# taz.de -- Berliner Karneval der Kulturen: Tradition verpflichtet | |
> Der 25. Karneval der Kulturen steht vor der Tür, und die | |
> Multikulti-Institution hat große finanzielle Sorgen. Der neue | |
> Kultursenator sichert Unterstützung zu. | |
Bild: Der neue Kultursenator Joe Chialo (CDU, 3.v.l.) inmitten der Karnevalsmac… | |
Ab wann ist etwas eine Tradition? Für Aissatou Binger ist die Sache klar: | |
Beim Karneval der Kulturen, der an diesem Wochenende zum 25. Mal in | |
Kreuzberg auf die Straße geht, „können wir von einer Tradition sprechen: | |
Herzlichen Glückwunsch, Berlin hat eine postmigrantische Tradition“, | |
erklärte die eine der zwei neuen Chefinnen des Karnevalsbüros am Montag | |
beim Pressetermin, der passenderweise im Berlin Global Village in Neukölln | |
stattfindet. | |
Doch Berlins „größte kulturelle Intervention im öffentlichen Raum“, wie | |
ihre Kollegin Geraldine Hepp sagte, steht vor großen, vor allem | |
finanziellen, Problemen. Inflation und Fachkräftemangel hätten eine | |
Kostensteigerung von 40 Prozent und damit ein Defizit von rund 300.000 Euro | |
verursacht, so Hepp. | |
Die Folge: Der Karneval der Kulturen (KdK), der vor seiner dreijährigen | |
[1][pandemiebedingten Pause] jedes Jahr an Pfingsten rund eine Million | |
Besucher*innen aus dem In- und Ausland anzog, muss schrumpfen. Die | |
Strecke wird leicht gekürzt, statt wie sonst 70 bis 90 gehen in diesem Jahr | |
48 Gruppen mit rund 2.500 Akteur*innen an den Start. Nur das Straßenfest | |
rings um den Blücherplatz bleibt in vollem Umfang erhalten: Es sei ja | |
„unser wichtigstes Drittmittel“, so Hepp, und zur Finanzierung des Umzugs | |
seinerzeit gegründet worden. | |
Ein Gutes, so die Botschaft der Karnevals-Macher*innen, habe die Krise der | |
Pandemie aber auch gehabt: Man habe die „kreative Pause“ genutzt, sich noch | |
einmal über die Grundidee des KdK zu vergewissern. Das Ganze, so Hepp, sei | |
ja 1996 als „antirassistische Bewegung“ entstanden – die Berliner Antwort | |
auf die Baseballschläger-Jahre könnte man sagen. Und damit sei man dann so | |
erfolgreich geworden, dass der Karneval heute primär als Großveranstaltung | |
wahrgenommen werde. Doch den teilnehmenden Gruppen sei es wichtig, dass | |
dieser „Ursprungsimpuls“ wieder stärker ins Bewusstsein rücke. | |
Darum haben die Gruppen gemeinsam [2][ein Manifest] verabschiedet, in dem | |
es unter anderdem heißt: „Wir sind für ein Miteinander: Wir wollen uns | |
kennenlernen und mit Respekt voneinander lernen! Wir wollen sehen und | |
gesehen werden, weil wir stolz auf unsere Vielfalt sind!“ Diesen Bewegungs- | |
und Netzwerkcharakter gelte es zu stärken, ergänzte Binger, der KdK sei | |
eben nicht nur eine riesige Party, sondern die Arbeit vieler Gruppen und | |
Menschen das ganze Jahr über. | |
Doch wie kann diese Arbeit besser finanziert werden? Hilfe erwartet man | |
sich berechtigterweise vor allem von der Politik, die in Gestalt des neuen | |
Kultursenators Joe Chialo (CDU) am Montag mit auf dem Podium saß. Und | |
Chialo sparte nicht mit Lob und Bekenntnissen: Er könne sich „sehr | |
persönlich an diese Zeit erinnern, an den Druck“ damals, „wo Rassismus so | |
eine ganz große Rolle gespielt hat“, sagte der Senator, der als Schwarzer | |
zweifelsohne selbst Rassismuserfahrungen hat. Und der Karneval habe bis | |
heute eine wichtige Aufgabe: zur Vernetzung kultureller Akteure, als „Ort | |
der Begegnung, auch für Postmigrant*innen“, wo die Akteur*innen | |
wichtiges „soziales Engagement“ leisteten. Dies sei genau das, was Berlin | |
heute brauche, so Chialo: eine Veranstaltung als Brückenbauer „nicht nur | |
zwischen verschiedensten Nationalitäten, die diese Veranstaltung so bunt | |
erscheinen lassen“, sondern auch zwischen verschiedenen Altersgruppen und | |
sozialen Schichten – davon müsse es noch viel mehr geben. „Das war für uns | |
während der Koalitionsverhandlungen ganz, ganz wichtig zu unterstreichen, | |
dass Karneval der Kulturen für Berlin auch zukünftig passieren muss und | |
dass ihr in uns auch zukünftig einen starken Partner haben werdet.“ | |
Konkrete Zusicherungen machte der Senator allerdings nicht – und bat dafür | |
um Verständnis, da die Haushaltsverhandlungen ja noch liefen. Ob es also | |
mehr wird als die bislang rund eine Million Euro, die die Landeskasse | |
jährlich in den Karneval steckt, bleibt offen. Chialo sieht wohl eher „die | |
Wirtschaft“ am Zug. | |
Tatsächlich hat der Karnvel beschlossen, sich dem Sponsoring zu öffnen, wie | |
Hepp erklärte. Darum, so Chialo, könne die Wirtschaft, die vom Image des | |
KdK profitiere, „auch mal zur Kasse greifen“. | |
Einen neuen Hauptsponsor gibt es bereits, wie auf Plakaten und Flyern zu | |
sehen – den Akteur*innen nützt dies erstmal nichts, auch nicht Chialos | |
Lob und Wertschätzung ihrer Arbeit. Seit 2015, so Hepp, gebe es zwar einen | |
„Gruppenfonds“ für Material- und Transportkosten von 100.000 Euro – aber | |
das reicht bei rund 50 Gruppen natürlich hinten und vorne nicht. Viele | |
mieten etwa auf eigene Kosten Räume für die Proben, weil das Haus, das das | |
Land zur Verfügung stellt, in Marzahn liegt – viel zu weit weg, wenn sich | |
Dutzende Menschen über Monate jeden Abend zum Proben treffen. | |
Er sei „müde“, sagte denn auch Dada Mercelino de Roha von der Samba-Gruppe | |
Furiosa, die seit Beginn dabei ist. „Die ganze Arbeit, die dahinter steckt, | |
das ganze Jahr über und schon seit Jahren, wird nie bezahlt.“ Am Anfang, in | |
den 90ern, seit die Euphorie groß gewesen, „aber irgendwann ist es vorbei“. | |
Sonia de Oliveira von der Gruppe Amasonia klang noch trauriger: Wenn sich | |
nichts ändere, werde sie nächstes Jahr wohl nicht mehr dabei sein. „Die | |
Hälfte meiner Kostüme ist kaputt. Wer bezahlt mir die Reparatur?“ | |
22 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Karneval-der-Kulturen-faellt-komplett-aus/!5785486 | |
[2] https://www.karneval.berlin/de/karneval/manifest.html | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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