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# taz.de -- Streit um Heizungsgesetz: Wärmewende erhitzt die Gemüter
> Das Gesetz zum Heizungstausch kommt diese Woche doch nicht in den
> Bundestag – weil die FDP nicht mitzieht. Das löst eine kleine
> Regierungskrise aus.
Bild: Schraube locker? Kanzler Scholz 2022 bei Wärmepumpen-Hersteller Viessman…
Berlin taz | Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wirkt einigermaßen
konsterniert, als sie am Dienstagmittag unter der Reichstagskuppel vor die
Presse tritt. Gerade hat die Runde der Parlamentarischen
Geschäftsführer:innen getagt, ein Routinetermin, bei dem es unter
anderem um die Tagesordnung der Sitzungswoche geht. Langweilig.
Doch nun ist klar, dass das heftig umstrittene Gesetz zum Heizungstausch
diese Woche doch nicht in den Bundestag kommt. Damit wackelt nicht nur der
Zeitplan für die Wärmewende, auch die Basis der Ampelkoalition ist
erschüttert. Haßelmann sieht jedenfalls deren „Handlungs- und
Arbeitsfähigkeit“ beschädigt. Eine freundliche Umschreibung für
„Regierungskrise“.
Eigentlich hatte sich die Regierung aus SPD, Grünen und FDP bereits im
April auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf geeinigt – wenn auch seitens der
FDP mit Bauchschmerzen – und verabredet, dass diese Woche der Bundestag
übernimmt und das Heizungsgesetz in erster Lesung berät.
Am Freitag schon sollten die Anhörungen starten, die Einladungen an die
Sachverständigen sind verschickt. Die sind nun wieder ausgeladen. Grüne und
SPD hatten bis zuletzt auf den Zeitplan gedrängt, um den Start des
Inkrafttretens zum 1. Januar 2024 nicht zu gefährden. Auch Bundeskanzler
Olaf Scholz hatte durchblicken lassen, dass er das für wichtig hielte. Doch
die mitregierende FDP zog nicht mit.
## Jetzt wird zurückblockiert
„Das grenzt an Arbeitsverweigerung“, empört sich Haßelmann nun und
appelliert an die FDP, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Sonst, so warnt
sie, könne auch das Gesetz zur Planungsbeschleunigung nicht auf den Weg
gebracht werden. Das sieht unter anderem den [1][beschleunigten Ausbau von
144 Autobahnabschnitten] vor und sollte nächste Woche im Kabinett
verabschiedet werden.
Jetzt wird also zurückblockiert. Nun steht nicht nur das Gesetz zum
Heizungstausch auf der Kippe, auch weitere Projekte wie der beschleunigte
Ausbau der Infrastruktur wackeln. Im Koalitionsausschuss Ende März hatten
die Grünen dem Turbo-Ausbau auch von Autobahnen nur gegen die erneute
Versicherung zugestimmt, dass das Gesetz zum Umtausch fossiler Heizungen
zum 1. Januar 2024 kommt.
Ab dann soll jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent aus
erneuerbaren Energien betrieben werden, ein Aus auf Raten für Gas- und
Ölheizungen, die derzeit vorherrschen. So hatten es die Ampelspitzen
bereits vor einem Jahr im Koalitionsausschuss besprochen. Der grüne
Wirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Haus den umstrittenen
Gesetzentwurf vorgelegt hat, wirft der FDP nun „Wortbruch“ vor.
Die FDP als wortbrüchiger Systemsprenger? Fraktionschef Christian Dürr
sieht das eine Stunde nach Haßelmanns Auftritt ganz anders. Die vier
FDP-Minister:innen hätten dem Gesetz inhaltlich nie zugestimmt, stellte er
klar, sondern immer deutlich gemacht, dass sie es nicht für beratungsreif
hielten.
## Nach dem großen Rumms
Dürr sieht große Blöcke im Gesetz, die noch nicht funktionierten, und sieht
sich in guter Gesellschaft. Stadtwerke und „Millionen Verbraucher:innen“
teilten die Bedenken der FDP.
Die FDP will vor allem weitere Alternativen zur Wärmepumpe, Dürr spricht
sogar davon, dass das Gasnetz, welches derzeit eine halbe Million Kilometer
umfasst, weiter für die Wärmeversorgung zur Verfügung stehen müsse, dann
natürlich klimaneutral. Woher diese Mengen an klimaneutralem Gas kommen
sollen, ist allerdings schleierhaft.
Und es ist ja nicht nur die FDP, die Änderungswünsche am Gesetz hat, auch
von SPD und Grünen gibt es Verbesserungsvorschläge, insbesondere was die
Frage angeht, [2][wie der Heizungstausch sozialverträglich abgefedert
wird]. Und mehr Offenheit für alternative Heizungstechnik fordert auch die
SPD. Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Dienstag, ihm erschließe sich
nicht so richtig, weshalb man das nicht jetzt im Parlament hätte bereden
sollen. Er will den Koalitionskrach dennoch nicht ganz so hoch hängen wie
die Grünen: „Ich erkenne keine Blockade, sondern Diskussionsbedarf.“
Zwischen den Zeilen klingt FDP-Fraktionschef Dürr nach dem großen Rumms
tatsächlich nicht mehr ganz so unversöhnlich wie FDP-Generalsekretär Bijan
Djir-Sarai einen Tag zuvor, der „im Prinzip“ ein neues Gesetz gefordert
hatte. „Deutschland braucht eine Reform des Gebäudeenergiegesetzes, aber
eine, die funktioniert“, so Dürr. Und wenn die offenen Fragen geklärt
seien, dann sei er auch frohen Mutes.
## Der Kanzler mit einem Understatement
Um diese offenen Fragen zu klären, treffen sich diese Woche die
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der drei Ampelparteien – Julia
Verlinden von den Grünen, Lukas Köhler von der FDP und SPD-Fraktionsvize
Matthias Miersch. „Wir wollen am Zeitplan festhalten, das Gesetz vor der
Sommerpause zu beschließen“, meint Miersch. Die Menschen seien genervt vom
Gezanke um die Heizungen und wollten Klarheit.
Die nächste Gelegenheit zu Beratungen im Bundestag bietet sich ab dem 12.
Juni. Dann startet eine doppelte Sitzungswoche. In der ersten Juliwoche
tritt das Parlament letztmalig vor der Sommerpause zusammen. Drei Wochen
Zeit, um ein hochumkämpftes Gesetz zu beraten und zudem noch flotter als
bisher geplant. SPD-Fraktionschef Mützenich ist jedoch überzeugt, dass das
gelingen kann, „wenn alle vernünftig sind und alle das wollen“.
Genau daran zweifeln aber viele Grüne mittlerweile. „Die FDP ist eine
unzuverlässige und destruktive Clique, die sich an Verabredungen nicht
gebunden fühlt. Da gilt nicht mal das Wort des Parteivorsitzenden“,
schreibt etwa der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Marcel
Emmerich auf Twitter. Und der Europaabgeordnete Rasmus Andresen konstatiert
genervt: „Mit einer Oppositionspartei kann man keine Regierung bilden.“
Nun ist auch der Kanzler gefragt, die Wogen zu glätten. Scholz erscheint am
Dienstag zur Fraktionssitzung, nimmt den Lift zusammen mit Außenministerin
Annalena Baerbock, die zu den Grünen eilt. Zuvor hatte er im
Willy-Brandt-Haus anlässlich des 160. Geburtstages der SPD auch über
Transformation gesprochen. Der „große Aufbruch“ der Transformation werde
nur glücken, wenn alle glauben: „Das geht gut aus, auch für mich selbst!“
Da, sagte Scholz, „sind wir noch nicht ganz“. Das ist angesichts des Hagels
von Kritik am Heizungsgesetz ein Satz mit sehr viel Understatement.
23 May 2023
## LINKS
[1] /Beschluesse-der-Koalition/!5921648
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Stefan Reinecke
Sabine am Orde
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Heizung
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Robert Habeck
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