführer der jüdischen Community und
an einige Redaktionen“ weitergeleitet.
Wenn so viele Menschen Hinweise darauf hatten, dass Wolff kein Jude ist,
wieso hat keine Redaktion das öffentlich gemacht? Engel und Funk
argumentieren [5][mit dem Fall Sophie Marie Hingst]: Die Bloggerin hatte
2019 Suizid begangen, nachdem der Spiegel aufgedeckt hatte, dass sie ihre
jüdische Identität und Vorfahren erfunden hatte. Engel und Funk wollten
verhindern, dass sich so etwas wiederhole.
## Was wusste die Redaktion?
Heute fragt sich Funk, ob sie die falsche Person geschützt habe, denn Helen
R. sei mittlerweile tot. An dieser Stelle setzt der FAZ-Text mehr auf
Raunen als Recherche. Funk schreibt nicht, dass Wolff etwas mit dem Tod zu
tun hat, doch sie führt die Vorwürfe seiner Ex-Freundin explizit aus – ohne
Wolff damit zu konfrontieren – und vermutet selbst, dass Wolff „psychisch
krank“ ist. Ihr Text führte in sozialen Medien zu Spekulationen über den
Tod von Helen R., auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
Aber: Funks Text wirft noch einmal wichtige Fragen auf im Hinblick auf die
Verantwortung von Zeit Online: Was wusste die Redaktion? Die reagierte am
nächsten Tag mit einem [6][Faktencheck auf ihrem Blog „Glashaus]“. Zuvor
hatten sie Wolffs Essays schon mit einem Hinweis versehen, dass sie
mögliche Unwahrheiten in dem Text prüfen. [7][Zusätzlich veröffentlichten
sie einen Gastbeitrag von Meron Mendel], dem Direktor der Bildungsstätte
Anne Frank, der sich eine Stellungnahme inklusive Entschuldigung von der
Redaktion an die Leser_innen wünscht.
Diese folgt dann auf dem „Glashaus“-Blog. Dort heißt es, Zeit Online
bedaure es, Fabian Wolffs Essay 2021 veröffentlicht zu haben. Ihnen sei das
Dossier von Helen R. nicht bekannt gewesen. Auch von dem privaten Kontakt
zu einem Zeit-Redakteur wussten sie nichts. Wolffs Essays haben sie einem
erneuten Faktencheck unterzogen, also Dokumente überprüft, mit Wolff und
seinen Wegbegleiter_innen und Kritiker_innen gesprochen.
Auch E-Mails der verstorbenen Mutter sollen auf Authentizität überprüft
worden sein. Wie die Überprüfung aussieht, wird nicht erläutert, dabei wäre
diese Erläuterung interessant gewesen, schließlich lassen sich E-Mails
leicht fälschen. Doch Zeit Online schreibt, die E-Mails sollen „klare
Aussagen über ihre vorgebliche jüdische Identität“ enthalten, zwei ihr
nahestehenden Personen versichern zusätzlich, dass die Mutter von einer
jüdischen Identität gesprochen habe. Im Weiteren werden Wolffs Aussagen
Stück für Stück kritisch abgeklopft.
## Transparenz ist der richtige Umgang
Eine davon ist, dass er wiederholt behauptete, jüdisch aufgewachsen zu
sein. In seinem jüngsten Text schrieb er aber, dass seine Mutter ihm erst
als 18-Jährigen erklärt habe, er sei Jude. Diesen Widerspruch erklärt Wolff
heute wie folgt: „In seiner Kindheit (habe es) ‚ein Reden über das
Jüdischsein‘ gegeben. So sei beispielsweise Streit in der Berliner
jüdischen Gemeinde Gesprächsthema gewesen. Seine Mutter habe das Wort
„goyim“ hin und wieder benutzt.
Nachdem die Redaktion auf diesem Wege verschiedene Aussagen über Wolffs
angeblich „jüdisch-kommunistische“ Familie, die Herkunft des Vaters und
Wolffs Recherchen zur Genealogie überprüfte, kommt Zeit Online zu dem
Schluss: „Wir können Fabian Wolff bisher nicht nachweisen, an anderer
Stelle bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben.“ Und fügen hinzu: „Unsere
Recherchen zeigen allerdings, wie er die spärlichen, von seiner Mutter
erfundenen Informationen zu seinem vermeintlichen Jüdischsein durch weitere
‚fundierte Spekulationen‘, wie er sie selbst bezeichnete, ergänzt hat.
Diese ‚fundierten Spekulationen‘ sind von bewussten Täuschungen teilweise
nur mit gutem Willen zu unterscheiden.“
Dass Zeit Online sich entschuldigt, die Texte einem erneuten Faktencheck
unterzieht und das transparent macht, ist der richtige Umgang mit den
Vorwürfen. Einige Fragen bleiben jedoch ungeklärt. Zum Beispiel wieso der
Zeit-Redakteur den Verdacht, Wolff habe seine Biografie erfunden, nicht an
Zeit Online weitergegeben hat. Dass Zeit Online 2021 nichts von dem
„Dossier“ wusste, kann man ihnen nur bedingt vorwerfen. Wie ausführlich ein
Faktencheck des Essays damals ausgesehen hat, bleibt fraglich.
Der Umgang mit Wolffs Essay offenbart auch ein strukturelles Problem mit
Ich-Geschichten. Einerseits ist klar, dass persönliche Essays genauso
journalistischen Standards entsprechen müssen wie ein klassischer Bericht.
Andererseits ist ein grundsätzliches Vertrauen in die Autor_innen
notwendig. Wenn etwa eine Autor_in mit Vorerkrankung über ihre Situation in
der Coronapandemie schreibt, lassen sich die Redakteur_innen in der Regel
auch keinen Nachweis für ihre Krankheiten geben. Man glaubt der kranken
Person.
## Wie wird es mit Wolff weitergehen?
Im Zusammenhang mit Wolffs Essay „Mein Leben als Sohn“ von 2023 sticht
jedoch ein fragliches Detail heraus. Wolff hatte gegenüber Zeit Online
zugegeben, dass seine Identität nicht die ist, die er lange gelebt hat. Die
Redaktion wusste zudem, dass ein anderes Medium zu seiner Biografie
recherchiert. Journalistisch sauber wäre zu diesem Zeitpunkt gewesen, Wolff
nicht die Möglichkeit zu geben, ein 70.000 Zeichen langes Geschwafel zu
veröffentlichen, sondern ein kritisches Interview mit ihm zu führen oder
seine Biografie selbst zu recherchieren.
Wie die Medienbranche nun mit einem Autor umgeht, der in seinen Texten mit
„fundierten Spekulationen“ arbeitet, unterscheidet sich. Die Süddeutsche
Zeitung hat bislang als einzige alle seine Texte, auch klassische
Kulturrezensionen, depubliziert. Zeit Online lässt seine Essays online
stehen und versieht sie mit einem Hinweis, die zu den Faktenchecks führen.
Deutschlandradio verfährt mit Wolffs Beiträgen ähnlich. Der Spiegel und die
Jüdische Allgemeine sagen auf Anfrage der taz, dass sie die Texte erneut
überprüfen und so lange mit einem Hinweis online stehen lassen. Der
Tagesspiegel lässt eine Anfrage der taz bis zum Redaktionsschluss
unbeantwortet.
Als Claas Relotius aufflog, verschwand er danach als Autor aus der
Medienwelt. Ob es Wolff ähnlich ergehen wird? Die Jüdische Allgemeine
zumindest schließt eine künftige Zusammenarbeit mit Wolff kategorisch aus,
der Spiegel sieht auch keinen Anlass für eine Wiederaufnahme. Andere Medien
prüfen derzeit noch, ob sie künftig noch mit Fabian Wolff als Autor
zusammenarbeiten wollen.
Der vielfach ausgezeichnete Relotius gab nach seinem Auffliegen seine
Reporterpreise zurück. Er entschuldigte sich bei der Jury des
Reporterforums, per SMS. Auf die Frage, warum Wolff sich nicht entschuldigt
habe, antwortet dieser der taz: „Der Text ist die Abbitte, nicht als
Selbstentschuldigung, sondern aus Selbstverantwortung.“
Eine Entschuldigung, sie fehlt also bis heute.
5 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/kultur/2021-04/judentum-antisemitismus-deutschland-isra…
[2] https://www.zeit.de/kultur/2023-07/juedischsein-familiengeschichte-deutschl…
[3] https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/der-kostuemjude/
[4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/fabian-wolff-gab-sich-als-j…
[5] /Bloggerin-Marie-Sophie-Hingst-gestorben/!5613586
[6] https://blog.zeit.de/glashaus/2023/08/01/faktencheck-beitrag-des-freien-aut…
[7] https://www.zeit.de/kultur/2023-07/fabian-wolff-autor-juedischsein
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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Christian Kracht
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