# taz.de -- Falscher Jude: Ein identitätspolitischer Täuscher | |
> Der Autor Fabian Wolff galt als jüdische Stimme der Israelkritik. Nun ist | |
> klar: Er ist gar kein Jude. Sein Fall steht auch für das Versagen des | |
> linksliberalen Feuilletons. | |
Bild: Fabian Wolff | |
Er ist aufgeflogen. Einer, der von sich behauptete Jude zu sein, es aber | |
gar nicht ist. [1][Am Wochenende hatte Zeit Online einen Text] ihres freien | |
Autors Fabian Wolff veröffentlicht, in dem er zugibt, kein „real-life Jew“ | |
zu sein. „Mein Leben als Sohn“ ist dieser Text überschrieben, der Kern, die | |
jahrelang falsche vor sich hergetragen jüdische Identität, ist tief in | |
diesem ichbezogenen und mit Fremdwörtern überladenen seitenlangen Essay | |
vergraben. | |
Keine Entschuldigung, die Auflösung ziemlich verschachtelt erst zum | |
Schluss, keine kritische Selbstbefragung und Distanz. Ein vermeintlich | |
aufklärerischer Text, der ohne Klarsicht aber keine Aufklärung bietet. | |
Selbstgerechte Nabelschau, mehr nicht. | |
Ich habe einige Tage darüber nachgedacht, ob es sinnvoll ist, sich dazu zu | |
äußern. Auch ich empfinde, wie viele andere, auf privater Ebene von Wolff | |
getäuscht worden zu sein. Ich kannte Fabian Wolff aus dem Internet, wie man | |
so schön sagt, über einen Kollegen. Daraus entstand vor vielen Jahren ein | |
loser Austausch. Beinahe hätte ich im Frühjahr 2020 ein Panel mit ihm und | |
anderen Gästen moderiert, doch dazu kam es nie. Immer häufiger trat er dann | |
mit politischen Positionen öffentlich auf, mir wurde sein Ton zu abwertend, | |
zu selbstgerecht, ich sah mich weit entfernt von seinen Einstellungen. Ich | |
habe immer geglaubt, dass da ein Jude spricht. | |
Wolff hat sich auf die für ihn richtige Weise zu seinem Irrtum bekannt; ich | |
glaube nicht, dass die Öffentlichkeit auf mehr Selbstoffenbarung hoffen | |
kann. Eine Aufarbeitung ist sinnvoll. Sich an seiner Person endlos | |
abzuarbeiten hingegen nicht. Entscheidender scheint mir, die Strukturen, | |
die Verkommenheit gesellschaftlicher Debatten über jüdisches Leben und | |
Antisemitismus, [2][über Gedenkkultur und Israel], über die Frage, wer wie | |
dazu sprechen und kritisieren darf, kritisch zu hinterfragen. | |
## Linke Israelfeinde | |
Aus der Behauptung, Jude zu sein, aus einer jüdisch-diasporischen Position | |
zu sprechen, leitete Wolff lange Zeit eine Legitimation ab, bestimmte | |
Argumente formulieren zu können. Argumente mit Wahrheitsanspruch. Wolff war | |
für eine Teilöffentlichkeit zur Stimme der Israelkritik geworden. Ein Jude | |
noch dazu. Für ein linkes Publikum der perfekte Kandidat, um Gedanken | |
auszusprechen, die sie selbst zwar auch dachten, aber wenn’s ein Jude in | |
die Zeitung schreibt, wird es vermeintlich legitimer – und knallt eben | |
mehr. | |
Insofern müssen sich die Kolleg:innen von Zeit Online die Frage gefallen | |
lassen, warum es so attraktiv war, einem Autor, der außerhalb des | |
Feuilletons keine entscheidende Rolle im gesellschaftlichen Diskurs | |
gespielt hat, 2021 einen prominenten Platz für die Verharmlosung des | |
Israelboykotts zu geben. Und das zu einer Zeit, in der Antisemitismus auf | |
linken oder israelfeindlichen Demonstrationen einen neuen Höhepunkt in | |
Deutschland erreichte und in offenen Briefen von Freiheitseinschränkungen | |
in der Antisemitismusdebatte, bei der auch BDS eine Rolle spielt, fabuliert | |
wurde. Ich weiß schon: Weil das deutsche Feuilleton, weil Linke wie | |
Linksliberale, gedanklich an diese vermeintliche „Israelkritik“, auf die es | |
am Ende immer hinausläuft, anknüpfen können. | |
Einer, der vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, wurde zum | |
Repräsentanten einer ganzen Gruppe stilisiert. Spätestens da hätte man | |
stutzig werden und recherchieren sollen, [3][wer die Mehrheit der Jüdinnen | |
und Juden in Deutschland ist]; dass ihr Repräsentant er nicht sein konnte, | |
weil er eben nicht, wie er selbst schrieb, „irgendwie postsowjetisch“ war, | |
und er den Teil der jüdischen Linken in Deutschland, die | |
[4][israelsolidarischen, antisemitismuskritischen], in seinem Weltbild | |
ausklammerte, also auch ihr Repräsentant nicht sein konnte. | |
Für seine falschen Behauptungen ist Wolff selbst verantwortlich, an seinem | |
Aufstieg haben andere mitgewirkt. Auch das gehört zu dieser Geschichte. | |
20 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/kultur/2023-07/juedischsein-familiengeschichte-deutschl… | |
[2] /Debatte-um-die-Gedenkkultur/!5751296 | |
[3] /Juedische-Kontingentfluechtlinge/!5727852 | |
[4] /Israel-Antisemitismus-und-der-BDS/!5766250 | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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