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# taz.de -- Evakuierung aus Sudan: Unübersichtlich und gefährlich
> Angesichts der Lage in Sudan evakuieren Deutschland und andere EU-Länder
> ihre Staatsbürger*innen und Ortskräfte. Die Lage erinnert an
> Afghanistan.
Bild: Wer durfte einsteigen? Ein Evakuierungsflugzeug nach der Landung in Jorda…
Berlin/Brüssel taz | Rette sich, wer kann: Frankreich, Deutschland und die
Europäische Union haben am Montag mit allen Mitteln versucht, die
Evakuierung aus dem umkämpften Sudan zu organisieren. Mehr als 1.000
EU-Bürger seien in Sicherheit gebracht worden, sagte der
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bei einem Treffen der Außenminister in
Luxemburg.
„Es ist eine komplexe Aktion gewesen und es ist eine erfolgreiche Aktion
gewesen“, erklärte Borrell. Der Spanier dankte Frankreich für seine Hilfe
beim Ausfliegen „unserer Leute“. Borrell würdigte aber auch „die vereint…
Bemühungen vieler Länder“, die „alle Staatsbürger, die sie aufsammeln
konnten, mitgenommen haben“.
Die Worte des Außenbeauftragten lassen erraten, wie schlecht die EU auf die
neuerliche Krise im Sudan vorbereitet war. EU-Botschafter Aidan O’Hara war
vergangene Woche in seinem Haus attackiert worden. Seither hat sich die
Sicherheitslage im gesamten Land dramatisch verschlechtert. Auch Europäer
sind nicht mehr sicher.
Doch noch am vergangenen Freitag, bei der Vorbereitung des
Außenministertreffens, war keine Rede von einer kurz bevorstehenden
Evakuierung. Die Rettungsaktion wurde erst am Wochenende organisiert – und
mehr schlecht als recht koordiniert. Aus Berlin, Paris und Brüssel kamen
ganz unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Nachrichten.
## Wettlauf gegen die Zeit
So sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ihre Teilnahme am
Außenministertreffen der EU in letzter Minute ab. Sie müsse sich daheim in
Berlin um die Organisation der Evakuierung kümmern, hieß es. Derweil hatte
Frankreich schon mit Rettungsflügen begonnen – mit einer Luftbrücke
zwischen Khartum und Djibouti.
Nun ist die Evakuierung ein Wettlauf gegen die Zeit in einem von
erbitterten Kämpfen erschütterten Land. Die Lage ist unübersichtlich, die
Mission der Bundeswehr gefährlich. Zwar habe es bisher noch keine kritische
Situation gegeben, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums.
Aber bereits jetzt wird über andere Fluchtwege, etwa auf dem Landweg oder
Seeweg, nachgedacht.
Zentraler Punkt für die Mission ist ein militärisch gesicherter Flugplatz
nahe der Hauptstadt Khartum. Im Einsatz ist das Kommando Spezialkräfte
(KSK) der Bundeswehr, aber auch die für besondere Einsätze im In- und
Ausland ausgebildete GSG 9 der Bundespolizei und die Einheit der
Bundespolizei, die sich um den Schutz deutscher Diplomaten im Ausland
kümmert. Im Moment geht das Auswärtige Amt davon aus, dass noch deutsche
Staatsangehörige vor Ort sind.
„Vor zehn Tagen ist ein Alptraum über den Sudan hereingebrochen“, sagte
Außenministerin Baerbock in einer kurzfristig mit Verteidigungsminister
Boris Pistorius einberufenen Pressekonferenz am Montagabend. Über 400
Menschen seien bereits gestorben. Die vereinbarte Feuerpause gehe in
wenigen Stunden zu Ende. Der Krisenstab setze seine Arbeit fort, um für die
deutschen Staatsangehörigen vor Ort, Wege raus aus dem Krisenland zu
finden.Pistorius zufolge konnte die Bundeswehr bisher rund 400 Menschen
ausfliegen. Er bezeichnete die Mission als „außerordentlich komplexen
Einsatz“, an dem 1000 Soldat:innen beteiligt seien. Ein Bundestagsmandat
für den Evakuierungseinsatz will sich die Bundesregierung nachträglich vom
Bundestag einholen. Außenministerin Baerbock zufolge wird das Parlament
sich voraussichtlich am Mittwoch mit dem Sudan-Mandat befassen.
„Zugleich wissen wir, das Leid für die Menschen in Sudan geht weiter“,
sagte Baerbock. Und sie appellierte an die beiden kämpfenden Gruppen: „Wenn
Ihnen etwas an ihrem Land liegt, dann legen Sie die Waffen nieder. Das
Sterben in Sudan muss aufhören.“ Der Afrikabeauftragte des Auswärtigen
Amtes Christoph Retzlaff ist derweil in die Region geflogen, um nach Wegen
für eine friedliche Lösung zu suchen.
Mitte April entbrannten [1][schwere Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten
Generälen des Landes und ihren Einheiten]. De-facto-Präsident Abdel Fattah
al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär
gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der
mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).
## Erinnerungen an Kabul?
Auch Ägypten, China, Italien, Saudi-Arabien, Spanien, Südafrika und die
Türkei kümmerten sich am Montag um die Rückführung ihrer Bürger. Zuvor
hatten bereits die USA und Großbritannien Botschaftsmitarbeiter aus Khartum
ausgeflogen. Die EU wirkte im Vergleich zu den internationalen Bemühungen
wie ein Nachzügler.
[2][Die Lage erinnert an die katastrophale Evakuierung aus Kabul im Jahr
2021]. Auch damals waren die Europäer von den Ereignissen überrascht
worden. Ähnlich wie damals drohen auch diesmal die einheimischen Ortskräfte
auf der Strecke zu bleiben. Deutsche und andere EU-Bürger hätten Vorrang,
erklärte ein Regierungssprecher in Berlin.
Das Auswärtige Amt betonte, dass die Lage sich deutlich von der Situation
von Ortskräften in Afghanistan unterscheide. „In Afghanistan ging es bei
den Ortskräften darum, dass das Personen waren, die in den Augen der
Taliban westliche Verräter waren und auf die gezielt Jagd gemacht wurde“,
sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. „Hier haben wir es ja mit einer
Situation zu tun, wo sich gerade zwei Armeen bekriegen und die keinerlei
Rücksicht auf irgendwelche Zivilisten nehmen, aber jetzt nicht gezielt
gegen unsere Ortskräfte vorgehen.“ Es gebe eine gesetzliche Verpflichtung
zur Rettung eigener Staatsbürger.
Außenministerin Baerbock erklärte am Montagabend: „Wir sind unseren lokal
Beschäftigten sehr dankbar.“ Man unterstütze die Menschen vor Ort, in dem
etwa ihr Gehalt weiter gezahlt werde. Zudem hätten sie nicht den Wunsch
geäußert, ausgeflogen zu werden.
Eine Sprecherin des Bundesentwicklungsministeriums versicherte gegenüber
der taz, dass die GIZ sich für die Sicherheit ihrer nationalen Mitarbeiter
einsetze und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstütze.
„Zum Beispiel informiert sie sie eng über die aktuelle
Sicherheitssituation, gibt konkrete Handlungsanweisungen und bietet
psychologische Beratung an“, so die Sprecherin.
## Menschen im Sudan nicht vergessen
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn mahnte dagegen, die [3][lokale
Bevölkerung] nicht zu vergessen. Was in Sudan passiere, sei eine große
Katastrophe, sagte er vor dem EU-Treffen in Luxemburg. „Denken wir auch an
die [4][Menschen, die nicht evakuiert werden können], die im Sudan leben“,
forderte Asselborn.
Es ist nicht das erste Mal, dass die EU im Sudan kalt erwischt wird. Bei
Protesten der Opposition 2019, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden,
machten die Europäer auch schon keine gute Figur. Sie riefen alle
Beteiligten zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch auf, hielten sich
ansonsten aber heraus.
Seit dem Militärputsch im Oktober 2021 leistet das
Bundesentwicklungsministerium sogenannte regierungsferne Unterstützung für
die Bevölkerung in Sudan. Dabei geht es etwa um Nahrungsmittelhilfen,
Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung. Alles findet in Zusammenarbeit
mit UN-Organisationen und NGOs statt. Sudan im Nordosten Afrikas zählt zu
den ärmsten Ländern der Welt.
Durch den Militärputsch, aber auch aktuell durch den Mangel an
Nahrungsmitteln bedingt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine
hat sich die Lage vor Ort verschärft. Das Bundesentwicklungsministerium
stellte 2022 rund 110 Millionen Euro an Hilfen für die Bevölkerung bereit.
Derzeit sind aus Sicherheitsgründen die Aktivitäten der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit weitgehend ausgesetzt worden.
## „Kaum noch arbeitsfähig“
Auch das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt fördert derzeit in Sudan
verschiedene Projekte. Es geht dabei zum Beispiel um die Unterstützung für
Frauen und Kinder, um Bildungsarbeit und Hilfen für Binnenvertriebene.
„Die Partnerorganisationen berichten uns, dass sie unter den aktuellen
Umständen kaum noch arbeitsfähig sind und mit den gleichen Problemen zu
kämpfen haben wie die restliche Zivilbevölkerung. Dazu gehört, dass Wasser
und Lebensmittel knapp werden“, sagte eine Sprecherin des Hilfswerks
gegenüber der taz. Es handele sich um sudanesische Partnerorganisationen,
die ihrerseits Mitarbeitende beschäftigten. Unklar ist, wie viele Personen
beschäftigt sind. Man sei in Kontakt mit den Partnern und prüfe, inwieweit
man helfe könne. Um Evakuierungen gehe es an dieser Stelle aber nicht, da
keine Ausländer betroffen seien.
24 Apr 2023
## LINKS
[1] /Russischer-Einfluss-in-Sudan/!5926424
[2] /US-Abzugschaos-aus-Afghanistan-2021/!5926886
[3] /Fluchtbewegungen-durch-Krieg-in-Sudan/!5929620
[4] /Evakuierungen-aus-Sudan/!5927205
## AUTOREN
Tanja Tricarico
Eric Bonse
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in Sudan
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