| # taz.de -- Buch über Widerstand zur NS-Zeit: Kommunistischer Adel | |
| > Gottfried Paasche geht in „Hammersteins Töchter“ der Historie seiner | |
| > kommunistischen Verwandten nach. Sein Buch ist ein eindrückliches | |
| > Zeitzeugnis. | |
| Bild: Die Schwestern Helga und Hildur Hammerstein | |
| Maria Therese von Hammerstein, genannt „Esi“, auf einem Foto von 1933. Sie | |
| trägt eine Lederjacke, auf dem Kopf eine Lederhaube. Mit dem ernsten Stolz | |
| einer jungen Draufgängerin lässt sich die 24-Jährige in Motorradkluft | |
| ablichten. In ihrem Gesicht meint man bereits den Mut zu sehen, den alle | |
| drei Hammerstein-Töchter brauchten, um sich den Nationalsozialisten zu | |
| widersetzen. | |
| Geboren in eine adlige Familie, brachen die Schwestern früh mit dem | |
| faschistischen Regime, unterstützten den Nachrichtendienst der KPD und | |
| halfen jüdischen Deutschen bei der Flucht. Die Geschichte der drei Frauen, | |
| die Erwartungen an ihren Stand und ihre Rolle als Frau unterliefen, erzählt | |
| Gottfried Paasche in seinem Buch „Hammersteins Töchter“. | |
| Der deutsche Adel und die deutsche Geschichte. Unweigerlich denkt man an | |
| die Hohenzollern; [1][ihre Verstrickungen in den Nationalsozialismus, ihre | |
| trotzige, kürzlich zurückgezogene Forderung nach Entschädigung.] Gottfried | |
| Paasche liefert hierzu eine Gegenerzählung, die in Erinnerung ruft, dass | |
| zwischen Adel und faschistischem Regime keine natürliche Verbindung | |
| bestehen muss und dass sich auch in höchsten Militärkreisen durchaus | |
| Widerstand regte. | |
| Maria Therese, Marie Louise („Butzi“) und Helga von Hammerstein sind die | |
| zentralen Charaktere in Paasches eindringlich erzählendem Buch. Ihr Vater | |
| ist General Kurt von Hammerstein, der mit seiner Frau Maria insgesamt vier | |
| Töchter und drei Söhne aufzog. Der Gesinnung nach konservativ, bestand | |
| Hammerstein auf einem politisch unabhängigen Militär und positionierte sich | |
| so gegen Hitler. | |
| ## Kontakte zur Roten Armee | |
| Der General unternahm Reisen in die Sowjetunion Ende der 1920er Jahre und | |
| hatte Kontakt zu Offizieren der Roten Armee. Sie ließen ihn daran zweifeln, | |
| dass ein Krieg im Osten zu gewinnen sei. Ende 1933 reichte der letzte Chef | |
| der Reichswehr sein Rücktrittsgesuch ein. Hans Magnus Enzensberger hat mit | |
| „Hammerstein oder Der Eigensinn“ [2][die Überzeugungen des Generals bereits | |
| 2008 in einer literarischen Biografie ausgeleuchtet.] | |
| Dass seine drei ältesten Töchter nach eigenen Überzeugungen lebten, sich | |
| vom aufkommenden Faschismus klar abgrenzten und den Feinden des Regimes | |
| zuarbeiteten, verdankt sich auch ihrer ungewöhnlich freiheitlichen | |
| Erziehung. „Meine Töchter sind freie Republikaner. Sie können reden und | |
| machen, was sie wollen“, soll Kurt von Hammerstein einmal gesagt haben. | |
| Diese Eigenverantwortung war es aber auch, die zu einem distanzierten | |
| Verhältnis zwischen den Eltern und ihren Töchtern führte. | |
| Helga, die jüngste der drei Schwestern, trat, wie die älteren zuvor, dem | |
| Sozialistischen Schülerbund und später der Kommunistischen Partei | |
| Deutschlands bei. Wie schon Marie Louise war auch die jüngere | |
| Hammerstein-Tochter von großem Wert für den Nachrichtendienst der KPD. Sie | |
| hielt fest, wen ihr Vater im Haus empfing und was dort besprochen wurde. | |
| Als Hitler im Februar 1933 im Berliner Bendlerblock die Generäle auf seine | |
| Linie einzuschwören suchte, stahl Helga die Abschrift seiner Rede aus dem | |
| Büro ihres Vaters und übermittelte sie nach Moskau. Aus ihrer Hand war so | |
| die sowjetische Führung über Hitlers aggressive außenpolitische Pläne | |
| informiert worden. Hammerstein schöpfte Verdacht, den Geheimdienst | |
| informierte er jedoch nicht. Er hätte seine Tochter nicht vor den | |
| Konsequenzen der Enttarnung bewahren können. | |
| ## Dem nationalsozialistischen System schaden | |
| „Hammersteins Töchter“ ist ein detailliert recherchiertes historisches | |
| Werk, das die einzelnen Biografien gekonnt miteinander verwebt. Dabei | |
| verliert sich Gottfried Paasche nicht in trockenen Aufzählungen | |
| geschichtlicher Abläufe, sondern zeichnet ein lebendiges Bild zentraler | |
| Figuren. Tagebucheinträge, Briefe und persönliche Gespräche fügt er zu | |
| einer Familienchronik von beinahe literarischer Qualität zusammen, in die | |
| er die historischen Ereignisse mühelos einflicht. | |
| Der 1937 geborene Gottfried Paasche selbst ist Teil dieser | |
| Familiengeschichte. Maria Therese, die Frau in der Motorradkluft, ist seine | |
| Mutter. Das macht einen objektiven Zugang zur Geschichte der Hammersteins | |
| für den Autor unmöglich. Jedoch relativiert die genaue Quellenrecherche | |
| jeglichen Eindruck von Befangenheit. | |
| Weil es sich der emeritierte Soziologieprofessor aus Boston erlaubt, zu | |
| interpretieren und die Charaktere der Figuren herauszuarbeiten, entsteht | |
| aus dem Nukleus der Familiengeschichte ein Gesellschaftsbild, das einen | |
| differenzierten Blick auf die Rolle des Adels vor, während und nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg erlaubt. Es zeigt, dass die Hammerstein-Töchter ganz | |
| gezielt ihre Privilegien und ihren Zugang zu höheren gesellschaftlichen | |
| Kreisen einsetzten, um dem nationalsozialistischen System zu schaden. | |
| Die jüngere Geschichte hat auf die konspirativen Tätigkeiten der | |
| Hammerstein-Schwestern übrigens je nach Systemzugehörigkeit reagiert. | |
| Während Helga nach dem Krieg in Westberlin lebte, verbrachte ihre ältere | |
| Schwester Marie Louise aus politischer Überzeugung ihr Leben in der | |
| Sowjetischen Besatzungszone in Ostberlin. | |
| Um ihre Schwester im Westen vor antikommunistischen Anfeindungen zu | |
| schützen und sich selbst eine bessere Stellung in der DDR zu verschaffen, | |
| gab Marie Louise vor, allein die Untergrundarbeit geleistet zu haben. In | |
| Zeiten des Kalten Krieges bedeutete das für die ehemalige kommunistische | |
| Agentin in Westdeutschland eine Erleichterung. | |
| Dass Gottfried Paasche die Biografien seiner Mutter und Tanten bis zu deren | |
| Tod um das Jahr 2000 nachverfolgt, macht die Kollektivbiografie zu einem | |
| eindrücklichen Zeugnis von gesellschaftlich aktiven Lebenswegen durch ein | |
| langes 20. Jahrhundert. | |
| 10 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Lehmann | |
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