| # taz.de -- Karneval der Kulturen: Multikulti immer noch im Trend | |
| > Hunderttausende schauten den bunten Festgruppen zu. Zwischen Party und | |
| > Folklore gingen auch die politischen Inhalte nicht verloren. | |
| Bild: Marcos DesSantos hat sein Kostüm schon in Rio getragen. Jetzt feiert er … | |
| Berlin taz |„Das Schwierigste war, das Kostüm ins Flugzeug zu bekommen“, | |
| sagt Marcos DosSantos lachend. Rote Federn schmücken seinen rot-goldenen | |
| Kopfschmuck, der ganz oben von grünen und weißen Pfauenfedern gekrönt wird. | |
| Er führt mit seinem Kostüm den Karneval der Kulturen an. Bereits zum 25. | |
| Mal zieht die Parade am Sonntag durch Kreuzberg. Er habe das Kostüm – mit | |
| dem er dieses Jahr schon auf dem Karneval in Rio auftrat – vor dem Flug | |
| komplett auseinandergebaut, erzählt Marcos, kurz bevor die Parade startet. | |
| Wegen der Metalldrähte habe er vor Abflug ein Formular unterschreiben | |
| müssen, aber nach drei Jahren Coronapause habe er den Umzug nicht verpassen | |
| wollen. | |
| Was der Unterschied des Berliner Karnevals zu dem in Rio ist? „In Rio ist | |
| es eher ein Wettbewerb. In Berlin kann man einfach mitlaufen!“, schwärmt | |
| Maria DoSantos, die auch vorne mitläuft.Maria spiegelt damit das Motto der | |
| Karnevalist:innen wider: Sie wollen einen „offenen Raum“ für ein | |
| Miteinander schaffen. Rund 550.000 Menschen haben sich nach Angabe der | |
| Veranstalter:innen miteinander bei strahlendem Wetter versammelt, um | |
| die kulturelle Vielfalt Berlins zu feiern. „Der Karneval der Kulturen ist | |
| keine Massenparty“, betonte Geraldine Hepp, die zusammen mit Aissatou | |
| Binger das Karnevalbüro leitet, bereits am Freitag [1][gegenüber der taz.] | |
| Der Karneval wurde als Antwort auf die rassistischen Angriffe der 90er | |
| gegründet. Und auch wenn sich schon gegen Mittag die Pfandflaschen am | |
| Straßenrand stapeln – mit einem Müllaufkommen von ungefähr 70 Gramm pro | |
| Person sei der Karneval auch in der Hinsicht gar nicht schlecht, sagt Hepp. | |
| Insgesamt 48 Gruppen stehen am Mehringdamm in den Startlöchern – von Samba- | |
| und Volkstanz- bis hin zu kulturpolitischen Gruppen. Diesmal sind es etwas | |
| weniger als noch vor Corona, und auch die Route ist verkürzt. Wegen des | |
| teuren Sicherheitspersonals und der Inflation plagen die | |
| Veranstalter:innen Geldsorgen. Die politische Bedeutung scheint | |
| trotzdem nicht unterzugehen. [2][Sapucaiu no Samba] in ihren grünen | |
| Baumkostümen und flammenroten Perücken erinnern an die Abholzung des | |
| Amazonas-Regenwalds, die Gruppe kul’tura aus der Ukraine ruft den | |
| Schaulustigen „Stand with Ukraine!“ entgegen. | |
| ## Party oder doch Politik? | |
| Die jungen Damen haben sich auf ihre schwarzen T-Shirts die Namen | |
| avantgardistischer ukrainischer Künstler:innen gedruckt, die zu | |
| Sowjetzeit dem Westen fälschlich als russisch verkauft wurden. Die | |
| abstrakte Kunst haben sie sich umgehängt und ins Haar geflochten. „Wir | |
| kämpften an der Kulturfront“, sagt Isabealla Branco (30), die selbst nicht | |
| aus der Ukraine kommt, sich aber aufgrund ihrer Vorfahren mit dem Land | |
| verbunden fühlt. Während sich die Damen von der einen musenhaften Pose zur | |
| anderen bewegen, wird vorne ihr Wagen geschoben. Auch 27 andere Gruppen | |
| haben sich vom Diesel-Lkw verabschiedet. Sieben probieren es heute zum | |
| ersten Mal aus. | |
| Kurz nach Start des Umzugs will das Publikum noch nicht lauthals in den Ruf | |
| der ukrainischen Gruppe mit einstimmen. Auch beim Tanzen hält man sich noch | |
| zurück. „Das kommt noch! Du riechst es ja schon, gleich geht es los!“, ruft | |
| Silvana, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, scherzhaft | |
| gegen die Musik an. Die 47-Jährige in Kleid und hellblauer Federboa ist mit | |
| ihren Kindern Julian und Annika vor Ort. | |
| Der süßlich-beißende Geruch von Gras liegt in der Luft; inzwischen sind die | |
| ersten Wagen angerollt. Auch Silvana schätzt den Mitmachcharakter. Sie sei | |
| dieses Jahr das erste Mal in Mainz beim Karneval gewesen. „Ich hab meinen | |
| dortigen Freunden danach gleich geraten, nach Berlin zu kommen, hier kann | |
| man wenigstens mittanzen“, berichtet Silvana. | |
| ## Die Anwohner feiern einfach mit | |
| Wie die Anwohner das Treiben vor der Tür aufnehmen? Bei einer Hausnummer 50 | |
| haben sich die Einwohner mit Biertischen versammelt und halten ihr Hausfest | |
| ab. Etwas entfernt hat Akarsu Ayten ihren Friseursalon geöffnet. Sie macht | |
| Geschäft: Für 2 Euro bietet sie den Schaulustigen ihre Toilette an. „Wir | |
| sind multikulti“, sagt sie fröhlich über das Event. | |
| Im laufe des Tages wird es immer enger, besonders bei der Kirche am | |
| Südstern, wo die Darsteller von der Jury auf Tribünen bewertet werden, | |
| zwängt man sich an den Absperrungen vorbei. Die Polizei – mit rund 1.200 | |
| Beamt:innen vor Ort – spricht im Nachhinein von einer insgesamt | |
| friedlichen und ausgelassenen Stimmung. Lediglich eine größere | |
| Körperverletzung gibt es um 17 Uhr Richtung Hasenheide. Die verletzte | |
| Person wird ins Krankenhaus gebracht. | |
| Die letzte Gruppe läuft leicht verspätet gegen halb acht ins Ziel ein. Die | |
| Schaulustigen lassen sich aber nicht vertreiben. Es sei noch bis in die | |
| Nacht hinein gefeiert worden, bestätigt Hepp. Sie bewertet den Karneval als | |
| Erfolg. Aufbruchstimmung habe sich im Team breit gemacht: „Wenn man mit den | |
| Gründern von vor 25 Jahren geredet hat, war klar: Wir haben es geschafft! | |
| Der Umzug hat jetzt Traditionscharakter, das freut uns!“. | |
| Für die Zukunft wünsche sie sich allerdigs [3][mehr Rückendeckung]: „Ich | |
| bitte darum, dass wir politisch eine [4][Form der Unterstützung] finden“, | |
| sagt sie. Wenn man immer so sehr spare, käme am Ende nur eine Party raus. | |
| Wichtig sei es aber, schon im Vorfeld mit den Gruppen zusammenzuarbeiten, | |
| betont sie. | |
| 29 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Probst | |
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