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# taz.de -- Enzensberger liest "Hammerstein": Familientreffen im Bendlerblock
> Hans Magnus Enzensberger las aus seinem "Hammerstein"-Buch im Berliner
> Bendlerblock. 135 Angehörige des Wehrmachtsgenerals Karl von Hammerstein
> waren gekommen.
Bild: "Ich bin ja nur ein Nacherzähler", kokettiert Enzensberger.
Adolf Hitler wurde am 30. Januar 1933 Reichskanzler; wenig Tage später kam
er zum Antrittsbesuch in diese Räume. Hans Magnus Enzensberger verzichtete
75 Jahre später bei seinem Auftritt an gleicher Stelle dennoch darauf, den
Führer noch einmal zu besiegen. Der Schriftsteller war vorgestern, am Abend
des symbolträchtigen 30. Januar, in den Berliner Bendlerblock gekommen, um
in den Räumen der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" sein vieldiskutiertes
Buch "Hammerstein oder der Eigensinn" zu präsentieren. Eine
"Paulskirchen-Rede von staatstragender Relevanz" wollte er nicht halten,
wie er leicht süffisant anmerkte.
Stattdessen gab es eine Familienfeier. Ursprünglich sollte es ein intimes
Dankeschön-Treffen sein, das Enzensberger und der Suhrkamp Verlag für die
Familie Hammerstein veranstalten wollte, die mit vielen Auskünften die
Arbeit am Buch unterstützt hatte. Doch wie das bei Adligen so ist: Am
Mittwoch kamen 135 Familienangehörige aus aller Welt an jenem Ort zusammen,
wo ihr Ahnherr Kurt von Hammerstein-Equord zwischen 1930 und 1934 als Chef
der Heeresleitung residierte; Diensträume und Familienwohnung über mehrere
Etagen verteilt. Ein buntes Völkchen im Alter zwischen 8 und 88 drängte
sich in den Sitzreihen des zu kleinen Saals, durchweg quirlig die Stimmung.
Ästhetisch dominierten Tweedjacketts, Halstuch und Cashmere-Pullover, alles
natürlich leger und zurückhaltend. Und beim anschließenden Empfang musste
der Beobachter unwillkürlich an einen anderen Suhrkamp-Autor denken: Auch
jene mittelschichtsdominierte alte Bundesrepublik hat es offenbar ganz gut
vermocht, dem Adel jene soziale Selbstreproduktion zu ermöglichen, die
Pierre Bourdieu als Merkmal der Klassengesellschaft so messerscharf
analysiert hat. Aber was solls: Angenehm entspannt war so ein 30. Januar
mitten unter den Siegern der Geschichte dennoch.
Zuvor hatte Verlagschefin Ulla Unseld-Berkéwicz, mit Zitaten des
unorthodoxen NS-Experten und Hausautors Rainald Goetz armiert, von
Geschichtspolitik nicht lassen können: "Ein gutes Zeichen für unser Land"
sei es, dass Enzensbergers "Hammerstein" so einen Erfolg hat. So war es
immer, so soll es auch künftig sein: die Suhrkamp-Kultur als Indikator für
Deutschlands Zustände. Enzensberger, so die Verlegerin, betreibe die
"literarische Wiedervereinigung aller guten deutschen Traditionen". Kokett
zurückhaltend dagegen der bekennende Kleinbürger Enzensberger, an der Wand
hinter sich das Porträt Hammersteins: "Ich bin ja nur ein Nacherzähler." Er
habe einfach diese Familiengeschichte jenen Nachwachsenden verständlich
machen wollen, deren Wissen heute von Handymarken geprägt sei.
Draußen nieselte es, als man später beim Hinausgehen in der Dunkelheit über
das Pflaster jenes Innenhofes schritt, auf dem Stauffenberg 1944 dem
Erschießungskommando sein "Es lebe das heilige Deutschland" entgegengerufen
hatte. Ludwig von Hammerstein, Sohn des Generals und damals Mitverschwörer,
konnte am 20. Juli fliehen: Seit seiner Kindheit kannte er jeden Flur und
jedes Zimmer im Bendlerblock. Am 30. Januar also einmal eine deutsche
Geschichte mit viel Glück und Fügung.
31 Jan 2008
## AUTOREN
Alexander Cammann
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