# taz.de -- Afghanistan nach dem Abzug: Hölle auf Erden | |
> Es gibt gute Gründe, Afghanistan zu helfen. Aber den Preis zahlen die | |
> Frauen und Mädchen. Für sie gibt es unter den Taliban keine Freiheit. | |
Bild: Frauen warten, um von einer humanitären Hilfsorganisation Lebensmittelra… | |
Kaum ein Land auf dieser Welt behandelt Frauen so schlecht wie das | |
Taliban-Regime. In weniger als zwei Jahren haben die selbsternannten | |
Gotteskrieger die Hölle auf Erden geschaffen. Nichts anderes hatten sie | |
angekündigt. Die Taliban leben ihre menschenverachtende Geisteshaltung. | |
Ihren Worten lassen sie Taten folgen – im Gegensatz zu unserer | |
Bundesregierung. | |
Am Flughafen von Kabul spielten sich apokalyptische Szenen ab, als die | |
Taliban im August 2021 in Kabul einmarschierten. Zehntausende Menschen | |
versuchten zu fliehen, klammerten sich in ihrer Verzweiflung an Flugzeuge | |
und stürzten in den Tod. Die Welt war entsetzt. Trotzdem mahnten | |
konservative Politiker in Deutschland, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. | |
Nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 kündigte Außenministerin | |
[1][Annalena Baerbock] an: „Viele Menschen leben in täglicher Angst. Das | |
gilt besonders für diejenigen, die mit uns für eine bessere Zukunft | |
Afghanistans gearbeitet, daran geglaubt und sie gelebt haben. Am schwersten | |
ist die Lage für [2][die besonders gefährdeten Mädchen und Frauen]. | |
Gegenüber diesen Menschen haben wir eine Verantwortung, und wir werden sie | |
nicht im Stich lassen.“ | |
Die Ampelregierung beschloss ein Aufnahmeprogramm für gefährdete | |
Afghaninnen und Afghanen. Es sollte gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen | |
Organisationen ausgearbeitet werden. Die Zusammenarbeit war ein einziges | |
Debakel. Monatelang ließ das Innenministerium auf sich warten, bis | |
Gefährdungskriterien für das Programm veröffentlicht wurden. Das Geschlecht | |
allein hätte gereicht. Die Zeit raste. | |
## Ausgang nur im Ganzkörperschleier | |
Schon am Tag 1 ihrer Herrschaft schafften die Taliban das Frauenministerium | |
ab, schlossen Mädchenschulen und schlugen die anschließenden Proteste | |
nieder. Trotzdem hatten die Vereinten Nationen gehofft, die Taliban zur | |
Einsicht bringen zu können. Ohne Erfolg. [3][Im Mai verkündeten die Taliban | |
die Burka-Pflicht.] Frauen sollten ab sofort nur noch im Ganzkörperschleier | |
das Haus verlassen dürfen. Das Gewand schränkt Sicht und Bewegungsfreiheit | |
ein, es gleicht einem Gefängnis aus Stoff. | |
Auf die Ankündigung folgte ein internationaler Aufschrei. Der Erlass war | |
provokativ und völlig überflüssig. Die Burka ist keine Erfindung der | |
Taliban. In vielen Teilen des Landes gehen Frauen ohne Burka nicht aus dem | |
Haus – sofern es ihnen überhaupt erlaubt ist, das Haus zu verlassen. Warum | |
ein Gesetz erlassen, das ungeschrieben seit Generationen gilt? | |
Ganz einfach, weil sie es können. Die selbsternannten Gotteskrieger haben | |
eine Weltmacht gedemügt und bloßgestellt. Von den hehren Motiven, mit denen | |
die USA und ihre Verbündeten den Krieg rechtfertigten, ist nicht viel übrig | |
geblieben. Der überhastete Abzug ist zum Sinnbild westlicher | |
Scheinheiligkeit geworden. Nun herrscht ein Terrorregime, mit dem der | |
Westen nicht verhandeln will, es aber auch nicht ignorieren kann. | |
Zu viel Elend würde die Aufmerksamkeit wieder auf Afghanistan lenken, | |
Fragen von Schuld und Verantwortung aufwerfen. Niemand hat ein Interesse | |
daran, Bilder von hungernden Kindern zu produzieren. Das ist verständlich, | |
aber verschlimmert das Problem. Wir helfen dem Taliban-Regime zu überleben | |
und opfern dafür die Frauen. | |
## Männer werden zu Verfolgern | |
Das System der Taliban ist perfide. Indem der Erlass nicht Frauen selbst, | |
sondern ihre männlichen Angehörigen bei Verstößen bestraft, macht es alle | |
Männer in Afghanistan zu Komplizen der Taliban. Sie sind für das Verhalten | |
ihrer Frauen verantwortlich, müssen dafür sorgen, dass die weiblichen | |
Angehörigen die Regeln der Taliban befolgen. Der Erlass beraubt Frauen | |
jeglicher Autonomie, gibt ihnen keine Chance mehr, sich gegen die | |
Vorschriften aufzulehnen oder bei Widerstand ins Gefängnis zu gehen. | |
Das Gesetz entmenschlicht Frauen, degradiert sie zu Eigentum ihrer | |
männlichen Verwandten. Es schränkt nicht nur die Freiheit von Frauen ein, | |
es gibt vor allem Männern in der Gesellschaft uneingeschränkte Macht. Kaum | |
eine Frau in Afghanistan wird sich einer Regel widersetzen, wenn am Ende | |
nicht sie selbst, sondern ihr männlicher Vormund dafür bestraft wird. Wenn | |
es doch eine Frau wagen sollte, wird sie wahrscheinlich keine Märtyrerin | |
für Frauenrechte, sondern nur ein weiteres Opfer von häuslicher Gewalt. | |
Afghanistan galt auch vor der Herrschaft der Taliban als eines der | |
schlimmsten Länder für Frauen weltweit. Frauen werden von männlichen | |
Angehörigen geschlagen, verstümmelt, mit Säure überschüttet und in Brand | |
gesetzt. Als ein guter Ehemann gilt allein ein Mann, der seine Frau nicht | |
grundlos schlägt. Die Taliban machen es einem leicht, Afghanistan zu | |
vergessen. Sie begehen keine Massaker und ziehen auch nicht plündernd oder | |
vergewaltigend durch das Land. Sie schränken Rechte ein. | |
Die internationale Staatengemeinschaft fordert, das zu unterlassen. Die | |
Taliban unterlassen es, dieser Forderung nachzukommen. In Afghanistan leben | |
[4][20 Millionen Frauen und Mädchen]. Die meisten Afghaninnen können nicht | |
lesen, haben keinen Zugang zum Internet, manche noch nicht mal die | |
Vorstellung von einem anderen Leben. In den letzten 20 Jahren ist aber auch | |
eine Generation herangewachsen, die eine Gesellschaft im Wandel erlebt hat. | |
Krieg und Terror waren allgegenwärtig, aber auch Schulbildung, mehr | |
Selbstbestimmung, Frauen in der Politik, im Fernsehen, [5][als | |
Unternehmerinnen]. Diese Frauen wollten ein freies, selbstbestimmtes Leben | |
führen. Daran haben sie geglaubt. [6][40.000 Studentinnen] dürfen seit | |
letztem Dezember nicht mehr studieren. Als Frauen dürfen sie nicht arbeiten | |
und noch nicht mal einen Reisepass allein beantragen. Sie brauchen | |
internationale Hilfe. Die Frauen sind die größten Opfer des brutalen | |
Unterdrückungsregimes in Afghanistan. Sie gilt es zuallererst vor den | |
Taliban zu schützen. | |
7 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Theresa Breuer | |
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