# taz.de -- Expertin über soziale Ungleichheit: „Mir wurde gesagt, ich bin z… | |
> Arbeiterkinder werden oft in soziale Schubladen gesteckt. Katja Urbatsch | |
> ist Mitgründerin der Plattform Arbeiterkind.de und kennt die unsichtbaren | |
> Hürden. | |
Bild: Sadly it's all about the money, money, money | |
taz: Frau Urbatsch, wann fängt soziale Herkunft an, sich auszuwirken? | |
Katja Urbatsch: Bei mir fing das im Kindergarten an. Mir wurde gesagt, dass | |
ich zu laut bin. In der Schule meinte eine Englischlehrerin, dass meine | |
Aussprache im Englischen zu schlecht ist. Meine Deutschlehrerin sagte, ich | |
sei zu ehrgeizig. Ob [1][man Akademikerkindern] gesagt hätte, sie sollen | |
einen Gang runterschalten? Und selbst wenn, ob da nicht die Eltern dann in | |
der Schule auf der Matte gestanden hätten? Menschen schieben andere | |
generell in soziale Schubladen. | |
Spielen auch die Schulformen an sich eine Rolle? | |
Wir haben eine große Pfadabhängigkeit. Das Schulsystem ist in unseren | |
Köpfen, das lässt sich nicht einfach auflösen. Als es darum ging, ob ich | |
aufs Gymnasium oder die Realschule soll, hörte ich oft: „Du kannst | |
hinterher wechseln.“ Das ist zu einfach gedacht. Wer einmal auf der | |
Realschule ist, kommt schwer wieder runter. Später wird man kaum ermutigt, | |
Abitur zu machen. Freunde, die in der Oberstufe gewechselt sind, hatten | |
Probleme. Die haben anders gelernt, anderen Stoff. | |
Es hat nicht nur mit den eigenen Erfolgen zu tun, sondern auch mit dem | |
Selbstbild. | |
Bei Arbeiterkind.de gibt es den Slogan „Stipendien nicht nur für | |
Einserkandidaten“. Viele denken, Stipendien seien nur für Hochbegabte. Das | |
Wort „Begabtenförderung“ ist schwierig. Wer hält sich schon für begabt? | |
Einer aus einer nichtakademischen Familie hält sich selten für begabt. | |
Akademikerkinder haben mit höherer Wahrscheinlichkeit in ihrem Umfeld | |
Stipendiaten – Leute, die sie zur Bewerbung motivieren. | |
Wie groß ist der Zusammenhang zwischen der Herkunft als Arbeiterkind und | |
Armut? | |
Im englischsprachigen Raum gibt es die Unterscheidung „First Generation“ | |
und „Low Income“. „First Generation“ heißt nicht automatisch „Low In… | |
Der erste Faktor bezeichnet den nichtakademischen Hintergrund. Es gibt | |
Probleme, [2][die alle Arbeiterkinder haben]: das Verständnisproblem zu | |
Hause, das Klarkommen in der Uni. Es gibt auch Kinder von erfolgreichen | |
Handwerkern, die vielleicht finanziell ganz gut gestellt sind … | |
… deren Familie jedoch wenig mit dem Thema Studium anfangen kann. | |
Vor allem, wenn man Geistes- oder Sozialwissenschaften studiert, hat man | |
trotzdem Diskussionen zu Hause. „First Generation“ ist ein Punkt, aber wenn | |
dann etwas hinzukommt – niedriges Einkommen, Arbeitslosigkeit in der | |
Familie, Migrationshintergrund oder chronische Krankheiten –, kann das die | |
Ausgangslage des Studierenden verschärfen. | |
Welche Sorgen von Arbeiterkindern an der Uni werden übersehen? | |
Die Uni ist weiterhin auf Akademikerkinder ausgelegt. Man erwartet, dass | |
Menschen sich voll aufs Studium konzentrieren können und vollständige | |
Unterstützung erfahren – ideell und finanziell. Vielen fällt nicht auf, | |
dass sie diejenigen fördern, die ihnen ähnlich sind. Sie fördern | |
selbstbewusste Menschen, die sich trauen, mit Professor*innen zu | |
sprechen. Für Arbeiterkinder ist das eine [3][soziale Anpassungsleistung.] | |
Und Arbeiterkindern selbst wird das oft erst im Laufe des Studiums bewusst. | |
Viele Eltern, die selbst studiert haben, helfen ihren Kindern im Studium | |
praktisch: bereiten Referate vor, korrigieren Hausarbeiten, ziehen das | |
Argument nochmal gerade. Das geht bis zur Doktorarbeit. Es wird | |
Akademikerkindern zugestanden, sie hätten alles alleine geleistet. Und das | |
stimmt oft nicht. | |
Unbezahlte Praktika fördern die soziale Ungleichheit. | |
Auch Arbeitgeber differenzieren. Ein Studium allein reicht für den | |
Berufseinstieg nicht. Es wird hinterfragt, wenn man nicht in | |
Regelstudienzeit studiert hat, ob man im Ausland war, ob man Praktika | |
gemacht hat. Aber das ist von Finanzen und Connections abhängig, vom | |
sozialen Kapital. Und das fehlt vielen Arbeiterkindern. Da mangelt es auf | |
Arbeitgeberseite an Sensibilität für diese Gruppe. Vielen ist nicht | |
bewusst, welche Privilegien sie hatten – oder eben nicht. | |
12 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Klaudia Lagozinski | |
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